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Glaube

Mehr als nur ein bisschen Frieden

26. September 2019

An einem Wochenende den Frieden trainieren: kann das etwas bringen? Es bringt auf jeden Fall wichtige Erkenntnisse.

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Symbolbild Frieden
Bild: picture-alliance/imageBROKER/H.-D. Falkenstein

Ist Frieden wie Tennis?

Schnupperwochenende Friedenstraining. Ich habe mich angemeldet und sitze nun im Zug, nachdenklich: Kann man Frieden trainieren wie Handball oder Tennis? Und immer besser werden? ,,Friedensarbeit fängt bei uns selbst an, es ist Persönlichkeitsarbeit", behauptet später Gudrun, die Trainerin des Wochenendes. Klar, weiß ich, denke ich und warte neugierig, dass sie uns die erste „Übung zum persönlichen Konfliktverhalten“ erklärt. Ich bin überzeugt, dass ich mich reif und wohlüberlegt verhalten werde.

„Drück mich an die Wand!“

Jede hat sich eine Partnerin gesucht, etwa gleich groß. Mir gegenüber steht Dorothee, Psychologin. Wir lächeln uns prüfend an. Gudrun erklärt, was wir machen sollen, und macht es auch gleich vor. Ihr „Gegner“ ist Robert, im Vergleich zu der kleinen Gudrun ein bulliger Typ. „Robert soll jetzt versuchen, mich an die Wand zu drücken. Dabei winkeln wir den Arm in Brusthöhe an und kämpfen Unterarm gegen Unterarm.“ Gudrun hält den eigentlich stärkeren Robert in Schach. Denn sie wendet einen einfachen Trick an, den sie der japanischen Sportart Aikido abgeguckt hat: Sie geht einen Schritt auf Robert zu, dreht sich auf dem rechten Bein um die eigene Achse und schaut nun mit Robert in dieselbe Richtung. Die Unterarme sind nach wie vor gegeneinander gedrückt. Robert ist verdutzt, wir Zuschauenden sind es auch. Egal, was er anstellt, er kann Gudrun nicht an die Wand drücken. „Beidrehen ist die Chance zum tendenziellen Mitbestimmen. Das Gesetz des Handelns geht weg von dem, der die Kraft ausübt, hin zu dem, der sie ablenkt“, erklärt sie uns. Sehr überzeugend. Jedenfalls aus der Zuschauerposition.

Was bei Gudrun gerade noch so leicht aussah, klappt bei Dorothee und mir nicht. Wir kriegen den Schritt nicht hin, der die Drehung einleitet. Schlagartig wird mir klar: Es liegt nicht nur daran, dass ich die sportliche Technik nicht beherrsche. Ich will meinen Standpunkt gar nicht verlassen und auf die Seite der anderen treten.  „Ein typisches Verhalten“, sagt Gudrun. „Wir denken: Wenn ich meine Position aufgebe, habe ich verloren. Aber die andere Sicht zur Kenntnis zu nehmen, das kann in der Phase eines Konfliktes, in der sonst die Kräfte aufeinanderprallen, erst einmal helfen.“ Ich glaube, ich bin noch ganz schön weit weg, um eine Friedensfachkraft sein zu können. Friedensarbeit ist Persönlichkeitsarbeit? Wie wahr!

Jesus gibt oppositionelle Kraft

Reinhard, der andere Friedenstrainer, möchte „die Menschen auf drei Ebenen besser befähigen: auf der Ebene des Könnens, also durch Trainings; auf der Ebene des Wissens, also durch Referate und Diskussionen, und auf der Ebene des Seins, nämlich Mensch in der Gruppe sein, wissen, wie man selber in Konflikten reagiert, wie man Geduld übt, wie man zuhört, wie man seine Kräfte sammelt und erneuert.“ Der Aspekt Spiritualität gehört als feste Größe in das Ausbildungsprogramm. Reinhard hat in den vielen Jahren seines Engagements in der Friedensarbeit erlebt, dass das Wort Spiritualität überkonfessionell und überreligiös akzeptiert ist und dass jede und jeder die eigene geistliche Praxis einbringen kann. Er selbst könnte diese Arbeit nicht ohne den ökumenisch-christlichen Hintergrund leisten. „Ich brauche die Bibellektüre, um auch heute gegen Unrecht vorgehen zu können. Ich brauche die Alternative, und die sehe ich im Evangelium von Jesus Christus. Wenn ich Geschichten über Jesus lese, dann spüre ich auch in mir die oppositionelle Kraft gegen vieles, was so läuft.

Bei einer Tasse Kaffee frage ich ihn, ob das nicht alles mühsame Kleinarbeit ist. Er sagt: „Frieden muss von unten wachsen. Wir bilden hauptsächlich Leute für die sogenannte Graswurzelebene aus. Wir freuen uns, wenn hier und da ein Halm wächst, und warten darauf, dass daraus eine Wiese wird.“

Jetzt sitze ich wieder im Zug, friedensmotiviert. Zwar werde ich nicht in eine Krisenregion dieser Welt gehen, aber ein Halm auf dem Feld des Friedens, das kann ich auch zu Hause sein.

 

Zur Autorin:

Antje Borchers ist Diplom-Medienwirtin und Journalistin. Sie betreibt eine Agentur für Kommunikation, Medienarbeit und Pressearbeit.