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"Die Zustände sind katastrophal"

Neil King | Gabriel Borrud
24. Oktober 2020

Ein schonungsloser Insider-Blick auf die Missstände in der Massentierhaltung aus der Sicht des ehemaligen Schlachters und langjährigen Lebensmittelkontrolleurs Franz Voll. Die DW traf ihn zum Gespräch.

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Hitzewelle in Europa Tiertransport
Bild: picture-alliance/dpa/F.-P. Tschauner

Die Fleischindustrie steht wegen der inhumanen Tierhaltungspraxis und unnötig brutaler Schlachtmethoden zunehmend in der Kritik. Doch noch immer ist es extrem schwierig für Journalisten, Zugang zu Schlachthäusern zu bekommen, um die Vorwürfe zu verifizieren. Als Teil einer Recherche für die Podcast-Reihe "On The Green Fence" sprach die DW mit einem ehemaligen Schlachter und langjährigen Lebensmittelkontrolleur über die Situation.

DW: Wie sind die Zustände in der Massentierhaltung?

Voll: Die Zustände sind natürlich katastrophal. Das liegt aber in erster Linie daran, dass die Massenbetriebe und auch die Aufzuchtbetriebe abhängig sind von der Fleischindustrie, teilweise sogar von denen gelenkt werden. Und da geht's wirklich nur ums Geld. Da geht es um nichts anderes, nur um Gewinn und Ertrag.

Schweine liegen apathisch in einer Ecke
Blick in einen Stall: Diese Schweine wurden mit dem Wehenhemmer Clenbuterol behandeltBild: Zhou Qing
Ein Lastwagen voller Schweine kommt in Deutschlands größtem Schlachthof Tönnies an, während ein Greenpeace-Aktivist ein Transparent mit der Aufschrift "Schluss mit dem Schweinesystem" entrollt
"Schluss mit dem Schweinesystem" fordert nicht nur dieser Greenpeace-Aktivist mit einem Transparent an Deutschlands größtem Schlachthof TönniesBild: Reuters/W. Rattay

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Das ist ja ein System. Es gibt sowohl angemeldete als auch unangemeldete Kontrollen durch das Veterinäramt. Sie waren ja auch Teil dieses Systems, Sie waren auch Kontrolleur. Können Sie uns erklären, was da genau passiert bei diesen Kontrollen?

Wenn wir eine Lebensmittelkontrolle nehmen, zum Beispiel in so einem großen Industriebetrieb, läuft das folgendermaßen ab: Man kommt vorne zum Tor - da braucht man schon mal eine halbe Stunde, bis man dann jemanden hat, der verantwortlich ist und einen abholt.

Portrait I Franz Voll I Autor
Franz VollBild: Privat

Dann geht man in einen Hygiene-Raum, zieht sich um und dann betritt man den Betrieb. Das heißt also, die hätten theoretisch schon mal 45 Minuten Zeit, aufzuräumen. Ob sie es machen, kann ich nicht sagen. 

Den [Betrieb, d.Red.] können sie gar nicht mit zwei Leuten kontrollieren. Und den kann man schon gar nicht in drei Stunden kontrollieren. Da braucht man fünf Leute und die müssen mindestens einen ganzen Tag da sein. 

Wir hatten selbst bei einigen Betrieben angefragt und es kam gar keine Rückmeldung. Für Journalisten ist es nicht so einfach, da reinzukommen. Ist das auch mit ein Grund, dass zu wenig Verstöße gemeldet werden?

Protestierende in Frankreich fordern auf Bannern, die mit Kunstblut getränkt sind: "Open the Farms!"
Die Zustände in Schlachthöfen sind immer wieder Anlass für Proteste von Aktivisten - hier in FrankreichBild: Imago Images/IP3press/V. Isore

Ja, dass so wenig Verstöße gemeldet werden, hat viele Gründe. Der Erste ist: Wir als Überwachung dürfen ja überhaupt nicht nach außen gehen. Das heißt, wenn wir etwas feststellen, eröffnen wir ein Verfahren, Bußgeld- oder Strafverfahren. Das passiert alles hinter verschlossenen Türen. Und das ist gut so. Und keiner von uns, gerade aus den Ämtern, darf rausgehen und sagen "Jetzt rufe ich mal mein Freund von der Zeitung an und sage ihm was hier los ist". Weil es verboten ist.

Eine Demonstrantin hält ein Schild mit der Aufschrift "Wo sind die Schweine?" hoch
Protest vor dem Hauptsitz des deutschen Schlachthofbetreibers TönniesBild: Getty Images/AFP/I. Fassbender

Eine Frage zu den Kontrollen und den Geldbußen, die verhängt werden, wenn etwas falsch läuft. Ist das überhaupt abschreckend für die Betriebe angesichts der Gewinn-Margen oder nicht eher wie ein Knöllchen fürs Falschparken und mehr nicht?

Also als ich gelernt habe, da waren die Margen ja auch schon sehr schön. Das hat sich leider nicht allzu viel verändert. In meiner ganzen Zeit haben wir nie Bußgelder erhoben, die vierstellig waren, und das war immerhin bis 2013.

Ist das der Hauptgrund, warum dieses System des Billigfleischs so schwer zu durchbrechen ist? Oder sehen Sie noch andere Faktoren?

Der Hauptgrund sind in jedem Fall erst einmal die Kontrollen. Wir müssen also weg von der Kommunalität. Wir brauchen auch auf Länderebene gar nichts zu versuchen. Wir müssen mindestens auf die Bundesebene. Am besten wäre, auf der EU-Ebene die Kontrollen anzusetzen. 

Tönnies und die Werkverträge - Ausbeutung mitten in Deutschland

Sie haben selbst früher im Schlachthof gearbeitet. Was haben Sie da gemacht?

Ich habe in den Jahren 1980/81 als Kopf-Schlachter gearbeitet. Da habe ich vorne am Band gestanden und habe die schon toten Schweine aufgebrochen und Därme und Nieren entfernt. Da gibt es 20 Stationen und jeder macht einen Handgriff. Und zu unserer Zeit war das noch sehr human. Da schlachteten wir nur 3000 Schweine am Tag. Heute bei Schlachtzahlen von 25.000 Schweinen am Tag hat sich bestimmt nicht viel verbessert. Vor allen Dingen für die Tiere nicht.

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Sie haben in einem Artikel gesagt, dass es damals einen Bezug zum Tier gegeben hat. Was meinen Sie damit?

Ganz früher war das so. Damals, als ich gelernt habe, in der Stadt Essen, hatten wir noch einen eigenen Viehmarkt. Dann haben wir das Tier genommen und haben es selber so ruhig wie möglich in die Schlachthalle gebracht und haben es selber geschlachtet.

Schweinehälften werden von Mitarbeitern eines Schlachtbetriebs bearbeitet
In Deutschland werden täglich bis zu 25.000 Schweine geschlachtetBild: Imago Images/biky/M. Stepniak
Schweinerippen werden an großen Sägen in einem Schlachthaus zerteilt
Ein persönlicher Bezug, den Metzger früher zu den Tieren hatten, dürften diese Fleischarbeiter eher nicht habenBild: Imago Images/biky/M. Stepniak

Heute kommen LKW mit 40 Rindern, die auf der Autobahn schon ordentlich durchgeschüttelt wurden und fürchterlich verschreckt sind. Die werden ausgeladen. Natürlich unter Zeitdruck, mit viel Geräuschen, mit Elektroschockern und Kunststoff-Knüppeln. Da muss man knallen, damit sie laufen, und dann werden sie eingepfercht. Und dann werden sie nacheinander so schnell wie möglich geschlachtet. Das ist etwas völlig anderes. Die Tiere heute, [zu denen] hat der Metzger keinen Bezug mehr.

Sie sagen sie, Sie seien auch Fleischesser, und das mit Genuss. Was haben Sie das letzte Mal für ein Kilo Fleisch bezahlt?

Ich zahle im Durchschnitt für Rindfleisch zwischen 24 und 30 Euro das Kilo. Das kommt von einem Landwirt, den kenne ich sehr gut. Ich kenne auch die Tiere sehr gut und ich kenne die Verhältnisse, unter denen das Tier gelebt hat. Und das ist es mir wert. Es geht auch etwas günstiger.

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Man kriegt das auch schon für 17, 18, 19 Euro das Kilo. Alles was darunter ist, ist garantiert Massentierhaltung. Das lehne ich vollkommen ab.

Können Sie uns als Verbraucher erklären - wenn wir in den Supermarkt gehen und Fleisch kaufen, was kaufen wir da?

Sie kaufen ein Stück Rind, von dem Ihnen niemand sagen kann, woher es stammt, auch wenn auf der Packung steht: geboren in Deutschland, gemästet in Deutschland, geschlachtet in Deutschland. Kann stimmen, muss es aber nicht.

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Das geht folgendermaßen: Kühe haben Marken am Ohr. [Die werden vor dem Zerlegen entfernt.] Jetzt kann man ja nicht alle diese Marken-Nummern auf die Packung drucken. An einen Tag werden dann 1000 Rinder geschlachtet, und die kriegen alle die gleiche Nummer. Und jetzt weiß man, in dieser Schlachtung waren Tiere von Bauer Müller, Bauer Meier, aus Amerika, aus Griechenland. 

Fleisch liegt unter Rotlicht in der Auslage eines Supermarkts
Die meisten Verbraucher kaufen ihr Fleisch in einem SupermarktBild: Colourbox
Ein Käufer hält eine Packung vegerarische Würste aus pflanzlichem Eiweiß der Marke Beyond Meat in seiner Hand
Mittlerweile sind aber auch immer mehr Fleischalternativen in Supermärkten zu findenBild: picture-alliance/dpa/Photoshot/R. Levine

Herr Voll, noch eine persönliche Frage. Können Sie sich an Ihr erstes Tier erinnern, das Sie geschlachtet haben? Wie war das?

Aber natürlich, das war ein Bulle. Ich weiß sogar noch die Nummer der Marke, die wurde mit der Schere ins Ohr eingeschnitten: 291. Das werde ich nie vergessen. Dann haben wir ihn rübergebracht in die Schlachthalle, dann wurde ihm mit einem Bolzenschussgerät eine Stahlbolzen ins Gehirn getrieben. Und dann fiel er um.

Er war noch nicht tot, nur hirntot. Das Herz muss ja pumpen, damit das Blut rauskommt. Als er umfiel und die Nerven zuckten, das hat mich seltsam berührt. Und als er dann abgestochen wurde und diese Riesenfontäne Blut rauslief, da hab ich das erste Mal gedacht, ob das das Richtige ist? Aber ich bin dabeigeblieben.

Glauben Sie, es wäre wichtig, das Bewusstsein zu schärfen für das Produkt? Dass zum Beispiel jeder einmal bei einer Schlachtung dabei sein sollte? Oder sollte man das den Menschen lieber ersparen?

Nein, das wäre sogar wichtig. Das war ja früher in den Dörfern üblich und alle, die einmal dabei waren, behandeln Tiere mit einer anderen Hochachtung.

Dann wäre das vielleicht auch leichter zu verstehen, wenn man sagt: Esst doch mal ein bisschen weniger Fleisch. Das lernt man, indem man das sieht. Das sollen ruhig alle sehen. Das sollte Schulfach werden.

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Sie kriegen einen anderen Bezug zum Tier. Wenn Sie wissen, der hat hier ein schönes Leben und das erhalten wir so lange wie es geht. Und irgendwann stirbt er für mich, damit ich etwas auf dem Teller habe.

Franz Voll ist ein Schlachter und Lebensmittelkontrolleur im Ruhestand. Er hat 50 Jahre in der deutschen Fleischindustrie gearbeitet. Er hat zahlreiche Bücher über die dubiosen Praktiken der industriellen Tierhaltung verfasst und ist ein scharfer Kritiker der großen Firmen in der Branche.

Das Interview wurde zur besseren Lesbarkeit leicht gestrafft.

In einer früheren Version wurde der Name des Interviewpartners am Beginn des Artikels falsch geschrieben. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.