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Politik

Ein Jahr Sorbonne-Rede

Catherine Martens
26. September 2018

Ein eigener Haushalt für die Eurozone, ein europäischer Finanzminister, europäische Soldaten für Auslandseinsätze - nur einige der Punkte, die Frankreichs Präsident vor einem Jahr für einen Neustart Europas forderte.

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Emmanuel Macron hält seine Rede vor den Studenten in der Sorbonne-Uni
Bild: Reuters/L.Marin

Mehr Europa, nicht weniger, das ist sein Versprechen. Immer noch. Ein Jahr ist es her, dass Emmanuel Macron vor Studenten der französischen Traditionsuniversität Sorbonne sein neues Europa entwarf. Frankreichs Staatsoberhaupt schwebten damals weitreichende Reformen vor, die bis in den Kern des europäischen Selbstverständnisses reichen.

Karlspreisträger in der europapolitischen Sackgasse?

"Europa ist gewissermaßen seine politische DNA", beschreibt der Politologe Jérome Sainte-Marie vom französischen Umfrageinstitut PollingVox Macrons Vorstoß gegenüber der Deutschen Welle. "Er hat sich als Pro-Europäer, als Anti-Populist wählen lassen. Daher war seine vollgepackte europäische Agenda nicht erstaunlich."

Beobachter sprechen ihm politische Verve nicht ab. Schließlich ist es im Kreise der Europäischen Mitgliedsstaaten nicht unbedingt beliebt, im großen Stil über die politische Erneuerung des Kontinents nachzudenken.

Interview mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron

Für diesen europapolitischen Ehrgeiz wurde Macron dann auch mit dem renommierten Karlspreis ausgezeichnet: Er sei ein "mutiger Vordenker für die Erneuerung des europäischen Traums" - so hatte das Kuratorium des Preises die Entscheidung begründet. Er werde für seine kraftvolle Vision von einem neuen Europa und seinen Kampf gegen Nationalismus und Isolationismus ausgezeichnet, hieß es. Im Rückblick entpuppt sich die Aachener Ehrung jedoch als einzig nennenswerte Reaktion, die Macron für seine Vorschläge vorweisen kann.

EU-Staaten verweigern Macron die Gefolgschaft

Die Reaktionen aus dem politischen Brüssel auf Macrons Reformideen bleiben auch ein Jahr nach seiner Rede an der Sorbonne verhalten. „Der französische Präsident habe seine Vorschläge im Kreise der Mitgliedsstaaten präsentieren können", heißt es auf Nachfrage aus diplomatischen Kreisen knapp. Ein Satz aus dem Baukasten des EU-Jargons, der soviel heißt wie: Eine echte politische Debatte im Gremium aller Mitgliedsstaaten hat nie stattgefunden.

Die fehlende politische Reichweite lässt sich laut Experten besonders gut beobachten an Macrons bislang ungehörter Forderung, die Wirtschafts- und Währungsunion radikal zu reformieren. Ein politisches Hindernis auf dem Weg zu einem neuen Europa war besonders schmerzhaft und traf den Präsidenten unerwartet: Aus Berlin kam keine Antwort auf seine Vorschläge.

 Pressekonferenz mit Angela Merkel und Emmanuel Macron im Meseberg Palast
Keine Weichenstellung: Angela Merkel und Emmanuel Macron in Schloss MesebergBild: Reuters/H. Hanschke

"Macrons Hoffnung, dass aus Deutschland europäische Zugeständnisse kommen, wurde enttäuscht", so der EU-Politikwissenschaftler Jannis Emmanouilidis vom Brüsseler Think Tank EPC gegenüber der DW. Macrons Plan, zusammen mit der deutschen Kanzlerin die politischen Weichen in Europa neu zu stellen, ist bislang nicht geglückt.

Das Zeitfenster blieb so gut wie ungenutzt, beurteilt Emmanouilidis die Lage. Laut Brüsseler Experten trägt nicht zuletzt die deutsch-französische Hängepartie dazu bei, dass sich der Pariser Reformehrgeiz auf europäischer Ebene politisch nicht niederschlägt:

Zwar raffte sich Angela Merkel im Sommer dieses Jahres letztlich noch zu einem gemeinsamen Auftritt mit Emmanuel Macron auf; doch die sogenannte Erklärung von Meseberg kommt für eine deutliche Wirkung, so der Analyst Emmanouilidis, zu spät und bleibt inhaltlich zu vage.

Jenseits von Paris und Berlin hören die Unwägbarkeiten für den französischen Präsidenten nicht auf. Rasch formiert sich Widerstand zahlreicher Mitgliedsstaaten. Unmittelbar nach der Meseberger Erklärung formulierte eine Reihe von EU-Staaten ihre Skepsis, angeführt vom niederländischen Ministerpräsident Mark Rutte.

In einem offenen Brief warnten neben den Niederlanden auch Belgien, Litauen und Irland vor weiteren, nicht abgestimmten Schritten zur europäischen Einigung. Insgesamt acht Staaten schlossen sich dem Schreiben an, wollten beispielsweise von einem eigenen Eurozonen-Budget nichts wissen. Auch ein europäischer Finanzminister kam in Ruttes Brief nicht vor. Keine weiteren Kompetenzen für Brüssel, so der Tenor. Dass auf europäischer Ebene Alleingänge nicht gut ankommen, "das hatte Macron nicht auf dem Zettel", kommentiert Jérôme Sainte-Marie von PollingVox.

Kaum Chancen für weitreichende EU-Reformen

Ob es Emmanuel Macron gelingen kann, noch vor den Europa-Wahlen im Frühjahr 2019 wichtige Weichen zu stellen, um Kernpunkte seiner Europa-Agenda zu retten? EU-Vertreter aus den Mitgliedsstaaten sehen das kritisch: Bis Ende des Jahres könne in Sachen Wirtschafts- und Währungsunion nicht mehr viel kommen, schließlich habe die Eurogruppe kein Mandat in diese Richtung erhalten, bestätigen mit der Brüsseler Haltung Vertraute.

Im kommenden Jahr wird es, so der Brüsseler Politologe Jannis Emmanouilidis, für den französischen Präsidenten noch erheblich schwieriger werden, sich Gehör zu verschaffen. Dann werden die Karten neu gemischt: mit einer neuen EU-Kommission, einem neuen EU-Parlament, den europäischen Haushaltsverhandlungen in vollem Gange und dem Brexit in der finalen Phase. Entsprechend gering schätzt Emmanouilidis die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten ein, sich darüber hinaus auf eine substantielle Erneuerung Europas einzulassen.

Angesprochen auf den Brexit, sagte Macron jüngst, er spekuliere nicht, er habe schon genug zu tun mit der Realität. Ein Jahr später scheint er dort angekommen zu sein - in der Realität.