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Literatur

Leipziger Buchpreis für Mathias Énard

22. März 2017

"Für die Syrer" steht in der Widmung seines aktuellen Romans "Kompass". Die Jury würdigte den französischen Schriftsteller und Orientforscher zum Auftakt der Buchmesse als "einzigartigen Vermittler" zwischen den Welten.

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Deutschland Auszeichnung für Mathias Enard auf der Leipziger Buchmesse
Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Zum Auftakt der Leipziger Buchmesse wurde am Mittwochabend der Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen. Preisträger ist der französische Schriftsteller Mathias Énard. In seiner Dankesrede betonte er, die Menschen würden häufig vergessen, dass der Mittelmeerraum ein äußerst lebendiger und wichtiger Teil der europäischen Geschichte sei. Daher habe er in seinem Roman "Kompass" versucht, "von Neuem ein wenig Licht auf den östlichen Teil der Geschichte der europäischen Kultur zu werfen". "Setzen wir der Unbeweglichkeit des Hasses die unendliche Hoffnung auf die Sonne der Erkenntnis entgegen", sagte der Schriftsteller.

Erinnerung an einen Orient, den es nicht mehr gibt

Viele Jahre lebte Mathias Énard im Nahen Osten - in Damaskus, Beirut und Teheran. Zuvor studierte er Arabisch und Persisch in Paris und nutzt diese Sprachkenntnisse auch für Übersetzungsarbeiten. Leyla Dakhyli war in Énards jungen Jahren in Damaskus eine Weggefährtin. Bei der Preisverleihung hielt die Expertin für Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der arabischen Welt die Laudation und erinnert sich an die gemeinsam in Syrien verbrachte Zeit. "Heute steckt in dieser geteilten Lebenserfahrung eine unsagbare Melancholie. Sie scheint von einem Orient zu sprechen, den es nicht mehr gibt."

Mathias Énard habe sich aus der Welt der Orientalisten und der Orientalen verabschiedet, um mit den Mitteln der Literatur "einen Weg der Erkenntnis und des Verstehens" aufzuzeigen. "Sein jüngster Roman 'Kompass' zeigt die Möglichkeit eines glücklichen Weges auf. Er verläuft über die Wissenschaft, die Liebe und die Schönheit der Bücher wie der Menschen."

Buchcover Kompass von Mathias Enard, Copyright: Hanser Berlin
Bild: Hanser Berlin

In "Kompass" taucht ein Forschungsreisender aus Wien, konfrontiert mit der eigenen Vergänglichkeit, in seine Erinnerungen ab und erzählt von seiner großen Liebe, und auch von Orten wie Aleppo und Palmyra. Für diese literarische Verknüpfung von islamischer, christlicher und jüdischer Tradition ehrte ihn die Jury des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung.

Vermittler in Zeiten politischer Schockstarre

"In einer Zeit, in der allenthalben Spaltung und Hass zu erleben ist, tritt Mathias Énard als einzigartiger Vermittler auf", heißt es in der Begründung für die Entscheidung. Der leidenschaftliche Orientforscher zeichne sich durch Kenntnisreichtum sowie durch literarische Sprachkraft aus. Gleichzeitig vermittle sein Roman "einen von großer menschlicher Anteilnahme geprägten Einblick in den arabischen Kulturraum", einer Welt, in der sich Orient und Okzident in zunehmender Schockstarre aus Feindseligkeit, Angst, Drohung und Gegendrohung gegenüber stünden.

In seiner auf Deutsch gehaltenen Dankesrede sprach Énard von Europa. "Es scheint, als hätten die politischen Kommentatoren dieser Tage vergessen, wer Europa war. Europa war eine libanesische Prinzessin, die an einem Strand bei Sidon von einem Gott des Nordens entführt wurde, der sie begehrte." Und der Autor erntete Szenenapplaus, als er zuspitzte: "Europa ist eine illegale Einwanderin, eine Ausländerin, eine Kriegsbeute." Die Königstochter verkörpere "das Andere in uns", vor dem sich manche Menschen heute verschlössen.

Syrien stehe in Flammen, und die Europäer seien nur traurige Zuschauer. "Wir haben Syrien aufgegeben, es wie einst den Libanon oder Bosnien der Zerstörung und dem Schmerz überlassen. ... Können wir nicht anders für Sicherheit sorgen als durch Vorherrschaft und Imperialismus?"

Hoffnung schenkt die Wissbegierde

Kompass habe er trotzdem im Zeichen der Hoffnung geschrieben. Aber "anscheinend funktionieren die Hoffnung auf Demokratie und Sehnsucht nach wirtschaftlichem Aufschwung nicht mehr bei den Ausgeschlossenen dieser Welt, bei den Ausgesperrten, den Menschen, die die Globalisierung von unten betrachten." Énard stützt seine eigene bescheidene Hoffnung auf die Neugier der Menschen, eine "Erotik des Wissens, darauf, dass sich das Begehren nach Wissen immer mehr ausbreitet".

Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung gehört zu einem der wichtigsten Literaturpreise in Deutschland. 2015 wurde Énards Roman "Kompass" schon mit dem Prix Goncourt, dem renommiertesten französischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Internationales Aufsehen machte bereits im Jahr 2008 sein Roman "Zone". Der innere Monolog eines Kriegsveteranen aus dem Jugoslawienkrieg besteht aus einem einzigen Satz und ist mehr als 500 Seiten lang.

sp/bb/fab (epd, dpa)