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PolitikEuropa

Kolesnikowa: Mit Lächeln gegen Lukaschenko

Roman Goncharenko
8. September 2020

Die belarussische Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa wurde offenbar entführt und sollte abgeschoben werden. Dann soll sie ihren Pass zerrissen haben und blieb. Wie wichtig ist sie für den Protest?

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Maria Kolesnikowa
Bild: picture-alliance/AA/M. Serebryakova

Einen Tag nach der mutmaßlichen Entführung von Maria Kolesnikowa in Minsk gibt es erste Hinweise, was genau passiert sein könnte. Die letzte noch in Belarus gebliebene prominente Oppositionsfigur sollte offenbar in der Nacht auf Dienstag zur Ausreise in die Ukraine gedrängt worden sein, ähnlich wie Olga Kowalkowa, ebenfalls Mitglied im Vorstand des oppositionellen Koordinationsrats. Kowalkowa wurde kurz davor faktisch nach Polen abgeschoben.

Während zwei Mitstreiter Belarus in Richtung Ukraine verließen, zerriss Kolesnikowa Medienberichten zufolge ihren Pass, um doch zu bleiben. Das bestätigte am Dienstag ihr Mitstreiter Pawel Latuschko, ebenfalls Mitglied im Koordinationsrat. In dem Interview mit vier russischen Medien bestätigte Präsident Alexander Lukaschenko am Dienstag, Kolesnikowa sei beim Grenzüberqueren festgenommen worden, teilte einer der Journalisten, die das Interview führten, in seinem Telegram-Kanal mit.   

Frontfrau ohne Führungsanspruch

Kolesnikowa stieg in den vergangenen Wochen zur Frontfrau der oppositionellen Bewegung auf, die sich gegen Machthaber Alexander Lukaschenko stellt und ihm Fälschung der Wahl vom 9. August vorwirft. Bevor die 38-Jährige von Unbekannten entführt wurde, war sie bei Protesten in der Hauptstadt Minsk immer vorne mit dabei.

Belarus Minsk | Proteste - Maria Kolesnikowa
Maria Kolesnikowa während einer Protestaktion in MinskBild: Getty Images/AFP/S. Gapon

Vor den Kameras wirkte Kolesnikowa stets gut gelaunt, sie lachte und lächelte viel und gern, als würde sie den seit 26 Jahren regierenden autoritären Präsidenten der früheren Sowjetrepublik weglächeln wollen. In einem Interview mit der Moskauer Zeitung "Kommersant" Anfang September gab sie allerdings zu, dass ihre jetzige Rolle auch belastend sei: "Es ist nicht einfach für mich." 

Eine der größten Herausforderungen für Kolesnikowa scheint dabei ihr Wunsch, Menschen gegen Lukaschenko zu mobilisieren, ohne formell eine Führungsposition zu übernehmen. Denn eine solche Rolle würde der belarussischen Justiz den Vorwand geben, sie zu verhaften. "Es wäre einfacher für uns, wenn es einen Anführer gäbe", sagte Kolesnikowa im "Kommersant"-Interview. Man habe sich jedoch gegen festgelegte Hierarchien entschieden, um Festnahmen zu erschweren.   

Kulturmanagerin mit Interesse für Politik

Noch vor wenigen Monaten kannten nur wenige den Namen der Profi-Flötistin und Kulturmanagerin mit der markanten kurzen Frisur, die in Minsk und Stuttgart Musik studiert hat und erst vor einigen Jahren wieder in ihrer Heimat aktiv wurde. Sie engagierte sich für Musik-Projekte, förderte den Künstleraustausch zwischen Belarus, Russland, der Ukraine und Deutschland.

Martin Schüttler, Professor an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart, beschrieb Kolesnikowa im Gespräch mit der DW als "wahnsinnig starke Persönlichkeit". "Sie ist unglaublich optimistisch, zupackend, aktiv und voller Energie. Eigentlich ist sie fast nicht zu bremsen, egal, was sie anpackt", so Schüttler, den sie zu einem Workshop mit Konzerten nach Minsk eingeladen hatte.

Kolesnikowa trat gerne auch selbst vor Publikum auf, rief die Vortragsreihe "Musikunterricht für Erwachsene" ins Leben und referierte 2017 über Beethoven und Pussy Riot in einer Veranstaltung, die sie "Musik und Politik" nannte. 

Zepkalo, Tichanowskaja und Kolesnikowa
Zepkalo, Tichanowskaja und Kolesnikowa Bild: picture-alliance/AP/S. Grits

In die aktive Politik folgte Kolesnikowa dem Ruf von Viktor Babariko, dem früheren Top-Manager der "Belgazprombank" und Kunstmäzen, den sie nach eigenen Angaben über ihre Projekte kennengelernt hatte. Babariko kündigte im Mai überraschend seine Präsidentenkandidatur an. Der Quereinsteiger gewann schnell an Unterstützung, wurde jedoch im Juni wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen verhaftet, zusammen mit seinem Sohn, der seinen Wahlkampf geleitet hatte.

Babariko wurde zur Wahl nicht zugelassen und Kolesnikowa bildete eine Allianz mit der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, deren Ehemann, ein Videoblogger, ebenfalls verhaftet und zur Wahl nicht zugelassen wurde. Zusammen mit Veronika Zepkalo, der Ehefrau eines weiteren nicht zugelassenen Kandidaten, bildeten sie ein weibliches Oppositionstrio. Doch Zepkalo verließ Belarus bereits am Wahltag, offenbar aus Angst vor Verfolgung, Tichanowskaja wurde kurz danach zur Ausreise gedrängt. Kolesnikowa blieb.

Risse im Verhältnis zu Tichanowskaja

Es war ihr stets klar, dass sie jederzeit festgenommen werden könnte, sagte Kolesnikowa im Sommer in einem DW-Gespräch: "Mich stoppt das nicht und macht mir keine Angst. Denn ich weiß, dass Prozesse, die in der belarussischen Gesellschaft begonnen haben, unumgänglich sind."  

Es ist schwer, Kolesnikowas Einfluss im siebenköpfigen Koordinationsrat der Opposition einzuschätzen, dem auch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch angehört. Die meisten Mitglieder wurden festgenommen oder ins Ausland verdrängt. Die Behörden erkennen dieses Gremium nicht an und ermitteln dagegen. Kolesnikowa war am stärksten medial präsent, betrieb einen Videoblog und wirkte dabei souveräner als die frühere Hausfrau Tichanowskaja.

Anfang September wurden zum ersten Mal Risse im Verhältnis der beiden Frauen sichtbar. Tichanowskaja, die sich als Wahlsiegerin sieht, kritisierte einige Anstöße von Babariko und Kolesnikowa, nämlich eine Verfassungsreform. Auslöser war ein Video von Babariko, aufgezeichnet offenbar noch vor seiner Verhaftung. Die Opposition habe die Wahl nicht verloren, kritisierte Tichanowskaja die Wortwahl von Babariko. Im gleichen Video kündigte Kolesnikowa die Gründung einer neuen Partei an, die "Zusammen" heißen soll. Wie sehr dieser Vorstoß das Verhältnis in der Oppositionsführung belastet, ist unklar.