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Massaker auf dem Marktplatz von Sarajewo: Wendepunkt im Bosnien-Krieg

25. August 2005

Am 30. August 1995 startete die NATO Luftangriffe auf serbische Stellungen in Bosnien. Zwei Tage zuvor starben Zivilisten bei einem Granatenangriff auf dem Marktplatz von Sarajewo - ein Wendepunkt im Bosnien-Krieg.

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Sarajewo nach dem KriegBild: AP

Zehn Jahre sind seit dem 28. August 1995 vergangen, als die serbische Artillerie auf dem Marktplatz in der Altstadt von Sarajewo 37 Menschen mit einer Artilleriegranate tötete. Bereits ein Jahr zuvor, am 5. Februar 1994, waren auf demselben Marktplatz bei einem ähnlichen Granatenangriff 67 Zivilisten ums Leben gekommen. Der Marktplatz erinnert noch heute die Einwohner von Sarajewo an die Zeit der Belagerung.

Der Sarajewoer Schriftsteller Senadin Musabegovic erinnert sich: "Das Massaker auf dem Marktplatz war nur eins in einer ganzen Reihe von Massakern, die jeden Tag in Sarajewo stattfanden. Im Rahmen der Belagerung von Sarajewo sind ja Tag für Tag bis zu fünfzehn Menschen ums Leben gekommen. In den Gräbern von Sarajewo liegen etwa 15.000 Kriegsopfer. Es gab viele Opfer, die nicht von den Fernsehkameras aufgenommen wurden. Und zynisch ist es, dass das, was von den Kameras nicht erfasst wurde, für die internationale Gemeinschaft nicht existiert hat."

Für die internationale Gemeinschaft war der Vorfall auf dem Marktplatz hingegen von besonderer Bedeutung. Die Staatengemeinschaft hatte während des Krieges versucht, eine politische Lösung zu finden und Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien zustande zu bringen. Dreieinhalb Jahre lang lag Sarajewo unter schwerem Artillerie- und Heckenschützenfeuer. Die Armee der bosnischen Serben, bestückt mit schweren Waffen und großen Munitionsreserven, schoss von den Bergen ringsum in die Stadt hinein. Der Angriff auf den Marktplatz signalisierte der internationalen Gemeinschaft, dass die diplomatischen Bemühungen um Friedensverhandlungen auch mit glaubhafter militärischer Macht gekoppelt werden müssen, um Erfolg zu haben.

Wendepunkt der internationalen Politik

Franz-Lothar Altmann, Südosteuropa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, beschreibt die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, einen Frieden herbeizuführen am Vorabend des Anschlags: "In den Tagen zuvor war U.S. Vermittler Richard Holbrooke ständig unterwegs und hat versucht, einen Friedensprozess in Gang zu setzen. Er wurde dabei offensichtlich immer frustrierter. Noch einen Tag bevor dieses Geschoss auf den Markt von Sarajewo einschlug, war noch einmal eine Warnung an die bosnischen Serben ergangen, dass die NATO wirklich intervenieren würde, wenn der Verhandlungsprozess nicht endlich in Gang käme."

Der Anschlag vom 28. August war nach Altmanns Worten nur der letzte in einer Reihe schwerer Kriegsverbrechen, die letztlich zu einem Umschwenken der internationalen Politik geführt haben. Nur wenige Monate zuvor war Srebrenica gefallen, und durch Berichte der Überlebenden war deutlich geworden, dass dort ein Massaker stattgefunden hatte. Franz-Lothar Altmann: "Es war ein Aufschaukeln des Unwillens und ein Gefühl der Ohnmacht, dass man tatsächlich mit einem Friedensprozess nicht vorankommt, ohne militärisch einzugreifen. Diese zweite Attacke auf Sarajewo war dann der Wendepunkt, der ja dann auch den Frieden in Bosnien und Herzegowina herbeibrachte."

Zwei Tage nach dem Anschlag begann die NATO mit Luftangriffen. Altmann sieht darin den Beginn vom Ende des Krieges: "Es hat dann doch noch einige Zeit gedauert, da die NATO noch bis zum 14. September Bombenangriffe durchgeführt hat. Es dauerte also noch einige Zeit, bis besonders die serbische Seite dann bereit war, einen Waffenstillstand zu unterschreiben."

Schwieriger Umgang mit der Vergangenheit

Fast zehn Jahre sind seitdem vergangen, aber noch immer tut sich Bosnien schwer mit der Entwicklung einer toleranten und demokratischen Gesellschaft. Senadin Musabegovic sieht die Gründe dafür in der blutigen Teilung und ethnischen Säuberung des Landes. Seiner Meinung nach sind nationalistischen Ideologen noch immer aktiv und Ideologien noch immer in den Köpfen der Menschen - trotz der Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft. Musabegovic meint: "Politische Strukturen, die auf staatlicher Ebene das Verbrechen organisiert hatten, sind noch immer da. Sie haben vielleicht nur ihr politisches Vorzeichen geändert. Noch immer versucht die internationale Gemeinschaft, mit diesen Menschen einen Kompromiss zu erzielen."

Noch immer leugnen manche Politiker in Bosnien, dass der Angriff auf den Marktplatz von den Belagerern Sarajewos ausgeführt wurde. Andere argumentieren, dass dem Zusammenleben in der Zukunft mehr gedient sei, wenn Wahrheiten, die der einen oder der anderen Seiten unangenehm sind, besser in Vergessenheit gerieten. Musabegovic widerspricht dem: "Dass die Wahrheit im Interesse des Friedens verfälscht werden soll, ist absolut falsch. Das Prinzip des Rechts darf auch nicht für den Frieden verletzt werden."

Gordan Milosevic
DW-RADIO/Bosnisch, 25.8.2005, Fokus Ost-Südost