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Medien in Osteuropa: Wenig Vielfalt und neue Wege

7. September 2006

Kritische Stimmen finden in den Medien immer seltener Gehör – ob in Russland, wo gerade der „Kommersant“ aufgekauft wurde, oder in Belarus, wo Regimegegner nach alternativen Verbreitungswegen suchen. Einige Beispiele.

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Titelseite des "Kommersant"Bild: AP

Eine der führenden Medien-Holdings Russlands, das Verlagshaus Kommersant, hat ihren Besitzer gewechselt. Welche Auswirkungen hat das auf die russische Medienlandschaft? Russische Journalisten bewerten die Lage.

Die während der Perestrojka gegründete Zeitung Kommersant gehörte viele Jahre lang zu den wenigen führenden russischen Medien, die direkt und offen ihre Meinung sagten. Das wussten die Leser zu schätzen. Was jetzt mit Kommersant geschieht, ist schwer einzuschätzen. Neuer Besitzer des Verlagshauses ist der Chef der Holding Metalloinwest, Alischer Usmanow. Der Geschäftsmann zahlte den bisherigen Besitzern von Kommersant, Badri Patarkazischwili und Boris Beresowskij, umgerechnet insgesamt 300 Millionen Dollar für die Medien-Holding.

Warnung vor neuem „Kampfblatt“

Der Generalsekretär des Journalistenverbandes Russlands, Igor Jakowenko, bewertet den Verkauf der Zeitung Kommersant an Alischer Usmanow so: „Es ist die Fortsetzung, wenn nicht sogar der Abschluss der ‚Säuberungen’ in der Informationslandschaft hier in Russland, die mit der Vernichtung des Fernsehsenders NTW ihren Anfang nahmen. So wird ein ziemlich konsequentes, in sich geschlossenes System aus Medien, Information und Politik geschaffen.“

Wie einst während der Herrschaft der „Goldenen Horde“ bekommen auch heute noch bestimmte Personen vom Kreml die Erlaubnis für Öl-, Metall- oder andere Geschäfte, erzählt Jakowenko. Zusätzlich werde ihnen allerdings heutzutage ans Herz gelegt, auch Medien herauszugeben. „Seinerzeit wurde Roman Abramowitsch angewiesen, Aktien des ‚Ersten Kanals’ zu kaufen, und er kaufte sie. Und als man ihn anwies, sie wieder zu verkaufen, verkaufte er sie“, erinnert sich Jakowenko. „So wurden einst die Zeitungen Iswestija und Nesawissimaja Gaseta verkauft. Wir beobachteten sofort eine starke Veränderung ihrer Redaktionspolitik“. Jakowenko ist klar, warum das geschah. „Die Iswestija war eine mehr oder weniger anständige, qualitativ gute Tageszeitung, die allgemeines Interesse fand. Heute ist es ein Kampfblatt der ‚Partei Einiges Russland’. Kommersant erwartet ein ähnliches Schicksal.“

Kritik an Patarkazischwili und Beresowskij

Der stellvertretende Chefredakteur der Nowaja Gaseta, Sergej Sokolow, ist der Ansicht, dass in Russland eine seltsame Klasse von Medien-Besitzern entsteht, deren Kerngeschäft jedoch alles andere als die Medien ist. „Sie stehen ohnehin schon auf den obersten Rängen der Liste der Zeitschrift Forbes. Offensichtlich ist der Kauf solcher Aktiva für deren Geschäfte nicht lebensnotwendig. Es ist eher der Versuch, sich politische Loyalität zu kaufen und sich in das bestehende politische System einzufügen“, sagt Sokolow. „Was wieder einmal beweist, dass unser Medienmarkt verlustbringend arbeitet.“

Gleichzeitig stellt Sokolow den ehemaligen Kommersant-Besitzern Patarkazischwili und Beresowskij eine rhetorische Frage. „Warum haben sie so laut nach dem Schutz der Demokratie in Russland gerufen und darauf ihre PR-Kampagne im Ausland aufgebaut? Um letztlich ein so mächtiges Verlagshaus de facto an den Staat zu verkaufen?“ Sokolow meint, dass Patarkazischwilis und Beresowskijs Äußerungen über die Demokratie in Russland und die Werte einer Bürgergesellschaft angesichts dessen mit Vorsicht zu genießen seien.

Eine zweite Iswestija?

Sergej Sokolow hat sich bereits überlegt, wie sich der Verkauf von Kommersant wohl auf die russische Medienlandschaft auswirken wird. „Es ist klar, dass vor den Wahlen 2007/2008 die Medienlandschaft erstaunlich einheitlich sein wird. Das Problem ist, dass die Zeitungen, die sich von dieser Medienlandschaft abheben, nur eine kleine Auflage haben. Das deprimiert mich.“ Dennoch ist er vorsichtig-optimistisch. „Ich denke, dass Kommersant die objektive Berichterstattung über alle Ereignisse beibehalten wird. Aber es kann auch sein, dass sich ihr Geist ändern wird.“

Der Generalsekretär des Journalistenverbandes Russlands, Igor Jakowenko, meint, eine solche Entwicklung der Ereignisse sei zu erwarten gewesen: „Derzeit gibt es in Russland keine Meinungsfreiheit, so wie es auch kein Sozialsystem gibt. Der Verkauf von Kommersant ist nur ein weiteres Mosaiksteinchen dieses Systems. Und was die Gesellschaftspolitik der Zeitung Kommersant betrifft, wird es wohl eine weitere Iswestija geben.“

Sergej Wilhelm

DW-RADIO/Russisch, 31.8.2006, Fokus Ost-Südost