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Mazedonien: 25 Jahre Unabhängigkeit

Elizabeta Milosevska8. September 2016

Keine Feierstimmung im Land: auch 25 Jahre nach der Unabhängigkeit ist Mazedonien einer europäischen Integration nicht näher gekommen. Perspektivlosigkeit macht sich breit, junge Menschen verlassen das Land.

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Zentrum von Skopje (Foto: DW/P. Stojanovski)
Bild: DW/P. Stojanovski

"Ich habe schon anderthalb Jahre im Ausland gelebt, und ja, ich möchte wieder wegziehen", sagt Blazen Maleski. Der junge Politikwissenschaftler ist fast genauso alt wie sein unabhängiges Heimatland. Er plant aber auszuwandern, um sich ein besseres Leben zu erschaffen. Genau wie er denken viele Mazedonier. Laut Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wanderten aus Mazedonien alleine 2014 rund 20.000 Menschen aus. Es sind vor allem junge Menschen, die von der Dauer-Misere im Land wegwollen.

Sie sehen für sich keine Perspektive in einem Land, dass 25 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung immer noch auf keinen grünen Zweig gekommen ist. Die Armutsquote beträgt 22 Prozent und die Arbeitslosenquote fast 25 Prozent. Betroffen sind mehr als die Hälfte der jungen Menschen unter 29 Jahre. Die aktuelle Staatsverschuldung beträgt 49 Prozent des BIP. Das sind die offiziellen Angaben, die aber von vielen Experten als geschönt angesehen werden. Dabei ist Mazedonien ein Land, dass lange Zeit, neben Kroatien, als Musterschüler der europäischen Integration galt und seit 2005 den Status eines EU-Beitrittskandidaten hat.

Druck der Straße hat in Mazedonien Folgen

Die schwache Wirtschaft ist nur ein Teil der grauen mazedonischen Realität. Korruption ist an der Tagesordnung, die Medienfreiheit ist kaum vorhanden, die Beachtung der Menschenrechte verschlechtert sich kontinuierlich.

Nikola Dimitrov, ehemaliger mazedonischer Botschafter (Foto: MIA)
Neuwahlen seien eine "historische Chance", glaubt Nikola DimitrovBild: MIA

Lange Zeit hatte das aber keine Konsequenzen für die regierende Elite. Seit Anfang 2015 kocht die Stimmung im Lande hoch. Damals veröffentlichte die Opposition Auszüge von hunderttausenden Mitschnitten abgehörter Telefongespräche zahlreicher Politiker und Unternehmer. Sie zeigten ein unfassbares Ausmaß des Machtmissbrauchs und der Kontrolle der Institutionen und der Medien seitens der regierenden Partei, der nationalkonservativen VMRO-DPMNE.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht und eine landesweite Protestwelle ausgelöst hatte, war dann die von Präsident Ivanov beschlossene Amnestie für 56 Politiker und Staatsbedienstete. Gegen sie ermittelte die Sonderanwaltschaft wegen Verbrechen während ihrer Amtszeiten. Es kam zu Massendemonstrationen und zahlreichen Protesten. Der Druck der Straße sowie die Vermittlungen des Westens, vor allem von Deutschland, zeigten dann Erfolg: die Amnestie wurde zurückgezogen. Außerdem sind die politischen Akteure nach langer Funkpause wieder an den Verhandlungstisch zurückgekehrt und haben einen Vertrag für Neuwahlen im Dezember ausgehandelt.

Die Wahlen bringen (k)eine Entspannung

Über die Bedeutung dieser Wahlen sind die Meinungen im Land geteilt. "Sie sind eine historische Chance, um das schlechte Regieren zu bestrafen, und nein zu sagen, zur alten Politik. So kann man die Schande beseitigen und die Hoffnung zurückbringen“, sagt der Ex-Diplomat Nikola Dimitrov gegenüber der DW. "Dank der Propaganda in den gleichgeschalteten Medien haben wir jahrelang in einer Art Reality-Show gelebt. Wir wurden pausenlos mit Geschichten über Verräter und ausländischen Agenten bombardiert und hörten uns an, wie hingebungsvoll unsere Regierung arbeitet." Dieses Märchen sei jetzt aber zu Ende, glaubt Dimitrov.

Weniger optimistisch ist der frühere mazedonische Innen- und Außenminister Ljubomir Frckoski. Gegenüber der DW sagt er, dass Mazedonien ein großes Problem mit der Demokratie habe. "Deswegen ist es sehr wichtig, diesem Instrument (Wahlen, Anm. d. Red.) in Mazedonien nicht allzu große Bedeutung beizumessen". Moderne Diktaturen, deren Teil auch der mazedonische autoritäre Populismus sei, hätten das Problem der Wahlen überwunden. Deswegen, müsse man den Regierenden "das ganze Instrumentarium aus den Händen reißen und unter ein internationales Monitoring stellen, was zum Glück in Mazedonien jetzt passiert“, sagt Frckoski.

Seine Prognose für die nähere Zukunft basiert auf einer einfachen Formel: "Die Regel in der Politik bei uns ist: zuerst zehn Jahre Diktatur, danach zehn Jahre Erholung davon. Das große Projekt in den nächsten zehn Jahren wird eine Re-Institutionalisierung des Landes sein. Denn Mazedonien hat heute keine Institutionen. Sie sind untergraben und von den Regierenden vereinnahmt.“

Der Namensstreit mit Griechenland

Der Balkan-Experte Franz-Lothar Altmann teilt die Meinung, dass Mazedonien keine Zeit zu verlieren hat. Faire Wahlen sind von großer Bedeutung für die Zukunft des Landes, aber auch die Beilegung des Namensstreites mit Griechenland, dass den Weg zur EU und NATO blockiert. Griechenland akzeptiert nicht, dass sich das Land Republik Mazedonien nennt: Damit werde Anspruch auf griechische Geschichte und sogar griechisches Territorium gestellt, heißt es in Athen. "Der Druck auf Griechenland muss seitens der EU wiederholt werden und man sollte sagen: ihr müsst Mazedonien den Weg öffnen", sagt Altmann. Athen gegenüber soll klar gestellt werden: So gehe es nicht weiter, denn "ihr habt ein Krisenland an eurer Grenze."

Neuerrichtete "historische" Denkmäler in Skopje (Foto: DW/P. Stojanovski)
Neuerrichtete "historische" Denkmäler in Skopje - Kritiker sprechen vom "mazedonischen Disneyland"Bild: DW/P. Stojanovski

Allerdings werde der Namensstreit und die damit verbundene Blockade der europäischen Integration auch als Ausrede für die ausstehenden Reformen und die immer größere Isolation des Landes benutzt, sagt Nikola Dimitrov. "Das Problem ist in unserer Antwort auf die Blockade. Wir sollten der griechischen Blokadepolitik mit einer vorsichtigen und weisen Politik begegnen. Wir sollen Reformen umsetzen und damit die anderen Staaten auf unsere Seite ziehen."

Für den jungen Politikwissenschaftler Blazen Maleski ist aber klar, dass kleine Schritte nicht mehr ausreichen: "Um nach vorne zu kommen, braucht man eine tektonische Veränderung des Landes." Die alten politischen Eliten sollen ihren Posten räumen und der Jugend Platz machen. Denn sonst wird diese Jugend ihre Zukunft woanders suchen. So wie Blazen: "Ich möchte die gleichen Bedingungen haben wie meine Freunde in Europa. Ich möchte das arbeiten können, was ich liebe, und meine Meinung frei äußern, ohne mir dreimal überlegen zu müssen, wie ich was formulieren muss, damit ich kein Familienmitglied in Gefahr bringe."

Helge Tolksdorf, Referatsleiter EU-Erweiterung, Südosteuropa und Türkei im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie überbrachte die Glückwünsche der Bundesregierung beim Empfang der mazedonischen Botschaft in Berlin.