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"Mauern können auch fallen"

2. Dezember 2010

An ihm stoßen sich regelmäßig rechts und links, kurze Zeit wurde Kardinal Rodríguez Maradiaga als nächster Papst gehandelt: Mit DW-WORLD.DE sprach der streitbare Kirchenmann über Aktien, Moral und den Putsch in Honduras.

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Kardinal Rodríguez Maradiaga vor der Podiumsdiskussion zur Finanztransaktionssteuer (FTS) im Münster-Carré, am 28. November 2010 in Bonn. Fotos: Tomas Lay Herrera
Streitbarer Kirchenmann: Kardinal Rodríguez MaradiagaBild: Tomas Lay Herrera / DW

DW-WORLD.DE: Herr Kardinal, Sie werben derzeit im Rahmen der Kampagne "Steuer gegen Armut" für eine Besteuerung von Transaktionen auf den Finanzmärkten. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten für die Einführung einer solchen Transaktionssteuer - auf globaler oder aber zumindest auf europäischer Ebene?

ÓSCAR ANDRÉS RODRÍGUEZ MARADIAGA: Ich glaube nicht, dass das einfach werden wird. Solche Unternehmungen stoßen gewöhnlich bereits auf große Widerstände, noch bevor sie überhaupt richtig begonnen haben. Ich erinnere mich, als sich unsere Kampagne für einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt zu formieren begonnen hatte, stieß sie sogleich auf ein scheinbar undurchdringliche Mauer. Aber Mauern stürzen auch ein! Nach beinahe zehn Jahren Kampf in dieser Sache, wurde das Ziel erreicht. Und ich bin überzeugt, dass auch die Transaktionssteuer dafür bestimmt ist, erfolgreich zu sein. Es wird ein langer Kampf, an einen kurzfristigen Erfolg glaube ich nicht. Aber auf mittlere Sicht wird Einvernehmen darüber bestehen, nicht nur unter den Autoritäten sondern vor allem in der Basis; im Hintergrund der Parlamente und unter denjenigen, die die Außenpolitik gestalten, da gibt es, glaube ich, große Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen.

Was würde die Einführung einer solche Transaktionsteuer bedeuten für die Entwicklung der Millenniusmziele aber auch für globale Organisationen wie Caritas International, deren Vorsitzender Sie sind?

Kardinäle bei Messe im Petersdom - Oscar Andres Rodriguez Maradiaga (Foto: dpa)
Rodríguez war 2005 im Rennen um die PapstnachfolgeBild: dpa

Zunächst einmal kann man an keinerlei Linderung der Armut denken, ohne konkrete Ressourcen einzurechnen. Und diese Mittel könnten aus einer Finanztransaktionssteuer geschöpft werden. Wenn wir uns ansehen, wieviele Transaktionen es an einem Tag allein unter den Ländern der G20 gibt, das ist eine enorme Menge an Geld. Außerdem könnte eine Besteuerung der Finanzmärke helfen, Spekulation zu begrenzen. Und Spekulation war nun einmal mitverantwortlich für unsere derzeitige ökononomische Krise.

Manche der von der UNO verabschiedeten Millennium-Entwicklungsziele waren zum Teil umstritten zwischen den sozialen Bewegungen und der katholische Kirche; vor allem die Frage nach dem Gebrauch des Kondoms. Nun hat Papst Benedikt XVI. eine vielbeachtete Erklärung zum Kondom abgegeben. Können wir vom Anbruch einer neuen Ära sprechen?

Ich glaube, da gab es einiges Sensationalismus. Es war eine Stellungnahme, die sich im Rahmen der traditionellen katholischen Morallehre bewegt. Bloß ist die der Mehrheit offenbar unbekannt (lacht). Sehen Sie, beispielsweise Caritas International leistet nicht nur viel Arbeit bei der Prävention sondern auch der Beseitigung von HIV und AIDS. Aus dem weltweiten Fond zur Bekämpfung von AIDS erhält die katholische Kirche weniger als zwei Prozent. Aber sie unterhält gleichzeitig 27 Prozent aller Einrichtungen zur Betreuung und Behandlung von AIDS-Kranken. Das sind Zahlen, die man kennen sollte.

In Lateinamerika gab es zuletzt Bewegung in einer Reihe von Debatten über die Perspektive der katholischen Kirche auf Fragen wie Abtreibung oder der Homosexuellen-Ehe. Hat die Kirche in diesen Debatten an Einfluss verloren, wenn zum Beispiel Argentinien nun die Schwulenehe einführt?

Ich glaube, wir müssen zunächst einmal sehen, was eine Ehe ist. Ich glaube, es ist völlig klar, wenn man die Ehe im Lichte des Wort Gottes betrachtet, bedeutet sie Schöpfung und definiert, wie wir menschlichen Wesen sind. Es ist keine Frage der Wahl, des Wählens nach eigenen Vorlieben. Ich glaube, das wäre eine etwas missverstandene Anthropologie. Wenn wir uns die anthropologische Theologie ansehen, die biblische Anthropolgie, dann ist die Antwort sehr offensichtlich. Im übrigen strebt die Kirche nicht nach Einfluss oder irgendeiner Form von Macht. Die Kirche strebt danach zu dienen, dem Leben zu dienen.

Herr Kardinal, wir können dieses Interview nicht beenden, ohne über ihre Heimat Honduras gesprochen zu haben. Die Haltung der honduranischen Bischofskonferenz, deren Vorsitzender Sie waren und sind, nach dem Sturz des Staatschefs Manuel Zelaya im Sommer 2009 war nicht unumstritten. Wie beurteilen Sie die Ereignisse mehr als ein Jahr danach?

Mir gefällt die Art, wie Sie danach fragen. Wir können nicht Díngen verhaftet bleiben, die schon ein Jahr zurückliegen. Das Problem damals war ein sehr reales: Und die Lösung war die Suche nach Demokratie. Noch immer gibt es Menschen, die die Realität nicht verstehen wollen. Sie verharren in einer Haltung, die, wie mir scheint, noch der Situation vor mehr als einem Jahr entspringt. Aber Honduras ist nicht stehengeblieben und wird auch nicht stehenbleiben.

Glauben Sie, damals hat man die Institutionaliät gestärkt?

Ich glaube, vor allem wurde die Gerechtigkeit bestärkt. Wenn es Probleme gibt, die mit der Verfassung der Republik zu tun haben, muss zuerst die Verfassung wiederhergestellt werden. Das gesamte diplomatische Korps, einschließlich des deutschen Botschafters, kannte die Situation vollkommen. Trotzdem gelangte eine Sicht nach draußen in die Welt, die nicht völlig korrekt war.

Was war die Sicht, die völlig korrekt war?

Wie Sie wissen, wollte man die Verfassung ändern. Genau jene Artikel, die besagen, dass derjenige, der das versucht, sein Amt verliert. Und so ist es gekommen.

Óscar Andrés Kardinal Rodríguez Maradiaga wurde 1942 in Tegucigalpa geboren und 1970 zum Priester geweiht. Seit 1993 ist er Erzbischof von Tegucigalpa. Weltweit bekannt wurde Rodríguez Maradiaga als Schirmherr der Entschuldungskampagne "Jubilee 2000".

Das Gespräch führte Rosa Muñoz Lima

Redaktion und Übersetzung aus dem Spanischen: Sven Töniges