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Anschläge in Nigeria

23. Januar 2012

Die Anschläge der Terror-Gruppe "Boko Haram" vom Freitag haben möglicherweise mehr als 200 Tote gefordert. Präsident Jonathan reiste am Sonntag nach Kano.

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Kano am Tag nach der Anschlagserie. AFP PHOTO / AMINU ABUBAKAR +++(c) dpa - Bildfunk+++
Kano am Tag nach der AnschlagserieBild: picture-alliance/dpa

Präsident Goodluck Jonathan, ein Christ aus dem Niger-Delta, besuchte am Sonntag in Kano einen Anschlagsort sowie Verwundete in einem Krankenhaus. Außerdem traf er sich mit dem Emir von Kano, einem der wichtigsten traditionellen Führer Nordnigerias. Bei seiner Ankunft am Flughafen betonte Jonathan in einem Statement gegenüber der BBC erneut seinen Willen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Schon bei den Angriffen selbst seien einige Angreifer gefangen genommen worden, andere wurden von den Sicherheitskräften erschossen oder starben durch die eigenen Bomben.

Auf seiner Facebook-Seite erklärte der Präsident anschließend, dass jeder Terror-Angriff auf einen einzelnen Nigerianer ein Angriff auf alle Nigerianer sei.

Unterdessen stiegen die bestätigten Opferzahlen weiter. Allein das Rote Kreuz sprach von mehr als 160 Toten. Die Mitarbeiter der Organisation waren auch am Sonntag noch damit beschäftigt, Leichen zu bergen. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte einen Arzt am größten Krankenhaus, der bis zu 250 Tote für möglich hält.

Weitere Anschläge am Sonntag

Am Sonntag wurden außerdem weitere Anschläge aus dem benachbarten Bundesstaat Bauchi gemeldet. In der Stadt Tafawa Balewa griffen Bewaffnete eine Polizeistation und eine Bank an und töteten zehn Menschen. In der Stadt Bauchi wurden kleinere Sprengsätze gegen zwei Kirchen geschleudert, richteten aber nur geringen Schaden an. Bisher hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt. In den vergangenen Wochen hatte sich nach mehreren Angriffen auf christliche und muslimische Gotteshäuser herausgestellt, dass die Täter aus dem jeweils eigenen Umfeld der Gemeinden gekommen waren.

Acht staatliche Stellen angegriffen

Gegen 17 Uhr am Freitagabend (20.01.2012) hatten mehrere Explosionen die nordnigerianische Metropole erschüttert. Frank Roger, Leiter der Außenstelle des Goethe-Instituts in Kano, war noch in der Stadt unterwegs, als er von den Anschlägen erfuhr: "Ich habe mich sofort in mein Auto gesetzt und wollte nach Hause." Viele andere hatten dieselbe Idee und so fand sich Roger in einem dreispurigen Stau wider: "Es war Chaos, auch zu Fuß versuchten die Leute die betroffenen Stadtteile zu verlassen. Aber die Menschen haben trotzdem Rücksicht aufeinander genommen." Dann hörte auch Roger Explosionen: "Die waren so stark, dass trotz der Entfernung die Autos wackelten." Außerdem seien Rauchwolken zu sehen gewesen.

Inzwischen ist die Rede von mehr als 200 Tote. REUTERS/Stringer (NIGERIA - Tags: CRIME LAW CIVIL UNREST)
Inzwischen ist die Rede von mehr als 200 TotenBild: Reuters

Die Polizeiführung in Nigerias Hauptstadt Abuja erklärte später, dass acht staatliche Einrichtungen mit Bomben und Schusswaffen angegriffen worden seien, darunter das regionale Hauptquartier der Polizei, der örtliche Sitz des Geheimdienstes und das Büro der Ausländerbehörde.

Inzwischen tragen die Medien mehr und mehr Details über die Anschläge in Kano zusammen. So zitiert die Tageszeitung "Daily Trust" eine Polizistin, die den Angriff auf die Polizeikaserne im Stadtteil Bompai überlebte. Die Angreifer hätten Uniformen von Armee und anderen Sicherheitskräften getragen. Sie hätten dann systematisch die Gebäude durchkämmt und jeden erschossen, den sie sahen.

Terror-Gruppe “Boko Haram“ übernimmt Verantwortung

Noch am Freitagabend bekannte sich ein Sprecher der Terror-Gruppe "Boko Haram" - was wörtlich übersetzt so viel bedeutet wie "moderne Bildung ist verboten" - telefonisch zu den Angriffen. Er begründete die Angriffe mit den Verhaftungen von "Boko-Haram"-Mitgliedern in den letzten Monaten. Schon am Ende des Fastenmonats Ramadan vor ein paar Monaten hatte die Gruppe dem Gouverneur von Kano mit Angriffen gedroht, sollte er inhaftierte Mitglieder der Gruppe nicht freilassen.

Vor ein paar Tagen ging der sechstägigen Generalstreik zu Ende. REUTERS/Afolabi Sotunde (NIGERIA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST ENERGY)
Vor ein paar Tagen ging der Generalstreik zu EndeBild: dapd

Kano, die zweitgrößte Stadt Nigerias, ist das historische Zentrum des islamisch geprägten Haussa-Landes. Bisher hatte sich "Boko Haram" auf die mehrere Hundert Kilometer weiter östlich gelegenen Bundesstaaten Yobe und Borno konzentriert, wo die Gruppe vor rund zehn Jahren entstanden ist. In Kano hatte es bisher nur vereinzelt Angriffe auf Polizeieinrichtungen in der Peripherie gegeben.

Goethe-Institut in Kano geschlossen

"Jetzt hat es auch uns richtig erwischt", waren denn auch die ersten Gedanken von Freedom-Radio-Chef Faruk Dalhatu nach den Explosionen. Und Frank Roger vom Goethe-Institut ergänzt, dass man zwar schon länger mit Anschlägen gerechnet habe, "aber wenn es dann passiert ist man doch überrascht." Roger rechnet nun damit, dass die Arbeit des deutschen Kultur-Instituts in Kano noch schwerer werden wird: "Wir hatten ja gerade erst den sechstägigen Generalstreik hinter uns". Nun sei völlig unklar, wann die Sicherheitslage es erlaube, das Institut wieder zu öffnen. Er selbst werde eine geplante Reise vorziehen und die Stadt in den nächsten Tagen verlassen.

Die Außenstelle des Goethe-Instituts in Kano, Nordnigeria. Foto: DW/Thomas Mösch, 13.12.2010, Kano / Nigeria
Die Außenstelle des Goethe-Instituts in Kano, NordnigeriaBild: DW

Verunsichert sind auch Journalisten, denn unter den Toten vom Freitag ist auch ein Korrespondent des privaten Fernsehsenders "Channels TV". Der junge Reporter Enenche Akogwu war erschossen worden, als er an einem der Anschlagsorte kurz nach Beginn der Angriffe Augenzeugen interviewen wollte. Offenbar befanden sich noch Terroristen vor Ort.

Christen bewerten Lage unterschiedlich

Kano werde jetzt sicher auf eine Stufe mit der Hauptstadt des Bundesstaates Borno, Maiduguri, gestellt, wo solche Angriffe an der Tagesordnung sind, fürchtet Faruk Dalhatu. Er betont jedoch: "Die Angriffe richteten sich jetzt nicht gegen die Bevölkerung, sondern ausschließlich gegen Regierungsreinrichtungen."

Auch der Vorsitzende der Vereinigung der Christen in Nigeria (CAN) im Bundesstaat Kano, Bischof Ransome Bello gibt sich noch gelassen. Im Interview mit der Deutschen Welle erklärte er am Samstag, dass er sich durch die Anschläge als Christ überhaupt nicht bedroht fühle: "Die Boko-Haram-Drohungen gegen Christen sind ja nicht Drohungen der Muslime insgesamt. Hier in Kano arbeiten wir gut mit den muslimischen Verbänden zusammen." Die Christen würden Kano jedenfalls nicht verlassen, betont der Bischof und fügt hinzu: "Natürlich fühlen sich jetzt auch die Christen bedroht. Aber das betrifft alle Menschen hier. Jeder hat in so einer Situation Angst." Er vertraue jedoch darauf, dass die Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle hätten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). EPA/THOMAS IMO / POOL +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP)Bild: picture-alliance/dpa

Im Gegensatz dazu forderte ein Sprecher des Kulturverbandes der Igbo, der größten Zuwanderergruppe in Kano, eine Evakuierung seiner Volksgruppe in die Igbo-Region im Südosten Nigerias: "Wir fordern die Gouverneure der Bundesstaaten im Südosten auf, Transportmittel und angemessenen Schutz zur Verfügung zu stellen." Er interpretierte die Anschläge auch als Angriff auf die schon vor Generationen aus dem Süden zugewanderten Bewohner der Stadt, obwohl deren Stadtteile gar nicht betroffen waren.

Deutschland verurteilt Angriffe

Die Anschläge riefen weltweit Abscheu und Empörung hervor. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte die Attacken als "inakzeptable Missachtung menschlichen Lebens." Und Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte: "Die blutigen Angriffe auf Christen und staatliche Stellen sind eine große Gefahr für den inneren Frieden im Vielvölkerstaat Nigeria."

Autor: Thomas Mösch (mit rtr, afp, ap)
Redaktion: Lina Hoffmann