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Musik

Markus Hinterhäuser: "Wir bewegen uns auf dünnem Eis"

9. Juni 2020

Der Intendant der Salzburger Festspiele erklärt im Gespräch mit der DW, warum er die 100. Ausgabe des Festivals trotz der Corona-Krise nicht abgesagt hat.

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Markus Hinterhäuser Intendant Salzburger Festspiele
Bild: picture-alliance/F. Neumayr

DW: Herr Hinterhäuser, die Salzburger Festspiele finden also statt, als einziges großes Musikfestival in diesem Sommer. Was ist für Sie die wichtigste Botschaft, die Sie damit in die Welt senden wollten?

Die Botschaft ist, dass wir etwas machen können und dass wir das auch machen werden. Wir haben ja alle diese letzten Wochen und Monate erlebt - ein wirklich bedrückender, melancholischer Stillstand, wo niemand so wirklich wusste, welche Perspektive wir noch geben können. Dann kamen die neuen Verordnungen von der österreichischen Bundesregierung. Und wir haben gesagt: "Ok, wir sind dazu da, dass wir Menschen einladen, hierher zu kommen und Musik, Oper und Schauspiel zu erleben!"

Sie haben, im Gegensatz zu vielen anderen Festspiel-Intendanten, sehr lange gezögert mit der Absage und haben sich bis Ende Mai Zeit gelassen. Das sah noch vor wenigen Tagen nach einer Realitätsverweigerung aus. Was hat Sie so mutig gemacht?

Es war eine Mischung aus Hoffnung, Intuition und auch ein wenig Trotz. Im Sinne von Karl Valentin, der diesen schönen Satz gesagt hat: "Hoffentlich wird alles nicht so schlimm, wie es schon ist." Es kann ja nicht ewig so bleiben, wie es ist!  Zumindest hier in Österreich ist wirklich eine Bewegung zu spüren. Es gibt einen großen Druck der Kultur-Branche auf die Politik, und diesem Druck ist auf eine sehr kluge und behutsame Weise nachgegeben worden.

Waren die anderen Festivals womöglich zu schnell mit ihren Absagen?

Das möchte ich nicht beurteilen. Das muss jeder für sich entscheiden. Die Situation in Österreich ist, wenn ich das so ausdrücken darf, ein bisschen elastischer als in Deutschland, hier herrscht eine größere Gelassenheit. Wichtig ist auch, dass man Eigenverantwortung übernimmt. Indem jeder für sich die Verantwortung übernimmt, übernimmt er sie auch für die anderen. Es ist vollkommen klar, dass das Virus unter uns ist. Aber wir können nicht die Welt noch monatelang stillstehen lassen, bis es endlich ein Medikament oder eine Impfung gibt.

Team der Salzburger Festspiele: kaufmännischer Direktor Lukas Crepaz, Präsidentin Helga Rabl-Stadler, Intendant Markus Hinterhäuser
Drei Engel für Salzburg: kaufmännischer Direktor Lukas Crepaz, Präsidentin Helga Rabl-Stadler, Intendant Markus HinterhäuserBild: Getty Images/AFP/B. Gindl

Hätten Sie ein Festival in Deutschland unter zur Zeit geltenden Bestimmungen durchführen können?

Nicht in dieser Art, wie wir das jetzt in Salzburg machen.

Bis zu 1000 Zuschauer dürfen im Großen Festspielhaus Konzerte und sogar Opernaufführungen genießen. Generelle Maskenpflicht gilt nicht am Sitzplatz. Haben Sie keine Angst, dass man Ihnen Verletzung der Sorgfaltspflicht vorwerfen wird?

Ich weiß, dass wir uns auf sehr dünnem Eis bewegen. Aber wir bewegen uns immer im Rahmen einer gesetzlichen Vorgabe. Ein Restrisiko bleibt - aber es bleibt auch so gut wie in jedem Lebensbereich. Wir müssen lernen, mit diesen Situationen umzugehen. Und wenn wir es nicht lernen, werden wir alle verlieren, und zwar nicht nur in jedem gesellschaftlichen Bereich.

Werden Sie auch andere Räume suchen - reale oder virtuelle? Was halten Sie generell von Streaming und ähnlichen Methoden, kontaktlos in Berührung mit der Kunst zu kommen?

Wir werden das an einem Tag möglicherweise versuchen. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es nichts Kostbareres gibt als die Zusammenkunft der Menschen. Streaming ist eine Möglichkeit, in Kontakt zu treten, aber eine Möglichkeit, die frei von jeder auratischen Qualität ist. Es geht nichts über ein erfülltes Konzerterlebnis. 

Inwieweit halten Sie es für notwendig und möglich, auf aktuelle Ereignisse wie die Welle des Protests und der Gewalt in den USA zu reagieren?

In meinem Verständnis, wenn wir zum Beispiel sehr schnell, in wenigen Wochen, ja Tagen, eine neue "Così fan tutte" hier möglich machen, die gar nicht geplant war, die mit einem ganz bescheidenen Bühnenbild und Kostümen und mit einer sehr reduzierten Probenzeit auskommen wird, dann beziehen wir auch Stellung zu dem, was wir jetzt in den letzten Wochen erlebt haben und in den nächsten Wochen und Monaten noch erleben werden.

Peter Simonischek während der Probe zu "Der Sturm" beim Festival 2016
Große Werke neu befragen: Peter Simonischek während der Probe zu "Der Sturm"Bild: picture-alliance APA/B. Gindl

Am liebsten hätte ich dieses Jahr eine "Intolleranza" von Luigi Nono gespielt, das wäre das Stück der Stunde. Was ist Toleranz? Wie stellt sich Toleranz heute da? Ich glaube ganz fest daran, dass die Partituren, die hunderte Jahre alt oder jung sind, ihre Vitalität nur dadurch bekommen, indem man sie ständig neu liest. Die großen Meisterwerke sind für die Menschheit wie Mikroskope: Wenn wir genau hinschauen, erkennen wir, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir möglicherweise gehen.

Sie haben meine letzte Frage damit vorweggenommen: Wie sehen Sie die Rückkehr zur Normalität, wie wir sie früher kannten, und werden wir sie überhaupt sehen? Glauben Sie, dass die Corona-Krise die Kultur- und damit auch die Festspiellandschaft langfristig und nachhaltig verändern wird?

Es wird Veränderungen geben, und die werden möglicherweise gravierend sein. Die haben mit Finanzierungsmöglichkeiten zu tun und einer Frage der Akzeptanz. Wie viel kann man investieren in das, was Kultur ist? Wir werden eine andere Ästhetik finden und definieren müssen, womöglich weg von den bombastischen Inszenierungen.

Das Gespräch führte Anastassia Boutsko.