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Mausgraue Überraschung?

Bernd Riegert15. November 2006

Der nächste Präsident des europäischen Parlaments wird ein Deutscher: Hans-Gert Pöttering. So sieht es jedenfalls die Planung der beiden großen Fraktionen - der Konservativen und der Sozialisten - vor.

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Im europäischen Parlament gelten andere Regeln als sonst üblich. Es stellt nicht einfach die größte Fraktion den Präsidenten, sie braucht - wenn sie nicht über eine eigene Mehrheit verfügt - Partner bei der Wahl. Die Konservativen - erfolgstrunkene Sieger der letzten Europawahlen vor zwei Jahren - mussten auf die Sozialisten zugehen. Heraus kam ein typisch-europäischer Kuhhandel: In der ersten Hälfte der Legislaturperiode stellten die Sozialdemokraten mit dem Spanier Borrell den Präsidenten, jetzt in der zweiten Hälfte die Konservativen - wahrscheinlich Hans Gert Pöttering. Zwar ist der Kuhhandel amtlich, aber gewählt ist er noch nicht.

Pöttering gilt nicht gerade als der Strahlemann des europäischen Parlaments. Er ist ist auch nicht der rhetorisch brillante Herausforderer des Rats oder der Kommission. Er ist kein Mann der Schlagzeilen, er ist kein Politiker, der Schlagzeilen produziert. Es ist nicht seine Sache, mit Verve, mit lautstarkem Engagement für Europa zu werben. Vom Typ her ist er unscheinbar, zurückhaltend, bescheiden - wäre man bösartig, würde man sagen müssen: ein Hinterbänkler, ein mausgrauer.

Andererseits: Pöttering ist durchaus ein überzeugter Europäer. Er ist ein alter europäischer Fahrensmann, der dem Parlament seit 1979 angehört. Er kennt die Regeln, die Kniffe, die verschlungenen Wege im parlamentarischen Labyrinth. Er gehört dem Vorstand der CDU an - und hat das Ohr der Parteivorsitzenden Merkel. Er ist gut vernetzt, ein Mann, dem man nichts Schlechtes nachsagt oder nachsagen kann, ein Mann ohne Eigenschaften, hätte der österreichische Schriftsteller Musil konstatiert.

Aber in den europäischen Dschungelkämpfen sind das durchaus Tugenden. Er ist nicht sofort angreifbar, er ist kein Bullterrier des parlamentarischen Betriebs - wie der Fraktionsvorsitzende der europäischen Sozialisten, Martin Schulz. Aber eben - ohne Ecken und Kanten und Biss - ein Langweiler.

In Brüssel ist der Parlamentspräsident durchaus eine politische Größe. Er ist bei allen Gipfeln dabei. Er darf vortragen. Er ist das Sprachrohr des Parlaments, oft auch das einzige Gesicht, das jemand kennt. Er zählt zu den Big Shots - auch wenn ihn außerhalb des europäischen Betriebs kaum jemand wahrnimmt. Oder wer verbindet schon irgendwas mit dem Spanier Borrell? Und so wird es natürlich auch mit Pöttering sein.

Eine Ausnahme allerdings gibt es: In der ersten Hälfte 2007 führen die Deutschen die Geschäfte der EU. Angela Merkel ist Ratspräsidentin - und ihre natürliche Partner in Brüssel sind Kommissionspräsident Barroso und eben Pöttering. Und da in Berlin eine große Koaltion regiert, rückt auch der europäische Oppositionschef, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, selbstverständlich in den Brennpunkt der Öffentlichkeit. Er wird scharfzüngig flankieren, was Pöttering vielleicht milde in die Wege leitet.

Auf jeden Fall wird es ein deutsches erstes Halbjahr in Brüssel: Es wird deutsch gesprochen werden in Brüssel. Außer - und niemand sollte das bei einem unberechenbaren Parlament völlig ausschließen - Pöttering wird nicht gewählt. Dann stünden die europäischen Konservativen vor einem parlamentarischen Scherbenhaufen und die Sozialdemokraten auch, sie hätten nämlich nachgewiesen, dass ihr Wort nicht zählt - und Brüssel hätte seinen Eklat. Aber so muß es ja nicht kommen.

Erstaunlich ist nur, daß für den blassen, grauen Hinterbänkler Pöttering bis jetzt kein überzeugender Nachfolger aufzutreiben war. Vielleicht wird der Niedersachse doch unterschätzt?