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GesellschaftDeutschland

Der Barbershop-Boom

Marco Müller
11. September 2020

Frauen dürfen nicht, Männer machen es scheinbar immer öfter: zum Barbershop gehen. Denn die Zahl der Barbershops - Friseurläden, die nur männliche Kunden bedienen - steigt gerade massiv an. Warum?

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Deutschland Siegburg | Der Barber - Barbershop von Tarik Ari
Entspannung mit Rasiermesser am Hals: Willi Klöcker wird vom Barbier verschönertBild: DW/M. Müller

Jetzt nicht zu hastig bewegen. Willi Klöcker hat ein Rasiermesser am Hals. Routine. Es sind ja auch schon wieder zwei Wochen um. Damit wurde es mal wieder Zeit. Alle zwei Wochen geht er zum Barbier, einem Friseur ausschließlich für männliche Kunden. "Der Barber" ist der Name des Friseurgeschäfts, in dem er Stammkunde ist. Es befindet sich in Siegburg, einer 40.000-Einwohner-Stadt im Westen Deutschlands, knapp 30 Kilometer von Köln entfernt.

"Ich will den Bart immer auf einem Level halten. Nach einer längeren Zeit sieht er sonst einfach ungepflegt aus", sagt Willi Klöcker, während Barbier Dominic Geurts an seinem Bart werkelt. Das lässt sich Klöcker durchaus etwas kosten. Jeder Besuch schlägt mit gut 50 Euro zu Buche - also 100 Euro pro Monat. Rund eine Stunde ist er immer dort. Bart und Kopfhaare werden in Form gebracht. Dann hat er wieder zwei Wochen Ruhe. "Zwischendurch mache ich da nichts".

"Die sprießen wie Pilze aus dem Boden"

Wie viele Barbershops es in Deutschland genau gibt, ist schwer zu sagen. Klar ist nur, es werden immer mehr. Auf rund 1200 schätzt Micha Birkhöfer, Fachhändler für Barbier-Bedarf und Veranstalter der "German" und der "European Barber Awards", ihre Zahl. Klingt erstmal nicht viel, aber vor fünf Jahren sollen es gerade einmal 250 gewesen sein. "Die sprießen wie Pilze aus dem Boden", sagt Tarik Ari, Inhaber von "Der Barber" - und ergänzt: "Der ein oder andere macht zu, die Guten aber bleiben." Seinen Laden gibt es seit 2016. Im Beruf tätig ist er aber schon seit 13 Jahren. Erst klassische Friseurlehre, dann Meisterprüfung, vier Jahre angestellt und dann kam die Selbständigkeit. 

Deutschland Siegburg | Der Barber - Barbershop von Tarik Ari
Der 29-jährige Tarik Ari ist "Der Barber"Bild: DW/M. Müller

Aber warum steigt die Zahl der Barber-Shops so stark an? "Ich glaube, jeder, der eine Schere halten kann, will sich selbständig machen", sagt Tarik Ari. Aber warum genau als Barbier? Joachim Weckel, Justiziar des Zentralverbandes des deutschen Friseurhandwerks, sieht mehrere Gründe. Zum einen sei es ein modisches Phänomen. Markante Männerhaarschnitte und getrimmte Bärte - eine insgesamt maskuline Linie - lägen gerade im Trend.

Kulturelle Gründe

Joachim M. Weckel, Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks
Joachim Michael Weckel vom Zentralverband des deutschen FriseurhandwerksBild: Petra A. Killick

Zum anderen sieht Weckel aber auch ein "Migrationsphänomen": "Die Barbershop-Salons haben überwiegend türkische oder arabische Wurzeln." Die dort gewohnte Trennung in Friseursalons für Frauen und Barbershops für Männer werde hier einfach fortgesetzt. "Es ist aber auch so, dass die Migranten ihren eigenen Marktanteil mitbringen und natürlich auch ihre kommunikative Kultur in den Salons. Das sind Meeting Points, wo man sich trifft, gemeinsam wartet und sich austauscht." Barbershops sind also mehr als nur Räume zum Haareschneiden und Barttrimmen. Es sind Kommunikationsräume. Nicht digital im Internet. Sondern ganz traditionell im analogen Raum. 

Während die Betreiber aus einem bestimmten Kulturraum kommen, gilt das für die Kunden nicht. "Da sind die Barbershops nicht nur auf die eigenen Landsleute beschränkt", sagt Weckel. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Barbershop-Betreiber Tarik Ari, der selber türkische Wurzeln hat: "Wir haben überwiegend deutsche Kunden", sagt er. Und das sind fast alles Stammkunden. Jeden Mittwochmorgen um 10 Uhr kommen beispielsweise zwei Anwälte zum Rasieren. "Die kommen, um sich einfach wohlzufühlen bei uns.", sagt Ari. Dabei unterhielten sie sich über alles, was gerade aktuell ist - bis hin zu Börsenkursen. Der Kundenkontakt hört für den 29-jährigen Barbier nicht mit Ladenschluss auf. Auch abends trifft er sich noch mit einigen Kunden - etwa, um zusammen auf der Playstation zu spielen. Vom klassischen Friseursalon ist all das ziemlich weit entfernt.

Deutschland Siegburg | Der Barber - Barbershop von Tarik Ari
Alles für den Bart: Bart-Träger finden im Barbershop, was der Bart begehrtBild: DW/M. Müller

Finanzielle Gründe

Der Faktor Geld könnte ebenfalls eine Rolle spielen beim Barbershop-Boom. Bei den Barbershops handele es sich überwiegend um "Niedrigpreis-Marketingkonzepte", sagt Joachim Weckel. Um die oft sehr günstigen Preise anbieten zu können, versuchten einige Barbershop-Betreiber, die Löhne niedrig zu halten. Grundsätzlich muss der Betreiber eines Friseursalons in Deutschland eine Meisterprüfung gemacht haben. Es ist aber auch möglich, einen Friseursalon oder Barbershop zu betreiben, wenn man einen Betriebsleiter einstellt, der eine Meister-Qualifikation hat. Der verdient allerdings laut Tarifvertrag verhältnismäßig viel, weswegen einige Barbershop-Betreiber dann nach kurzer Zeit ohne den Betriebsleiter weitermachen. Das ist zwar nicht zulässig, aber eben aufwändig zu kontrollieren.

Deutschland Siegburg | Der Barber - Barbershop von Tarik Ari
Fertig: Jetzt hat Willi Klöcker wieder zwei Wochen RuheBild: DW/M. Müller

Barbershop-Betreiber Tarik Ari kennt die Probleme. "Die ganzen Herrensalons, die früher für zehn Euro die Haare geschnitten haben, haben sich jetzt einfach in "Barber" umbenannt. Da gibt es Leute, die haben keine Ausbildung. Oder eben keinen Meister." Bei ihm liegen die Preise zwar höher, dafür gibt es neben ihm noch zwei Mitarbeiter, die auch eine Meister-Qualifikation haben - darunter auch eine Mitarbeiterin. Denn als Barbier arbeiten dürfen Frauen schon, nur im Friseurstuhl sitzen und bedient werden, das geht nicht.

Deutschland Siegburg | Der Barber - Barbershop von Tarik Ari
Debbie besucht den Barbershop - aber nicht für sichBild: DW/M. Müller

Kurz bevor Kunde Willi Klöcker fertig ist, kommt dann aber doch noch eine Kundin herein. Gibt es etwa doch Ausnahmen? Nein. "Mein Freund und ich haben Jahrestag und ich wollte ihm eine Freude machen", sagt die junge Frau namens Debbie. "Deshalb kaufe ich ihm einen Gutschein." Und ihr Freund ist - wie könnte es anders sein - Stammkunde.