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"Man will mich zur Unperson machen"

15. August 2006

Die Diskussion über die SS-Vergangenheit von Schriftsteller Günter Grass geht weiter. Am Montagabend (14.8.2006) reagierte Grass erstmals auf Äußerungen seiner Kritiker. Diese seien "persönlich verletzend".

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Günter Grass ringt um Worte der ErklärungBild: picture-alliance/ dpa

Nach seinem Bekenntnis, als 17-Jähriger der Waffen-SS beigetreten zu sein, gerät der Schriftsteller Günter Grass immer mehr unter Druck. So erklärte beispielsweise der Literaturkritiker Hellmuth Karasek, Grass habe sich durch sein jahrzehntelanges Schweigen den Nobelpreis "erschlichen". Der Direktor der Nobelpreis-Stiftung, Michael Sohlman, entgegnete am Dienstag (15.8.2006) unter Hinweis auf die Nobel-Statuten: "Die Vergabe ist endgültig. Es ist auch noch nie vorgekommen, dass ein Preis wieder zurückgenommen wurde."

Grund für Schweigen: Warten auf passende literarische Form

Am Montagabend (25.8.2006) reagierte Grass auf das Medienecho und kritisierte es als persönlich verletzend. "Sicher ist es auch der Versuch von einigen, mich zur Unperson zu machen", sagte der Literatur-Nobelpreisträger im Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur (dpa).

Auf die Frage, warum er so lange geschwiegen habe, sagte Grass: "Erst, als ich mich entschlossen habe, über meine jungen Jahre zu schreiben, was mir als jungem Mann widerfahren ist, fand ich diese literarische Form. Sie ermöglichte es mir, endlich auch über die Mitgliedschaft in der Waffen-SS zu schreiben und zu sprechen."

Zentralrat der Juden: Alles nur ein PR-Trick?

Günter Grass auf der Insel Mön
Günter Grass hält sein neues Buch "Beim Häuten der Zwiebel" in der HandBild: picture-alliance/ dpa

Trotz Grass' erklärender Worte rief seine Enthüllung bei vielen Politikern und Intellektuellen Entrüstung und Schweigen hervor. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat das "späte Geständnis" von Grass scharf kritisiert. Grass sei stets als "strenger moralischer Mahner" aufgetreten, sagte die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. "Sein langjähriges Schweigen über die eigene SS-Vergangenheit führt nun seine früheren Reden ad absurdum."

Zudem äußerte Knobloch die Vermutung, dass Grass mit seinem Bekenntnis PR für sein neues Buch machen wolle. Grass' Kindheits- und Jugendautobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" erscheint am 1. September 2006 im Steidl-Verlag. Darin berichtet er unter anderem über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Der Steidl-Verlag wies aber Vermutungen zurück, Grass habe mit dem Eingeständnis den Verkauf seiner Autobiographie anheizen wollen. "Das war in keiner Weise von uns lanciert", sagte eine Verlagssprecherin.

"Ein Mitglied der Waffen-SS darf niemals Ehrenbürger von Danzig sein"

Günter Grass vor seinem Elternhaus in Danzig
Günter Grass vor seinem Elternhaus in DanzigBild: dpa

Seit dem Bekenntnis des Literaturnobelpreisträgers steht offenbar für viele auch dessen Danziger Ehrenbürgerschaft zur Disposition. Ein Abgeordneter der in Polen regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kündigte eine Initiative zur Aberkennung der Ehrenbürgerschaft an. Ein Mitglied der Waffen-SS dürfe niemals Ehrenbürger einer polnischen Stadt sein. "Besonders nicht von Danzig, der Stadt, in der der Zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm."

Zuvor hatte bereits der polnische Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa die Aberkennung von Grass' Danziger Ehrenbürgerschaft verlangt.

Schriftsteller-Kollegen geben Rückendeckung

Doch es gibt auch mäßigende Stimmen innerhalb der Medien-Kakophonie. So bezeichnete der Jenaer Historiker Norbert Frei Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS als "keine große Sache": Die Waffen-SS des Jahres 1944 sei keine Eliteformation mehr gewesen, sagte der Professor für Neuere und Neueste Geschichte.

Auch von Schriftsteller-Kollegen erhielt Grass weitgehend Rückendeckung. Juli Zeh, Autorin von "Adler und Engel", äußerte Verständnis für sein spätes Bekenntnis: Hätte er es schon in den 1960er oder 1970er Jahren abgegeben, wäre er "vernichtet worden". Der Präsident der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland, Johano Strasser, hält die teilweise heftige Kritik an Grass für "fürchterlich überzogen". Viele wollten Grass offenbar "etwas heimzahlen". (ana)