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"Man fühlt sich wie ein Entdecker"

21. Mai 2010

Nach acht Monaten ist die "Polarstern", das Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts, wieder aus dem Südpolarmeer zurückgekehrt. Geophysiker Karsten Gohl, einer der Wissenschaftler an Bord, erzählt von der Reise.

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Der Forschungseisbrecher "Polarstern", im Vordergrund Pinguine (Foto: dpa)
Der Forschungseisbrecher "Polarstern"Bild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Von Oktober bis Mai war die "Polarstern" unterwegs. Insgesamt 68.000 Kilometer oder 37.000 Seemeilen hat sie dabei zurückgelegt und rund 150 Wissenschaftler aus 15 verschiedenen Nationen waren während der Reise an Bord. Das klingt nach vielen Menschen, die lange Zeit auf engstem Raum zusammen sind. Sie selbst waren 68 Tage lang an Bord. Wie muss man sich denn das Leben auf dem Schiff vorstellen?

Karsten Gohl: Es ist schon sehr beengt, obwohl die "Polarstern" ein großes Schiff ist, das über 100 Leute beherbergen kann. Auf unserem Fahrtabschnitt von Neuseeland zurück nach Punta Arenas waren 52 Wissenschaftler und 44 Besatzungsmitglieder an Bord. Die meisten waren in Doppelkabinen untergebracht. Da muss man sich schon gut verstehen. Aber man weiß das ja auch schon vorher und sucht sich dementsprechend Kabinengenossen aus, mit denen man gut auskommt. Engpässe gab es bei den Mahlzeiten, da die beiden Messen (Speisesäle, Anmerkung der Redaktion) an Bord nicht so groß waren, dass alle gleichzeitig essen konnten. Da musste man ab und zu warten. Aber es hat sich immer gut geregelt. Die "Polarstern" ist ein fantastisches Schiff mit genug Platz, um so viele Menschen an Bord mitnehmen zu können.

Geophysiker Karsten Gohl (Foto: Karsten Gohl)
Geophysiker Karsten Gohl vom Alfred-Wegener-Institut erhofft sich neue Erkenntnisse zur Entwicklung der Eisschmelze und der Veränderung des MeeresspiegelsBild: Karsten Gohl

Was war Sinn und Zweck der Reise?

Wir haben die Entwicklung der großen Eisschilde untersucht. Das westantarktische Eisschild steht zusammen mit dem grönländischen Eisschild im Fokus der Forschung, was die Veränderung des Meeresspiegels angeht. Beide Eisschilde verhalten sich sehr dynamisch und verändern sich stark. Alleine die Westantarktis, sollte sie vollständig kollabieren, hätte einen Anstieg des Meeresspiegels von drei bis fünf Metern zur Folge. Ob es jemals dazu kommen wird, weiß man nicht. Wir sind in diesem Gebiet gewesen, um festzustellen, wie sich der Eisschild in der geologischen Vergangenheit verhalten hat. Dazu schaut man sich bestimmte Epochen an. Zum Beispiel die Zeit von vor einer bis vor vier Millionen Jahren. Aus geologischen Aufnahmen wissen wir, dass damals ähnliche klimatische Bedingungen geherrscht haben, wie heute. Und die Frage ist dann: Sind die Eisschildbedingungen in diesen klimatischen Verhältnissen so gewesen, dass wir heute ebenfalls einen Anstieg des Meeresspiegels erwarten können, oder wird das nicht ganz so dramatisch werden.

Wie sah Ihre Forschungsarbeit aus? Sie waren ja nicht nur auf dem Schiff, sondern sind auch auf dem Eis unterwegs gewesen. Was genau haben Sie dort gemacht?

Forscher auf Eisfläche, im Hintergrund Polarstern (Foto: AWI/Steffen Spielke)
Die Wissenschaftler erhofften sich neue Erkenntnisse zur Entwicklung der Eisschmelze und der Veränderung des MeeresspiegelsBild: Alfred-Wegener-Institut/Steffen Spielke

Wir hatten ein sehr gemischtes Arbeitsprogramm auf der "Polarstern". Wir haben mit geologischen und geophysikalischen Methoden gearbeitet. Ozeanographische und geodätische Messungen sind ebenfalls durchgeführt worden. Wir haben die Sedimente untersucht, die sich auf dem Schelf (flacher, küstennaher Meeresboden, Anmerkung der Redaktion) und in der Tiefsee abgelagert haben. Sowohl mit seismischen Profilaufzeichnungen aber auch durch Probenentnahme mit Hilfe von kleinen Bohrgeräten und Sedimentgreifern. Das war der Großteil der Arbeit. Wir haben aber auch Ozeanographen an Bord gehabt, die Wassertemperatur und Salzgehalt gemessen haben. Denn ein Hauptgrund für das Abschmelzen des Eisschildes ist höchstwahrscheinlich warmes Tiefenwasser, das in die Bereiche des Schelfeises aufsteigt und beim beschleunigten Abschmelzen hilft.

Wie lange werden Sie sich jetzt mit den erhobenen Daten beschäftigen müssen?

Das kann bei einigen Daten noch lange dauern, denn um eine genaue Datenanalyse zu machen, ist sehr viel Detailarbeit nötig. Man kann erwarten, dass die Ergebnisse in einem bis drei Jahren publikationsfertig sind und dann auch der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Außerdem werden die Daten in Klimamodelle und Eisschildmodelle eingebaut, denn das sind die Modelle, die für die Prognosen der Eisschildentwicklung und damit der Entwicklung des Meeresspiegels gebraucht werden. Also, es sind viele Gruppen, die auf diese Daten warten, aber das wird noch eine Zeit lang dauern.

Sie waren im südpolaren Sommer unterwegs. Wie warm, bzw. wie kalt war es denn?

Im Hinblick auf den kalten Winter in Deutschland, hatten wir relativ milde Temperaturen. Das war immer erstaunlich, wenn man nach Hause gemailt hat. Wir waren am Rande der Antarktis und die Lufttemperatur betrug -3 Grad Celsius, während unsere Freunde in Deutschland -10 oder -15 Grad hatten. Das war schon relativ ungewöhnlich, aber wir hatten auch ungewöhnliche Wetterverhältnisse mit warmen Winden, die aus dem Norden kamen. Die tiefste Temperatur war -15 oder -16 Grad aber kälter ist es nie geworden.

Was war das Beeindruckendste auf Ihrer Reise?

Robbe im Eis (Foto: AP)
Unerwarteter BesuchBild: AP

Das war ein biologisches Ereignis. Wider erwarten sind uns eines Morgens hunderte wenn nicht über den ganzen Tag gesehen gar tausende Robben aus allen Richtungen entgegengeschwommen. Es war wie ein Sternmarsch der Robbenkolonien. Das hat wahrscheinlich auch mit den relativ eisfreien Bedingungen zu tun gehabt. Das sind die Robben dort normalerweise nicht gewohnt. Es gab einfach weniger Ruheplätze, weil weniger Eisschollen da waren. Ich nehme an, die Robben haben uns für eine Insel oder eine große Scholle gehalten. Auf jeden Fall war es sehr beeindruckend den Robben dabei zuzusehen, wie sie auf das Schiff zu schwimmen und vergnügt in den Luftstrudeln der Schiffsschraube spielen.

Also man hat auch als Wissenschaftler an Bord der "Polarstern" Zeit immer wieder mal den Blick zu heben und über den Tellerrand hinauszuschauen.

Ja. Das ist schon sehr gigantisch und beeindruckend. Die Eisberge im wechselnden Licht, die ganze Szenerie. Ich bin schon oft genug in der Antarktis gewesen, aber es ist immer wieder ein tolles Erlebnis.

Wie viel Entdeckungsgeist ist denn bei solch einer Reise dabei? Wie sehr fühlt man sich unter Umständen wie ein Charles Darwin auf der "Beagle" oder vielleicht sogar wie ein Alexander von Humboldt?

Ich möchte die relativ luxuriösen Bedingungen auf der "Polarstern" nicht mit den doch sehr einfachen Verhältnissen von damals vergleichen, aber es ist trotzdem – gerade in der Antarktis – immer wieder so, dass man in Regionen kommt, die vorher noch nie von einem Schiff befahren wurden, oder in denen vorher noch nie ein Mensch gewesen ist. Wenn man in diesen Regionen Daten sammelt oder beispielsweise den Meeresboden kartiert und dann Strukturen findet, die durch die Eisströme dort hineingefurcht wurden, wie ein norwegisches Fjordsystem, dann fühlt man sich schon wie ein Entdecker. Und das ist die spannende Sache an der Polarforschung. Man hat wirklich die Möglichkeit, viele neue Sachen, die zu unserem Planeten gehören, in den Polarregionen neu zu entdecken.

Das Gespräch führte Andreas Ziemons
Redaktion: Judith Hartl