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Politik

Tödlicher Streit ums Weide- und Ackerland

Friederike Müller-Jung
30. März 2018

Tausende Tote haben Konflikte zwischen Landwirten und Viehhirten in Nigeria bisher gefordert. Viele andere afrikanische Staaten kennen solche Auseinandersetzungen. Die Ursachen sind vielfältig.

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Niger Normaden Fulani Scharfherde bei Gadabeji
Bild: AP

Fünf Tote mehr sind es seit Sonntag in Nigeria. In mehreren Orten im zentralen Bundesstaat Benue hat es am Wochenende wieder gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben - zwischen Landwirten, die Felder und Ernte verteidigen, und Viehhirten, die als Nomanden durchs Land ziehen und Weideland für ihre Tiere suchen. Im vergangenen Jahr starben nach Angaben von Amnesty International in Nigeria mehr als 500 Menschen bei solchen Auseinandersetzungen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es schätzungsweise 200 weitere Todesopfer. 2016 forderte der Konflikt laut der Denkfabrik International Crisis Group 2500 Tote. Etwa 175.000 Menschen sollen innerhalb des Landes auf der Flucht sein, ein großer Teil von ihnen in Flüchtlingscamps.

Nigeria ist nicht das einzige Land, in dem die Parteien immer wieder aneinander geraten. Im Südsudan gibt es regelmäßig Streit, wenn die Nomaden mit ihrem Vieh weiterziehen, das dabei Ernten zerstört oder frisst. In Mali haben Auseinandersetzungen zwischen Hirten und Landwirten diesen Monat mindestens 25 Tote gefordert. In Ghana gibt es ähnliche Probleme.

"Das ist Völkermord"

"Ich würde zurückgehen, wenn ich könnte", sagt Christophe Bakeo, Landwirt aus einem Dorf in Nigerias Bundesstaat Benue. "Aber das geht nicht. Wenigstens sind wir noch am Leben." Eine Gruppe Viehhalter habe ihr Dorf angegriffen, erzählen er und seine Verwandten, sie seien alle geflohen. Der Bundesstaat Benue in Zentralnigeria ist von den Konflikten besonders betroffen. Hier treffen der vorwiegend muslimische Norden und der überwiegend christlich geprägte Süden aufeinander.

Sudan Viehtreiber
In vielen afrikanischen Ländern kommt es zu Konflikten zwischen Viehhirten und LandwirtenBild: Getty Images

Auch das spiele eine Rolle, sagt Menschenrechtsaktivist Sarli Sardou Nana: "Ursprünglich war das ein Streit um Ressourcen, zwischen Farmern und Hirten. Nach und nach wurde der Konflikt politisiert. Religiöse Manipulation ist auch im Spiel, genauso wie Kriminalität, wenn zum Beispiel Menschen bezahlt werden, um zu töten."  Er setzt sich mit einer Nichtregierungsorganisation für eine Lösung des Konflikts ein. Der Name der Organisation: Stop Genocide Action Group. Denn was in Nigeria geschehe, sei ganz klar ein Völkermord, sagt er im DW-Interview: "Wenn ein drei Tage altes Kind getötet wird, geht es um den ethnischen oder religiösen Hintergrund. Das Kind ist ja weder Farmer noch Hirte."

Das größte Problem sieht er darin, dass die Täter ungestraft davon kommen. "Wenn niemand verhaftet und zur Rechenschaft gezogen wird, dann verteidigen sich die Menschen eben selbst."

Gesetzliches Weideverbot oder spezielle Weidegebiete?

Das kritisiert auch Samuel Ortom, Gouverneur des Bundesstaates Benue, im Gespräch mit dem DW-Korrespondenten: "Unsere Regierung muss doch für Sicherheit sorgen! Ich habe keine Polizei, keine Armee. Die Regierung muss dafür sorgen, dass die Gesetze respektiert werden." Präsident Muhammadu Buhari betont unterdessen öffentlich, seine Regierung tue alles, um Frieden und Sicherheit wieder herzustellen.

Vergangenes Jahr hat der Bundesstaat Benue ein Gesetz verabschiedet, das es Viehhirten verbietet, mit ihren Herden umherzuziehen. Aber die Angriffe und Gegen-Angriffe gehen weiter.

Ein häufig erwähnter Vorschlag, um das Problem zu lösen, sind "Cattle Colonies": vorgegebene Weideländer für Viehhalter, die damit nicht mehr als Nomaden leben würden. Doch das hält Ortom für nicht umsetzbar: "Wo soll das Land dafür denn herkommen?", fragt er aufgebracht. "In den 50ern, als diese Idee aufkam, gab es hier in Nigeria weniger als 40 Millionen Menschen. Heute heißt es, wir sind bald über 200 Millionen."

Armut und Arbeitslosigkeit tragen zum Problem bei

Auch Auwal Ibrahim Musa von Transparency International in Nigeria sieht in solchen Kolonien keine Pauschallösung für das ganze Land. "Eine nachhaltige Lösung gibt es nur, wenn die Leute miteinander reden", sagt er der DW. Dass sich die Konflikte so stark häufen und so viele Opfer fordern, liege an einem Mangel an effektiver Regierungsführung, aber auch an der wachsenden Armut im Land: Viele junge Leute seien ohne Job, ohne Perspektive und Orientierung, wüssten nicht, wie man friedlich mit anderen umgeht. Damit würden sie anfällig für die Parolen derjenigen, die Hass auf andere Gruppen schürten, sagt Musa. Auch Äthiopien kennt solche Konflikte zwischen Viehhaltern und Landwirten. So ziehen beispielsweise die Afar im Osten Äthiopiens mit ihren Tieren als Nomaden von Weide zu Weide, während andere Gruppen sesshaft sind und auf Feldern Landwirtschaft betreiben. Traditionell hätten diese verschiedenen Gruppen gut funktionierende Mechanismen entwickelt, um Streit ums Land gar nicht erst aufkommen zu lassen, sagt Elisabeth van den Akker, die für die Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in der Region ein Programm zur Dürrebekämpfung leitet: "Die Afar ziehen zum Beispiel ins Hochland, wenn es zu Dürreperioden kommt. Dort gibt es meistens noch Weidegebiete oder Ackerflächen, die man nach der Ernte abweiden kann." Die Tiere hinterlassen ihren Dung auf den Feldern, der gut für die Erde ist; ihre Halter schenken den Landwirten zum Dank manchmal gar eines ihrer wertvollen Tiere.

Äthiopien Dürre
Extreme Dürreperioden wie hier in Äthiopien führen zu Streit um die knappen RessourcenBild: CC BY EU/ECHO/Anouk Delafortrie-ND 2.0

"Bereit für die Tiere zu sterben"

Doch wenn die Ressourcen knapp werden, zum Beispiel bei extremen Dürreperioden wie 2015, funktioniert das System nicht mehr. "Wenn die Tiefländer mit ihren Tieren ins Hochland ziehen, bevor die Ernte eingefahren ist, dann kann es zu massiven Konflikten kommen", sagt van den Akker. Ein Kamelbesitzer sei bereit, für seine Kamele zu sterben, um sie zu schützen. Tödliche Auseinandersetzungen könnten die Folge sein. Um dem zuvorzukommen, versucht die GIZ im Auftrag des deutschen Entwicklungsministeriums, alle Beteiligten zusammenzubringen und sucht mit ihnen gemeinsam nach Lösungen.

Jungen Viehhirten bieten sie handwerkliche Ausbildungen an, damit sie in Dürrezeiten nicht allein auf die Tierhaltung angewiesen sind, sondern sich zum Beispiel als Maurer etwas hinzuverdienen können. Außerdem versucht die GIZ, Fluten zu nutzen, die neben den Dürrezeiten ein weiteres klimatisches Problem in der Gegend sind. In der großen Dürre 2015 habe das bereits geholfen, sagt van den Akker: "Dort, wo wir die ersten Maßnahmen hatten, ist es zu weit weniger Konflikten gekommen - einfach, weil genügend Wasser da war." Auf solche positiven Nachrichten müssen die Menschen im zentralnigerianischen Bundesstaat Benue derzeit noch warten.  

Mitarbeit: Adrian Kriesch, Jane Nyingi