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Politik

Macrons deutsche Abschreckung

Andreas Noll
15. Februar 2020

In der EU-Kooperation setzt Deutschland auf Partner Frankreich, in Sicherheitsfragen auf den Atomschirm der USA. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz empfiehlt Präsident Macron den Deutschen einen Sinneswandel.

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Münchner Sicherheitskonferenz MSC Emmanuel Macron
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Haben es sich die Deutschen zu bequem gemacht unter dem US-amerikanischen Atomschirm? Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat diesen Eindruck bei der Münchner Sicherheitskonferenz vermittelt. Macron warb vor der sicherheitspolitischen Elite für eine Nukleardebatte in Deutschland - auch wenn diese Diskussion "keineswegs einfach" werde. Frankreich jedenfalls hat nach Macrons Worten keine Angst davor, wenn sich Deutschland und die EU vom US-amerikanischen Schutzschirm loslösten.

Wiederkehr der Geschichte?

Die französische Offenheit in Nuklearfragen hat durchaus Tradition. Schon 1957 war Paris zu weitreichenden Zusagen Richtung Deutschland bereit. Damals vereinbarten der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und sein französischer Amtskollege Jacques Chaban-Delmas bei einem Treffen in der nordafrikanischen Wüste eine enge Zusammenarbeit in der Raketen- und Nukleartechnik. In einem Geheimabkommen wurden später Details fixiert.

Deutschland Franz Josef Strauß | mit Fallschirmjäger 1959
Wollte gemeinsam mit Frankreich Atomwaffen entwickeln: Bundesverteidigungsminister Franz Josef StraußBild: picture-alliance/AP Photo

Für Paris war die Aussicht verlockend, die wirtschaftlich starke Bundesrepublik könnte sich an der teuren Entwicklung der Atomwaffen beteiligen. Parallel zu Frankreich warb auch US-Präsident Dwight D. Eisenhower für eine atomare Bewaffnung der Deutschen. Die deutsche Bevölkerung hingegen lehnte wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine deutsche Atombewaffnung mit großer Mehrheit ab. Und konnte sich dabei sogar auf internationales Recht stützen, da die Bundesregierung bei der Aufnahme in die NATO 1955 ausdrücklich den Verzicht auf eine atomare Bewaffnung erklärt hatte. Für die französische Regierung war diese Frage damals keine Hürde, da die Produktion der Waffen in Frankreich erfolgen sollte.

Das ambitionierte Projekt zwischen Bonn und Paris scheiterte indes, als General Charles de Gaulle 1958 in Paris die Macht übernahm. De Gaulle stoppte die atomare Zusammenarbeit mit dem östlichen Nachbarn, führte sein Land aus der militärischen Integration der NATO und baute ohne ausländische Unterstützung die französische Nuklearstreitmacht auf, die "Force de Frappe".

Drittgrößte Atommacht der Welt

Über ihren Einsatz entscheidet als Oberbefehlshaber der Streitkräfte allein der Staatspräsident - daran hat sich auch 60 Jahre nach dem ersten Atomwaffentest der Franzosen in Algerien nichts geändert.

Etwas weniger als 300 Sprengköpfe umfasst die "Force de Frappe" heute, wie Macron bei einer sicherheitspolitischen Grundsatzrede vor wenigen Tagen erklärte. Unter den offiziell anerkannten Atommächten ist Frankreich damit die drittgrößte.

Macron besucht das U-Boot Le Terrible
Der Präsident allein entscheidet über den Einsatz von Atomwaffen: Macron an Bord des Atom-U-Boots "Le Terrible"Bild: Getty Images/AFP/Contributor

Für mehr als 35 Milliarden Euro sollen die Sprengköpfe für U-Boote und Bomber in den kommenden Jahren modernisiert werden. Es gibt zwar einen parteiübergreifenden Konsens, dass große Investitionen in Militär und Rüstung nötig sind, um die Souveränität Frankreichs zu bewahren, aber für das mit 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verschuldete Land gleicht der Unterhalt der Atomwaffen dennoch einem Kraftakt. Kein Wunder also, dass Staatspräsident Nicolas Sarkozy schon 2007 Deutschland eine Mitfinanzierung anbot. Doch Berlin lehnte dankend ab.

Laage | Luftwaffe beginnt mit Übung im Nordosten
Nukleare Teilhabe: Im Kriegsfall würden Bundeswehrpiloten US-Atombomben mit dem "Tornado" ins Ziel fliegenBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Schwierige Debatte

Ein solches Finanzierungsangebot hat Macron der Bundesregierung auf der Sicherheitskonferenz nicht gemacht. Die Aussage über eine deutsche Nukleardebatte deutet aber an, dass Macron, der sich als Erneuerer und Antreiber Europas versteht, auch in dieser Frage Bewegung wünscht.

"Macrons Angebot annehmen"

Deutschlands Außenminister Heiko Maas sagte dazu im Gespräch mit der DW: "Wir werden die Einladung zu diesem strategischen Dialog annehmen." Er betonte aber, dass Europa erst "klären" müsse, "Wie wir die gemeinsamen Anforderungen erfüllen". Er sagte aber auch, dass er gegen ein Abkehr von den USA sei.

Die Bundeswehr wäre im Kriegsfall durchaus an einem atomaren Angriff beteiligt. Im rheinland-pfälzischen Büchel lagern unter US-Aufsicht Atomraketen, die im Konfliktfall von deutschen Tornado-Kampfflugzeugen ins Ziel geflogen würden. Die Kampfjets sind allerdings am Ende ihrer Lebensdauer angekommen und sollen in wenigen Jahren ersetzt werden. In München warb Macron für ein militärisches Großprojekt, bei dem Frankreich mit Deutschland und Spanien gemeinsam bis 2040 eine neue Kampfflugzeuggeneration entwickelt.

In dieser Woche erst hat der Haushaltsausschuss des Bundestages grünes Licht für eine Finanzierungsetappe gegeben. Dieses neue Generation von Kampfflugzeugen könnte auch für französische Atomwaffen ertüchtigt werden.

Keine klaren Pläne

In München äußerte sich Macron nicht zu konkreten Plänen für eine unabhängigere europäische Verteidigung. Seine im vergangenen Jahr geäußerte Sorge vor einem "Hirntod der NATO" wiederholte Macron nicht, sondern sprach von den beiden "Säulen" EU und NATO für die Sicherheit Europas. Sein dringender Appell: "Wir brauchen ein stärkeres Europa der Verteidigung."

Angela Merkel und Emmanuel Macron unterzeichnen den neuen Elysée-Vertrag in Aachen
Unterzeichnung des Aachener Vertrags durch Merkel und Macron im Januar 2019Bild: Getty Images/S. Schuermann

Bei den Atomwaffen allerdings zieht Frankreich weiter enge Grenzen. Macron lehnt eine Rückkehr Frankreichs in das Gremium der NATO ab, das atomare Verteidigungsfragen berät. Da bleibt der Präsident seinem Vorbild de Gaulle treu. Immerhin wollen die Franzosen ihren europäischen Partnern größere Einblicke in die eigene Nuklearstrategie geben. Macron dürfte dabei vor allem an Deutschland denken.

Theoretisch möglich ist auch, dass beide Regierungen in der Nuklearfrage weiter sind als bislang bekannt. In einem Gutachten des Bundestages schließen Wissenschaftler nicht aus, dass Paris und Berlin in nicht-öffentlichen Zusätzen zum Aachener Freundschaftsvertrag mit Frankreich im vergangenen Jahr auch das Thema Kernwaffen behandelt haben.

Die deutsche Bevölkerung scheint dieser Logik etwas abgewinnen zu können. Einer Umfrage der Körber-Stiftung zufolge würden 40 Prozent der Deutschen einen nuklearen Schutzschirm durch Frankreich oder Großbritannien gut heißen - lediglich 22 Prozent sagen das über den bestehenden Schutzschirm der Amerikaner.

Am Ende dürfte das Geld bei all diesen Fragen eine wichtige Rolle spielen. Als de Gaulle nach seiner Wahl zum Präsidenten die Atomzusammenarbeit mit den Deutschen stoppte, soll der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in Bonn getobt haben. Die von der Bundeswehr bestellten französischen Kampfjets ließ der CSU-Politiker stornieren und kaufte stattdessen US-amerikanische Starfighter.