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Politik

Man liebt Erdogan oder man hasst ihn

30. Juni 2017

Die Bundesregierung hat einen öffentlichen Auftritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland untersagt. Die einen jubeln, die anderen schreien "Foul".

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AKP-Kundgebung in Köln
Bild: picture alliance/dpa/H. Kaiser

Die Reaktionen auf das Auftrittsverbot sind so tief gespalten, wie sich überhaupt die Anhänger und Gegner Erdogans scharf trennen. Das gilt für Deutschland genauso wie für die Türkei, nur mit dem Unterschied, dass man verständnisvolle Reaktionen aus der Türkei vermisst - zweifellos auch, weil Menschen, mit entsprechender Haltung, Angst haben, sich öffentlich zu äußern.

Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin hatte die Absage aus Berlin mit "kurzfristigen wahltaktischen Erwägungen" erklärt und Deutschland gewarnt, es solle "nicht die schrecklichen Fehler der Referendumskampagne wiederholen". Vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei Mitte April hatten mehrere türkische Politiker versucht, in Deutschland zu türkischstämmigen Bürgern zu sprechen, von denen viele beim Referendum stimmberechtigt waren. Als einzelne deutsche Kommunen Auftritte absagten, offiziell zum Beispiel aus Brandschutzgründen oder wegen fehlender Parkplätze, warf Erdogan Deutschland "Nazimethoden" vor. Doch in letzter Zeit war es wieder ruhiger um die beiderseitigen Beziehungen geworden, die Regierung in Ankara schien um eine Wiederannäherung bemüht.

Türkischer Oppositionsführer unterstützt Erdogan

Von Zurückhaltung kann aber jetzt keine Rede sein. Erdogans Sprecher Kalin nannte die Absage einen weiteren Beweis für "zweierlei Maß", das an die Türkei angelegt werde, und fügte hinzu: "Diejenigen, die der Türkei bei jeder Gelegenheit Lehren über Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten erteilen wollen", hinderten den Präsidenten daran, sich an türkische Bürger zu wenden. Gleichzeitig, so der Sprecher, "scharen sich die Europäer um Terrororganisationen, Putschisten und Gesetzlose".

Recep Tayyip Erdogan vor Anhängern in Ankara (21.05.2017)
Das soll in Deutschland nicht passieren: Erdogan im April in AnkaraBild: picture-alliance/Presidency Press Service

Die türkische Regierung schießt sich dabei vor allem auf den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz ein, der in der "Bild"-Zeitung gesagt hatte: "Ausländische Politiker, die unsere Werte zu Hause mit Füßen treten, dürfen in Deutschland keine Bühne für Hetz-Reden haben". Man verurteile "die inakzeptablen Äußerungen dieser Person über unseren Präsidenten und weisen sie entschieden zurück", so die offizielle Erklärung. Schulz wolle die "Meinungs- und Versammlungsfreiheit" einschränken, heißt es im Außenministerium in Ankara. Der türkische Europaminister Omer Celik kritisierte, für gewisse deutsche Politiker seien "das Versammlungs- und Demonstrationsrecht sowie die Meinungs- und Pressefreiheit nichts anderes als rhetorische Mittel, die zu politischen Zwecken eingesetzt werden".

Doch es ist nicht nur die Regierung in Ankara, die Deutschland kritisiert, auch der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu findet das Verbot falsch: "Erdogan sollte dort hingehen und zu seinen eigenen Bürgern sprechen dürfen", sagt Kilicdaroglu.

Kurdische Erdogan-Gegnerinnen in Frankfurt am Main (18.03.2017)
Kurdische Erdogan-Gegnerinnen in Frankfurt am Main: Terrororganisationen, Putschisten und Gesetzlose?Bild: Reuters/R. Orlowski

Die türkischen Medien haben insgesamt verhalten auf das Auftrittsverbot reagiert, deutlich zurückhaltender jedenfalls als bei den Redeverboten für türkische Politiker im Frühjahr. Die regierungsfreundliche Presse allerdings zeigt die erwartete Loyalität. So spricht die Zeitung "Yeni Safak" von einer "offenen Feindschaft", die Deutschland der Türkei entgegenbringe. Und das Blatt "Takvim" titelt: "Sie haben Angst wie immer."

Dagdelen: Auftrittsverbot verteidigt unsere demokratische Souveränität

In Deutschland kontert der türkischstämmige Grünenvorsitzende Cem Özdemir: "Ich biete dem Staatspräsidenten an: Wenn die politischen Gefangenen frei sind, können wir gerne öffentlich über die Demokratie und die Zukunft der Türkei debattieren." Seine Parteifreundin Claudia Roth sagte dagegen: "Bei uns gilt die Meinungsfreiheit. Und wenn hundert Erdogan-Anhänger da sind, dann müssen eben auch tausend Kritiker da sein. Er hätte erleben können, was Kritik in einer Demokratie bedeutet."  

Cem Özdemir im Bundestag
Grünenpolitiker Özdemir: "Politische Gefangene freilassen, dann können wir diskutieren"Bild: picture-alliance/dpa/K.Nietfeld

Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen - sie hat kurdisch-türkische Wurzeln - sagte der Deutschen Welle: "Wer deutsche Journalisten in der Türkei mit absurden Terrorvorwürfen einkerkert, den kann man nicht einfach nach Deutschland einreisen lassen, als wäre nichts geschehen." Ein Auftritts- sowie Einreiseverbot für Erdogan sei für die Verteidigung von Deutschlands demokratischer Souveränität zwingend nötig. Es müsse unmissverständlich klar sein, so Dagdelen, dass Erdogan hier "keine Bühne für seine Hetzreden" geboten wird. "Erdogan versteht nur die Sprache harter Antworten."

Regierungen von Drittstaaten halten sich mit Reaktionen zurück. Von journalistischer Seite atmet jedenfalls der Züricher "Tagesanzeiger" auf, dass Deutschland "endlich" das richtige Zeichen gesetzt habe, dass der Westen vor Erdogan "nicht kuschen" dürfe. Die Zeitung empfiehlt der Schweizer Regierung, sich Deutschland zum Vorbild zu nehmen, auch weil beider Länder ähnliche Probleme mit dem türkischen Präsidenten hätten: "Die Schweiz sollte ähnlich handeln, denn Erdogan möchte sich nicht nur in den Schulalltag einmischen", kommentiert der "Tagesanzeiger", "sondern alle Auslandstürken unter seine Knute bringen."

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik