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Ein Impfstoff gegen mehrere Erreger gesucht

30. Januar 2020

Es wird mindestens anderthalb Jahre dauern, bis eine Impfung gegen das neue Coronavirus auf den Markt kommt, sagt Virologie-Professor Stephan Becker. Vielleicht gelingt es, eine Impfung gegen mehrere Viren zu entwickeln.

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Impfstoff-Forschung in Marburg
In diesem Labor Forschen Marburger Virologen unter anderem an Impfstoffen. Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Deutsche Welle: Herr Prof. Becker, wie gehen Sie und ihre Forscherkollegen bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das neuartige Coronavirus vor?

Stephan Becker: Um diesen Impfstoff zu entwickeln, muss man das Immunsystem des Geimpften mit dem Oberflächenprotein des neuen Virus konfrontieren. Genau so haben wir das auch bei dem MERS-Coronavirus gemacht, das 2012 aufgetreten ist.

Wir machen das wie in einem Baukastensystem: Der Teil, der fertig ist, das ist die Impfstoffplattform. Das können verschiedene Viren sein, die den Menschen aber selbst nicht krank machen, sondern für ihn harmlos sind.

In diesen Baukasten wird dann die Erbinformation für das neue Oberflächenprotein von dem neuen Coronavirus eingefügt. Das kann aber genauso für das Ebola-Virus oder für das MERS-Coronavirus oder andere Viren passieren. Es ist für viele Viren möglich. 

Das Immunsystem wird dann Antikörper und eine zelluläre Immunantwort gegen das Oberflächenprotein des neuen Coronavirus entwickeln und beim Kontakt, also wenn der Mensch mit den Coronavirus infiziert wird, hoffentlich in einer schützenden Weise reagieren.

Das kann man natürlich nicht sofort sagen. Man muss den Impfstoff erst entwickeln, dann am Tier testen und schließlich am Menschen, bis der Impfstoff eingesetzt werden kann.

Dieses Baukastenprinzip, also die Methode mit Plattformen zu arbeiten, birgt ja auch Hoffnung, dass die Entwicklung recht schnell gehen könnte. 

Mehr dazu: Coronavirus: Impfstoffentwicklung - ein Wettlauf gegen die Zeit

Der Direktor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg Stephan Becker schaut aus einem Hochsicherheitslabor durch ein Fenster.
Prof. Dr. Becker forscht an verschiedenen gefährlichen ErregernBild: picture-alliance/dpa

Ja, es ist unser Ziel, dass es schnell geht. Eigentlich geht es relativ flott, einen Impfstoff zu konstruieren und im Tiermodell zu testen.  

Danach muss man aber den Impfstoff noch auf seine Toxizität [Giftigkeit] untersuchen. Danach muss man ihn produzieren, was auch länger dauern kann, weil die Sicherheitsbedingungen bei Impfstoffen extrem hoch sind. 

Und nachdem er produziert ist, muss er in einer klinischen Studie getestet werden. Das sind alles Prozesse, die brauchen einfach ihre Zeit und die kann man nicht beliebig beschleunigen. Wir müssen damit rechnen, dass es sicher mindestens anderthalb Jahre dauert, bis man einen Impfstoff dann wirklich an Patienten ausgeben kann.

Das SARS Virus war dem jetzigen Virus nicht unähnlich. Damals ist die Impfstoffentwicklung über die Tests an Makaken, also Affen, nicht hinausgekommen. Warum ist die Entwicklung an diesem Punkt stehen geblieben?

Der Grund war einfach, dass SARS verschwunden ist. Das lief von März bis Juli 2003 und danach gab es keine Fälle mehr, die man hätte behandeln müssen oder gegen die man hätte Vorsorge treffen müssen.

Die Impfstoffentwicklung ist auch teuer. Eine klinische Phase-1 Studie [bei der das Medikament auf unerwünschte Nebenwirkungen am Menschen getestet wird] oder eine Phase 2 Studie [bei der die Wirksamkeit der Impfung in der Ausbildung einer Immunantwort getestet wird] bringt wenig, wenn das Virus scheinbar gar keine Bedrohung mehr darstellt. 

Ein Kommentar dazu: Lass Dich nicht anstecken!

Das ist aber anders als bei Ebola, wo die Situation ja ähnlich war. Da war der Impfstoff gerade fertig geworden, als die erste große Epidemie in Westafrika gerade zum Erliegen gekommen war. Aber man hatte den Impfstoff trotzdem durch eine ausnahmsweise kombinierte Phase-1 und -2 Studie gebracht. Und das hat geholfen, bei der späteren Epidemie im Kongo besser vorbereitet zu sein.

Bei Ebola hatten wir schon 40 Jahre Erfahrungen mit dem Virus. Und wir wussten, dass Ebola-Ausbrüche immer wieder irgendwo in Afrika auftreten können. Es waren immer einige hundert Menschen – mal weniger, mal mehr – infiziert worden, von denen etwa die Hälfte gestorben ist.

Quarantänemaßnahmen haben da meist gegriffen und dann kam der Ausbruch zu einem Ende. Das waren zwar dramatische Ausbrüche, aber für die internationale öffentliche Gesundheit wurde es nicht als Problem wahrgenommen.

Das hat sich mit dem Westafrika-Ausbruch geändert, als plötzlich sehr viele Menschen infiziert waren und klar wurde, dass Ebola ganze Regionen destabilisieren kann. Da sind wir alle dann nochmal neu aufgewacht und haben gesagt: 'Wir müssen jetzt unbedingt etwas machen'. Und wir haben dann ja auch mitgeholfen, diesen Impfstoff in der klinischen Phase-1 Studie weiterzuentwickeln, der im Tier schon sehr gut getestet war.

Beim SARS hingegen war man sich nicht sicher, ob es überhaupt noch mal irgendwo auftritt. Es ist ja auch seit nunmehr 17 Jahren nicht mehr aufgetreten, und auch kein SARS-ähnliches Virus. Und deswegen ist die Forschung dann nicht weitergetrieben worden.

Bei MERS war das anders. Da kommt es immer wieder zu Einträgen in die menschliche Bevölkerung und das schon seit 2012. Insofern hat es da auch Sinn gemacht, die Impfstoffproduktion weiterzuentwickeln. 

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Und für MERS gibt es jetzt auch einen Impfstoff?

Ja, da haben wir gerade kürzlich eine Phase-1 Studie durchgeführt und es geht jetzt weiter in die Phase-2, und hoffentlich irgendwann auch in Phase-3.

Den MERS-Impfstoff hat das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickelt. Und das DZIF hat dann auch die Phase-1 Studie finanziert. Für die weiteren Studien haben wir die Unterstützung von CEPI gewonnen. Das ist eine Institution, in der Regierungen und große Stiftungen seit dem Ebola Ausbruch Geld hineingeben, um die Entwicklung von Impfstoffen gegen solche Viren zu finanzieren, für die es keinen Markt gibt.

Es gibt zum Beispiel keinen Markt für einen Ebola-Impfstoff, weil die Menschen, die es betrifft, es nicht bezahlen können. Deshalb versucht man hier ein Public Private Partnership, weil man für die Produktion der Impfstoffe auch die Impfstofffirmen benötigt. Und die werden dann von der öffentlichen Hand finanziert, um solche Impfstoffe herzustellen, für die die Firmen selbst keine Aussicht sehen, damit Geld zu verdienen.

SARS, MERS und das neue Coronavirus unterscheiden sich ja jeweils etwas. Wie gehen Sie damit um, dass das Virus so wandlungsfähig ist?

Der Ausbruch des neuen Coronavirus wird natürlich unsere Vorstellung davon nochmal verändern, wie man künftig Impfstoffe gegen Coronaviren produziert. Man wird sicher jetzt versuchen, Impfstoffe herzustellen, die gegen mehr als nur ein Coronavirus schützen. Das ist die Lektion, die man daraus lernen kann: Dass man versucht, Mittel zu entwickeln, die mehrere Coronaviren abwehren können. So etwas haben wir aber im Moment noch nicht.

Interessanterweise ist dieses neue Coronavirus dem SARS sehr ähnlich. Aber dummerweise genau da, wo man es braucht, leider nicht: An dem Oberflächenprotein ist es deutlich unterschiedlich.

Man müsste also spezielle Verfahren entwickeln, um eine Impfung zu entwickeln, die gegen verschiedene Coronaviren wirkt.

Jetzt stehen viele Betroffene unter Quarantäne. Heißt das nicht auch, dass die Epidemie vielleicht bald wieder zum Ende kommt, noch bevor es einen Impfstoff gibt – wie bei SARS auch?   

Das ist genau das, was wir uns wünschen: Dass die drakonischen Quarantäne-Maßnahmen auch wirklich wirken. Das wäre sehr gut. Man kann bei einer Impfstoffentwicklung aber nicht abwarten, bis sich das ganze epidemiologische Bild gezeigt hat: Bis man weiß, ob das Virus einem leider erhalten bleibt, wie bei MERS, oder ob es wieder verschwindet wie bei SARS.

Man darf sich nicht zurücklehnen und sagen: Erst wenn es schlimm wird, dann machen wir was. Dann ist die Zeit, um etwas zu tun, vorbei. Je schneller man ist, desto besser ist es. Deswegen würde ich auf jeden Fall empfehlen, dass man an den Impfstoffen gegen das neue Coronavirus weiterarbeitet. Und wenn man dann hinterher sieht, dass die Epidemie vorbei ist und das Virus sich nicht in der menschlichen Bevölkerung etabliert hat, wird man sagen: OK, dann führen wir das jetzt mit etwas weniger Dampf weiter. Aber es ist auf jeden Fall gut investierte Zeit und Geld. 

Das Interview führte Fabian Schmidt

Prof. Dr. Stephan Becker ist Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Er koordiniert einen Sonderforschungsbereich für RNA-Viren und ist Koordinator einer Arbeitsgruppe für neu entstehende Infektionskrankheiten am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. 

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen