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Politik

Anwalt der NSU-Opfer

Friedel Taube
2. Juli 2018

Er selbst erlebte als Kind Ausgrenzung und hilft jetzt anderen dabei, mit ihr umzugehen: Mehmet Daimagüler, Jurist mit türkischen Wurzeln, wurde durch die Teilnahme am NSU-Prozess zu einem Kämpfer gegen Alltagsrassismus.

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Mehmet Daimagüler
Bild: picture-alliance/dpa/R.Vennenbernd

Mehmet Daimagüler: "Der Staat hat führende Neonazis geschützt"

Erfolgreicher Jurist, Buchautor, engagiert gegen Rassismus: Als Vertreter der Opferseite im NSU-Prozess vereint Mehmet Daimagüler all diese drei Eigenschaften. Und er stößt nebenbei mit seinen Beiträgen in Büchern und Zeitungen Debatten an.

Mehmet Daimagüler ist ein Macher im besten Sinne. Dabei musste sich der 1968 in Siegen geborene Sohn türkischer Migranten auf seinem Weg alles selbst erarbeiten. Seine Karriere in Deutschland wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, im Gegenteil: Er musste seit frühester Kindheit Widerstände aus dem Weg räumen, wie er im DW-Interview berichtet: "Fremdsein war der Rahmen, der uns gesetzt war. Wir waren keine deutschen Staatsbürger und hatten immer nur eine Aufenthaltsgenehmigung für ein paar Monate". Bei jedem Gang zu einer Behörde, so Daimagüler, sei der Familie klar gemacht worden: "Ihr gehört nicht dazu".

Ganz sicher waren es diese Erfahrungen, die Mehmet Daimagüler zu dem Vorkämpfer für Integration und gegen Rassismus haben werden lassen, der er heute ist. Denn diese Ausgrenzung empfand er von Anfang an als Widerspruch: "Einerseits hieß es immer: ' Integriert Euch', andererseits wurde immer darauf gewartet, wann wir wieder gehen", so der Jurist. Die Kindheit wurde geprägt von Rassismus. "Der Türkenjunge gehört nicht hierher" - das hörte er des Öfteren von den Eltern anderer, deutscher Kinder. Sein Grundschullehrer wollte ihn auf die Sonderschule schicken. Stattdessen arbeitete er sich hoch. Realschule, Gymnasium, Universität, bis hoch zu den Elitehochschulen Harvard und Yale. Eine Erfolgsgeschichte wie aus dem Bilderbuch.

Die Rolle seines Lebens

Man muss diese Vorgeschichte kennen, wissen, was Mehmet Daimagüler erlebt hat, um zu verstehen, wieso die Aufgabe als Nebenklagevertreter von Angehörigen der Opfer der NSU-Mordserie zur Rolle seines Lebens wurde. Im Prozess vertritt Daimagüler die Geschwister von Abdurrahim Özüdogru, der am 13. Juni 2001 in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg erschossen wurde, sowie die Tochter von Ismail Yasar, der am 9. Juni 2005 ebenfalls in Nürnberg getötet wurde. Bei den Morden an acht türkischstämmigen, einem griechischstämmigen Bürger und einer Polizistin handelte es sich, wie heute bekannt ist, um rassistisch motivierte Straftaten. Das habe er - so schildert es Daimgüler im DW-Interview - bereits vor der Selbstenttarnung des NSU im Herbst 2011 geahnt. Damals, zwischen 2000 und 2007, arbeitete er für die FDP, war unter anderem als persönlicher Assistent hochrangiger Politiker tätig. 

Die Hauptangeklagte Beate Tschäpe (links) am Tag der Prozesseröffnung mit ihren Pflichtverteidigern Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer (r) und Anja Sturm
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (links) am Tag der Prozesseröffnung mit ihren Pflichtverteidigern (2013)Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Während Ermittler im Dunkeln tappten und eher von einer Straftat im "Migrantenmilieu" ausgingen, war Daimgüler mit seiner Vermutung aber zurückhaltend. "Wenn ich als Türke über Rassismus spreche, wusste ich, dass es mir politisch schaden wird". Für diese Art des Opportunismus schäme er sich heute. Er entschuldigte sich später bei den Angehörigen der NSU-Opfer.

Behörden auf rechtem Auge blind?

Die Ermittler seien voreingenommen gewesen. Obwohl Zeugen ausgesagt hatten, zwei deutsch aussehende Männer an den Tatorten gesehen zu haben (mutmaßlich die beiden Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos), sei man weiter von ausländischen Mördern ausgegangen. "Wir müssen über den Rassismus der Nazis sprechen, aber wir müssen auch über den Rassismus in den Köpfen von Polizisten sprechen, der dazu führte, dass ein türkisches Opfer kein Opfer sein durfte", sagt Daimagüler heute.

Daimagüler ist außerdem überzeugt, dass die drei Verdächtigen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Taten nicht allein, als eine Art "Terrorzelle" geplant und ausgeübt hätten. Er glaubt, zahlreiche Mittäter hätten die drei beim Leben im Untergrund unterstützt. Von einem "Trio", wie die Bundesanwaltschaft den NSU im Prozess bezeichnet, könne schon allein angesichts von vier Mitangeklagten keine Rede sein. Mehr noch: "Wir haben im Prozess 24 Zeugen erlebt, die offen zugaben, dass sie Kontakt hatten", so Daimagüler, "sie haben den NSU mit Waffen, Geld, Unterkünften und Ausweispapieren unterstützt."

Rassismus gesellschaftlich akzeptiert

Seine eigene Biografie und sein Engagement für die Angehörigen der NSU-Opfer sind der Grund für Daimagülers leidenschaftliches Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit. Und zwar nicht nur gegen die in ihrer extremsten Form, wie im Fall der Rechtsterroristen, sondern auch gegen Ausgrenzung im Alltag. Nie wieder will der Anwalt wie einst schweigen, wenn er irgendwo Fremdenfeindlichkeit vermutet. Gehör verschafft er sich über Publikationen. Sein erstes Buch "Kein schönes Land in dieser Zeit" sorgte bereits 2011 für hitzige Debatten. "Das Märchen von der gescheiterten Integration", so lautete der Untertitel, und es ging um den Begriff "Heimat" und was er für Zugewanderte bedeutet. Sowie, wie die Ausgrenzung von gesellschaftlicher Seite eine erfolgreiche Integration behindert.

Sebastian Scharmer und Mehmet Daimagüler
Mehmet Daimagüler mit seinem Kollegen Sebastian Scharmer im NSU-Prozess (2013)Bild: picture alliance/dpa/R. Jensen

2017 legte er "Empörung reicht nicht! Unser Staat hat versagt. Jetzt sind wir dran" vor, in dem er sein persönliches Résumé des (noch laufenden) NSU-Prozesses zieht. Das Fazit: Der Rassismus in den Köpfen führte zu Staatsversagen. "Heute haben wir einen gesellschaftlich akzeptierten Rassismus", so der 50-Jährige. "Der neue Rassismus besagt, dass unsere Kultur überlegen sei. Sie ist besser als die Kultur der Muslime oder der Juden". Doch über diesen sozial akzeptierten Rassismus weigere sich die Gesellschaft zu reden.

Er ist froh, wenn das NSU-Verfahren vorbei ist, sagt er jetzt. Beim Prozess schaute er über Jahre im Gerichtssaal in das Gesicht der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und der Mitangeklagten. "Das ist ein Sumpf, in dem der Mensch nicht mehr Mensch ist", sagt Daimagüler. Und der den Menschen Mehmet Daimagüler verändert, geprägt und zu dem gemacht hat, der er heute ist: Zu einem Kämpfer gegen den verschwiegenen Alltagsrassismus.