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Medizin: Mann ungleich Frau

12. November 2017

Von vielen Unterschieden zwischen Männern und Frauen weiß man heute, dass sie zumindest teilweise sozial konstruiert sind. Ein Bereich, in dem Gleichbehandlung jedoch fatal sein kann, ist die Medizin.

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Junge Frau und junger Mann lachen
Ein bekannteres Beispiel: Der männliche Körper baut Alkohol schneller ab als der weiblicheBild: picture-alliance/PYMCA/Photoshot/R. Lewis

Von dem Moment, an dem die Spermazelle die Eizelle befruchtet, bis zum Tod sind Männer und Frauen unterschiedlich. Schon das Essverhalten einer Schwangeren beeinflusst das ungeborene Kind anders - je nachdem, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Als Grund dafür vermuten Forscher die Hormone des Ungeborenen.

"Weibliche und männliche Individuen sind von Anfang an unterschiedlich mit Chromosomen ausgestattet. Diese Chromosome triggern dann die Sexualhormone und diese wiederum prägen die Entstehung und Aktivität weiterer Gene und Botenstoffe", erklärt Vera Regitz-Zagrosek, die die erste Professur für Gendermedizin in Deutschland innehat.

Das weibliche Östrogen und das männliche Testosteron wirken der Forscherin der Charité Berlin zufolge nicht nur in den Geschlechtsorganen, sondern "in Hirn, Herz, Stoffwechsel, also eigentlich überall". Also ist es nicht verwunderlich, dass sich die Geschlechter - übrigens nicht nur bei Menschen, sondern auch bei vielen anderen Lebewesen- in fast allen Körperfunktionen unterscheiden.

Von der Organdurchblutung über die Dicke der Haut bist zum Immunsystem sind Frauen und Männer anders. So funktioniert bei Frauen etwa die akute Abwehr von Viren und Bakterien besser, weil sie weniger Testosteron haben. Dieses soll einigen Studien zufolge die Immunreaktion abschwächen. Im Umkehrschluss neigt das weibliche Immunsystem eher zu Überreaktionen, was ein häufigeres Leiden an Allergien und Autoimmunkrankheiten zur Folge hat. 

Viele Ärzte wissen nicht genug über die Unterschiede

Einer der bekanntesten und im Hinblick auf Geschlechterunterschiede am besten erforschten Bereiche sind Herzerkrankungen: Männer erkranken durchschnittlich zehn Jahre früher als Frauen, weil letztere bis zur Menopause von der schützenden Wirkung von Östrogen auf das Herz-Kreislauf-System profitieren. Auch die Symptome eines Herzinfarkts äußern sich anders. Während Männer von Schmerzen im Brustraum berichten, die teilweise in andere Körperregionen ausstrahlen, treten bei Frauen häufig zusätzlich Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit oder Schweißausbrüche auf.

Mehr dazu: Internationaler Männertag: Die Männer von sich selbst befreien

Ein großes Problem in der Medizin ist, dass Ärzte den genetischen und biologischen Unterschieden immer noch nicht genug Rechnung tragen. In puncto Herzinfarkt zum Beispiel sind vielen Ärzten auch heute noch eher die typisch männlichen Beschwerden als Symptome für einen Herzinfarkt bekannt. Deshalb wird bei Frauen seltener früh genug die Diagnose gestellt.

Regitz-Zagrosek möchte dem auf den Grund gehen. "Wir wollten testen, wie viel Menschen in professionellen Gesundheitsberufen eigentlich über solche Geschlechterunterschiede wissen und haben eine europaweite Umfrage  durchgeführt," erklärt sie. "Und ich muss sagen, das Ergebnis ist schon ziemlich traurig. Viele wussten nur unzureichend Bescheid." Ein Grund dafür ist wohl, dass die Medizin sehr lange nur vom männlichen Körper als Standard ausgegangen ist, der weibliche lediglich als Abweichung betrachtet wurde.

Frau und Mann lachen
Im Alter verändern sich die Sexualhormone, aber ein Teil der Unterschiede bleibtBild: picture-alliance/PhotoAlto/E. Audras

Lange gab es in der medizinischen Forschung auch kaum weibliche Laborratten oder Studienteilnehmerinnen. Die Folge, so schätzt Regitz-Zagrosek: "Von etwa 100.000 Medikamenten auf dem Markt sind vermutlich 90.000 nur an männlichen Lebewesen getestet wurden. Man weiß also eigentlich nicht, ob diese Medikamente auch für Frauen optimal sind."

In den USA seien bereits einige Medikamente wieder vom Markt genommen worden, weil sie nachträglich stärkere Nebenwirkungen auf Frauen gezeigt hätten, vor allem bei Substanzen gegen Herzrythmusstörungen und Schlafmitteln habe es Probleme gegeben. Erst seit den 2000er Jahren wird bei Studien verstärkt darauf geachtet, Frauen einzubeziehen. In Deutschland ist seit 2004 die Ermittlung geschlechterspezifischer Unterschiede gesetzlich gefordert.

Soziokulturelle und biologische Faktoren: kein Widerspruch

Frauen werden anders krank als Männer und umgekehrt - aber haben daran nicht auch oft gesellschaftliche Rollenbilder ihren Anteil? "Es ist sicherlich oft eine Mischung von biologischen und soziokulturellen Faktoren. Frauen gehen zum Beispiel tendenziell häufiger zum Arzt, während Männer nicht als kränklich gelten wollen. Frauen leben oft gesünder und sind weniger risikobereit, deshalb sind bei ihnen einige Krankheiten und Verletzungen seltener", so Regitz-Zagrosek. 

Auch die in vielen Ländern höhere Lebenserwartung von Frauen hängt mit solchen Faktoren zusammen. Aber eben auch mit biologischen. Das zeigt unter anderem eine Studie unter bayrischen Mönchen und Nonnen, die sehr ähnlich gelebt haben, aber bei denen dennoch die Nonnen im Schnitt zwei Jahre älter wurden.

Regitz-Zagrosek sieht noch viel Forschungs- und Handlungsbedarf, damit sowohl Frauen als auch Männer besser medizinisch versorgt werden. Bei vielen Krankheiten wie etwa Depressionen oder Osteoporose wisse man bislang nur, dass ein Geschlecht häufiger darunter leide, aber nicht genau, warum. Insgesamt besser biologisch ausgestattet sind der Forscherin zufolge weder Männer noch Frauen: "Ob die Gene und Hormone ein Vorteil oder Nachteil sind, hängt immer von der spezifischen Situation ab." 

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis