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Medizinvorrat gegen künftige Pandemien

1. Dezember 2020

Die Regierung will für künftige Pandemien gewappnet sein und 19 Lager mit Schutzkleidung, Masken und Geräten anlegen. Experten und Politiker fordern, dass dabei auf Qualität geachtet wird.

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Unternehmen horten für Brexit
Bild: DW/T. Schauenberg

Nicht noch einmal, wie zu Beginn der Pandemie, in einen Engpass geraten! Das ist der erklärte Wille von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Damals, im Frühjahr, als deutlich wurde, dass sich auch Deutschland auf viele Infektionen und hohen Behandlungsbedarf einstellen musste, fehlten plötzlich Masken, Schutzkleidung und Atemgeräte: in Arztpraxen, in Kliniken, in der Pflege. Ein paar Wochen lang gab es sogar einfachste Schutzmasken nur überteuert im Netz, wenn überhaupt. Dann stieg die Regierung in den Kauf von Masken ein und beschloss Anreize für inländische Hersteller. Bald war der Bedarf gedeckt. Dennoch will die Regierung in Zukunft grundsätzlich besser vorbereitet sein.

Gesichtsmasken Ausverkauf

Deshalb hat das Bundeskabinett in dieser Woche beschlossen: Bis Ende kommenden Jahres soll eine Staatsreserve aufgebaut werden. Zuerst sollen bereits beschaffte Masken eingelagert werden. Danach soll die Reserve mit der Produktionen im Inland aufgefüllt werden. Der Vorrat soll den Bedarf für einen Monat decken. "So unterstützen wir im Notfall besonders diejenigen, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen arbeiten. Am Material soll gute Gesundheitsversorgung nicht scheitern", sagte Spahn dazu.

Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn setzt sich einen Schutzmaske auf
Im Frühjahr Mangelware: De FFP2 Maske von Jens SpahnBild: Hendrik Schmidt/Getty Images

Überlegungen seit 19 Jahren

Beschlossen wurde der Aufbau einer "Nationalen Reserve Gesundheitsschutz" bereits im Juni. Aber bislang ist noch nicht viel passiert, wie die Antwort der Regierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion nahelegt: "Überlegungen zu Art und Umfang des zukünftig zu bevorratenden Materials dauern an, die Kosten für Betrieb oder Beschaffung sind derzeit noch offen", heißt es lapidar in der Antwort der Regierung erst vor wenigen Tagen.

Die für den Infektionsschutz zuständige Expertin der Bundestagsfraktion der Grünen, Kordula Schulz-Asche, begrüßt die Initiative zwar grundsätzlich. Sie erinnert aber auch daran, wie lange schon grundsätzlich über den Aufbau einer solchen Not-Reserve gestritten wird: Seit Anfang des Jahrtausends nämlich, seit der SARS-Pandemie. "19 Jahre sind seitdem vergangen, also wird es höchste Zeit, die Pläne endlich umzusetzen", sagte Schulz-Asche der DW. "Die Lager sind gerade voll, deshalb ist es für den Gesundheitsminister Spahn jetzt sehr leicht, einen strategischen Reserveaufbau zu beschließen."

Coronavirus Italien Rom medizinishces Personal mit Maske
Brille, Maske, Schutzanzug - bei der nächsten Pandemie soll alles im Lager bereit liegenBild: Reuters/G. Mangiapane

Wichtig sei jetzt, so Schulz-Asche, dass vor allem auf Qualität geachtet wird: "Es müssen Parameter festgelegt werden, für welche Art von Gefahren oder Gesundheitskrisen diese Schutzmaterialien überhaupt geeignet sind. Momentan befinden wir uns in einer Corona-Pandemie. Aber schützen die Masken beispielsweise auch vor anderen Viren, wie etwa Ebola? Oder ist der Aufbau der Reserve nur für den Einsatz während einer Influenza, beziehungsweise Corona-Pandemie geeignet?" Noch, so Schulz-Asche, könne sie hinter den Plänen von Minister Spahn kein transparentes Konzept erkennen.

"Nicht alle Masken zur Einlagerung geeignet."

Die Qualität des Materials, das dann letztendlich eingelagert werden soll, ist auch für die Experten der Ärzteorganisation "Marburger Bund" wichtig. Pressesprecher Hans-Jörg Freese wies gegenüber der DW darauf hin, dass sich nicht alle Masken dafür eignen, auch langfristig vorgehalten zu werden. "Wir wissen längst, dass bei diesen großen Mengen sich nicht alle Schutzmasken wirklich für Virus-Infektionen eignen." Es gebe etwa spezielle Masken für Handwerker, die eigentlich in erster Linie vor Feinstaub schützen würden, bei Virus-Infektionen aber wenig Wirkung zeigten. Aber auch Freese findet: "Lieber spät als nie. Der Reserve-Plan ist überfällig. Wir haben ja im Frühjahr gesehen, was passiert, wenn man schlecht vorbereitet ist."

Corona-Pandemie in Spanien

19 Standorte im ganzen Land

Immerhin wurde der Plan jetzt konkretisiert: An 19 Standorten, über das ganze Land verteilt, sollen Materiallager errichtet werden, an Orten wie Hamburg, Dortmund, Halle oder Augsburg. Die Lagerbestände des Bundes sollen aber erst dann angegriffen werden, wenn das in Einrichtungen wie Krankenhäusern, Arztpraxen oder Pflegeeinrichtungen vorhandene Material knapp wird. Im Regierungsplan heißt es dazu: "Reserven sind auch weiterhin in den medizinischen Einrichtungen und bei den Ländern vorzuhalten. Der Rückgriff auf die Bestände des Bundes stellt eine Last-Resort-Lösung dar." Kordula Schulz-Asche begrüßt diese dezentrale Struktur zwar grundsätzlich. Aber: "Mir erschließt sich aber nicht, warum dafür nicht bereits bestehende Strukturen genutzt beziehungsweise reaktiviert werden. Krankenhäuser oder auch Bundeswehrstandorte sind beispielsweise gut dafür geeignet, Schutzmaterialien zu lagern und vorzuhalten. Jahrelang hat es in den Liegenschaften der Bundeswehr Lagerungen medizinischer Schutzgüter gegeben." Fazit von Freese und Schulz-Asche: Der Plan ist zu begrüßen, aber viele Details sind noch unklar.  

Staatsreserven gab es schon mal

Besonders im Westteil der heutigen Hauptstadt Berlin erinnern solche Bevorratungspläne an längst überwunden geglaubte Zeiten: Nach der Berlin-Blockade 1948 und 1949 beauftragten die drei Stadtkommandanten West-Berlins den Senat der Stadt, für  Grundnahrungsmittel, Medikamente, Kohle, Treibstoffe und viele andere Dinge des täglichen Bedarfs Lager anzulegen. Ein halbes Jahr lang sollten so gelagerte Güter ein problemloses Weiterleben ermöglichen, auch wenn die Stadt ein zweites Mal von der Versorgung von außen abgeschnitten werden würde. Millionen Tonnen Güter wurden in über 700 Lagern in der Stadt gehortet, nur wenige wussten, wo genau. Insgesamt hatten die Güter einen Wert von 1,8 Milliarden Euro. Erst nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR wurde die Reserve aufgelöst   - viele Jahrzehnte nach ihrer Gründung.

Die jetzt in Aussicht genommenen Lager für medizinische Versorgung sollen auch Teil einer Europäischen Reserve sein, die Berlin und Paris im Mai angeregt hatten. Eine Milliarde Euro will sich Deutschland die Lager kosten lassen, die sicherstellen sollen, dass Deutschland auf die nächste Pandemie besser vorbereitet ist.