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Machtlos gegen große Konzerne?

Jennifer Fraczek13. Dezember 2013

Wenn Firmen Öl fördern, Erz abbauen oder Kleidung billig produzieren lassen, kann es zu Menschenrechtsverletzungen kommen. Betroffene haben bislang wenig Chancen auf Entschädigung.

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Umweltschäden durch Ölförderung (Shell) im Nigerdelta (Foto: DW/Muhammad Bello)
Umweltverschmutzung im Niger-DeltaBild: DW/M. Bello

Als der Oberste Gerichtshof der USA im April die Klage der Angehörigen von Barinem Kiobel gegen den Konzern Shell zurückwies, waren Menschenrechtler sehr enttäuscht. Kiobel hatte gegen die Ölförderung des Unternehmens im Niger-Delta protestiert. Er und acht andere Aktivisten wurden 1995 von einem Militärtribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Vorwurf der Angehörigen an Shell: Der Konzern habe mit der nigerianischen Regierung kooperiert und trage eine Mitschuld am Tod dieser Aktivisten.

Dass der Fall Kiobel versus Shell in den USA verhandelt wurde, liegt an einem US-Gesetz von 1789: dem Alien Tort Claims Act (ATCA). Durch dieses Gesetz können Ausländer in den USA auf Schadenersatz für Menschenrechtsverstöße klagen - egal, in welchem Land es dazu gekommen ist. Bislang hat es mehr als 100 Klagen nach ATCA gegeben. Dabei ging es zum Beispiel um Verbrechen aus der Zeit des Apartheid-Regimes in Südafrika oder der Diktatur in Argentinien.

ATCA galt lange als scharfes Schwert im Kampf gegen Menschenrechtsverstöße - im Kiobel-Fall stellte der Oberste Gerichtshof aber fest: Die Klage wird abgewiesen, weil sie zu wenig Bezug zur USA hat. Wenn künftig der US-Bezug bei einer Klage wichtig ist, könne auf ATCA wohl nicht mehr gezählt werden, befürchten jetzt viele Menschenrechtler.

"Wie soll jemand aus dem Niger-Delta in Europa klagen?"

An wen sollen sich Kläger wenden, wenn sie Unternehmen für Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung ziehen wollen? An die Justiz im eigenen Land? An die Gerichte der Staaten, in denen die Firmen sitzen?

Der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte (Foto: Institut für Menschenrechte)
Windfuhr: "Hohe Hürden für Kläger"Bild: Deutsches Institut für Menschenrechte

Möglich ist beides. Die Hürden seien aber sehr hoch, sagt der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Michael Windfuhr. "In Deutschland muss man etwa als Nicht-Europäer den Schaden, der dem Gegner entstehen könnte, als Kosten hinterlegen. Das können Hunderttausende Euro sein. Wie soll ein Betroffener aus dem Niger-Delta an so viel Geld kommen?" Zudem werde in Deutschland das Recht des Landes angewendet, aus dem der Kläger kommt: "Wenn das eine Diktatur ist, ist es gar nicht so leicht, dort Schaden nachzuweisen."

Eine Klage im eigenen Land kann noch schwieriger sein. Innerhalb der Europäischen Union werden die Menschenrechte garantiert, etwa durch Arbeitsrechts- oder Umweltschutzgesetze. In anderen Ländern - beispielsweise in Afrika oder Südamerika - ist das aber nicht der Fall: Weil es weniger entsprechende Gesetze gibt oder weil diese nicht umgesetzt werden.

Sind für diese Menschen jetzt also alle Klagewege verstellt? Heiko Willems vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht das nicht so. Das deutsche Rechtssystem etwa sei durchaus "gut und zugänglich" für ausländische Kläger, die gegen Menschenrechtsverstöße von Firmen vorgehen wollen. Dass es in Deutschland bislang keine solche Klage gegeben hat, liegt nach seiner Einschätzung daran, dass es bis zum Kiobel-Urteil eben leichter gewesen sei, auf Grundlage von ATCA vor einem US-Gericht zu klagen. Das US-Rechtssystem sei klägerfreundlich. Der Kläger trage zum Beispiel kein großes finanzielles Risiko - im Gegensatz zu den beklagten Unternehmen.

Firmen sind auch für Zulieferer verantwortlich

Michael Windfuhr hofft, dass sich die Klagemöglichkeiten durch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verbessern. Die Länder der Vereinten Nationen haben sich 2011 zu ihrer Umsetzung verpflichtet. Auch die geplante neue Bundesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu. In den UN-Leitprinzipien werden Forderungen an Staaten und Unternehmen gestellt. Die Staaten sollen unter anderem dafür sorgen, Hindernisse für Klagen abzubauen. Von den Firmen wird verlangt, dass sie für die Wahrung der Menschenrechte nicht nur bei sich selbst sorgen, sondern auch ein Auge auf ihre Geschäftspartner haben.

Näherin in Bangladesch bei der Arbeit (Foto: DW/ Arafatul Islam)
Wie können Unternehmen dafür sorgen, dass ihre Zulieferer nicht gegen Menschenrechte verstoßen?Bild: DW/Harun Ur Rashid Swapan

Das klinge erst einmal anspruchsvoll, sagt Michael Windfuhr. "Viele Unternehmen haben Zehntausende von Zulieferern: Wie will man die alle kontrollieren?" Andererseits funktioniere die Nachverfolgung bei den Firmen ausgezeichnet, wenn es darum gehe, die eigenen Qualitätsstandards entlang der gesamten Lieferkette durchzusetzen. Diese Kontrolle müsse auch beim Thema Menschenrechte möglich sein. "Viele deutsche Unternehmen geben sich inzwischen Mühe, das sicherzustellen - auch, weil ihre Mitarbeiter das so wollen."

Völkerrechtsabkommen statt "Soft Laws"

Heiko Willems spricht ebenfalls davon, dass die "Unternehmen ein Interesse daran haben, dass sie nicht mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden". Deshalb würden sie sich Verhaltenskodizes geben und versuchen, diese auch bei ihren Zulieferern durchzusetzen. Allerdings könne ein Unternehmen "nicht pauschal dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Arbeitsbedingungen in manchen Ländern schlechter sind als in Europa." Es sei in erster Linie Aufgabe der Staaten, für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen und die Standards in diesen Ländern anzuheben.

Ob die UN-Leitlinien das leisten werden, ist unklar. Denn sie sind eine sogenannte "Soft Law" - also rechtlich nicht verbindlich. Der Völkerrechtler Jochen von Bernstorff plädiert deswegen für ein völkerrechtliches Abkommen, "in dem sich Staaten verpflichten, ihr Zivil- und Strafrecht für Menschenrechtsklagen gegen transnationale Unternehmen zu öffnen". Damit würde auch sichergestellt, dass Firmen in Entwicklungs- und Schwellenländern - sofern diese dem Abkommen beitreten - keine Wettbewerbsvorteile haben, weil sie weniger auf Umweltschutz oder die Rechte von Arbeitnehmern achten müssen.

In einem solchen Abkommen könne zudem festgelegt werden, bis zu welchem Punkt Unternehmen auch für ihre Zulieferer verantwortlich sind. "Das wäre für Unternehmen eine große Entlastung, weil sie dann wüssten, wofür sie haften müssen - was derzeit völlig unklar ist", sagt Bernstorff.