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Mehrgenerationen-Wohnen immer beliebter

Anna Peters25. Juli 2013

In deutschen Städten entstehen vermehrt Wohnprojekte, in denen mehrere Generationen gemeinschaftlich unter einem Dach wohnen. Gerade für Senioren sind die neuen Wohnformen eine echte Alternative.

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Wohnprojekt Amaryllis für mehrere Generationen in Bonn-Beuel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/JOKER

"Wenn ich das Gefühl habe, jetzt einmal wieder mit einem Menschen reden zu müssen, dann setze ich mich einfach oben auf meinen Balkon und kann sicher sein, dass in Kürze jemand vorbeikommt und ein Schwätzchen mit mir hält." Tina Arndt ist alleinstehend und 72 Jahre alt, aber alles andere als einsam. Denn anders als viele Gleichaltrige wohnt sie nicht in einem Altenheim oder alleine auf sich gestellt in einem Haus oder einer Mietwohnung. Arndt ist Teil des genossenschaftlichen Wohnprojekts "Amaryllis" in Bonn. Das Zusammenleben in der Wohnanlage erinnert an das einer Großfamilie, nur dass jede Partei ihre eigene Wohnung hat. Hier wohnen drei Generationen unter einem Dach, die sich im Alltag unterstützen, wo es geht. Sogar die Autos werden gemeinschaftlich genutzt.

Arndt ist vor sieben Jahren auf das Projekt aufmerksam geworden. Und schnell war für sie klar, dass sie hier hingehört. "Schon als ich 40 Jahre alt war, habe ich versucht, Gruppen zu gründen, die irgendeine Vorstellung von gemeinschaftlichem Wohnen haben. Die Projekte waren aber immer gescheitert. Dann kam ich vor sieben Jahren auf die Idee, mal im Internet nachzugucken, welche Initiativen es zum Thema Wohnen im Alter gibt und ich bin gleich auf 'Amaryllis' gestoßen."

Tina Arndt (Foto: privat)
Tina Arndt ist vor sieben Jahren auf Amaryllis gestoßenBild: privat

Alt und Jung unterstützt sich gegenseitig

Gerd Hönscheid-Gross gehört zu den Gründern des Projekts. "Wir sind ein selbstverwaltetes Projekt und haben dieses Haus auch selber gebaut. Wir sind die Bauherren, es gibt keine Verwaltung, keinen Investor, der das gemacht hätte", erklärt er im Gespräch mit der DW, was hinter "Amaryllis" steckt. Man habe sich um alles selber gekümmert.

Nicht nur den Bau, auch den Alltag bewältigen die Bewohner in Eigenregie. Damit das funktioniert, gibt es Arbeitsgruppen, in denen sich die Erwachsenen engagieren. Aufgrund des großen Interesses gibt es sogar eine Arbeitsgruppe, die sich mit den vielen Anfragen der Medien beschäftigt. Hönscheid-Gross und seine Frau sind Mitglieder eben dieser Gruppe. In der Wohnanlage in Bonn wohnen rund 50 Erwachsene und 20 Kinder. Die Älteren helfen den Jüngeren und umgekehrt. "Das finde ich großartig, das macht mir Spaß und hält mich munter und jung", schwärmt Arndt von ihrem Alltag.

Die Vorstellung in einem Einfamilienhaus am Stadtrand alt zu werden, war für Hönscheid-Gross unvorstellbar: "Und da es meiner Frau ähnlich ging, haben wir uns auf die Suche gemacht und andere Leute gefunden, die gemeinschaftlich wohnen wollten." Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, sind die beiden dann in die Mehrgenerationenanlage gezogen.

Senioren auf der Suche nach Alternativen

Die Großfamilie, in der die Großeltern mit den erwachsenen Kindern und Enkeln zusammenleben, bildet in Deutschland nur noch die absolute Ausnahme. Gerade im Alter haben viele daher nur noch die Wahl, auf sich alleine gestellt zu leben oder in ein Altenheim zu gehen. Daher suchen immer mehr Senioren, ähnlich wie Hönscheid-Gross und Arndt, nach neuen Formen des Zusammenlebens.

Senioren auf einer Parkbank (Foto: Fotolia)
Deutschland hat die älteste Bevölkerung in der EU - aktuell ist jeder Fünfte über 65 Jahre altBild: Fotolia/dresden

Gerade in den größeren deutschen Städten entstehen so neue Wohnformen, wie "Amaryllis" in Bonn oder auch das Albert-Ria-Altenwohnheim in Freiburg. Hier können Studenten zu einem günstigen Mietpreis Ein-Zimmer-Appartements bekommen. Als Gegenleistung für die niedrige Miete kümmern sich die jungen Bewohner einige Stunden pro Woche um die Senioren und bringen so frischen Wind ins Haus. Die Alten profitieren von den Jungen und umgekehrt.

Älteste Bevölkerung in der EU

Der demografische Wandel führt in Deutschland dazu, dass es zukünftig immer mehr Senioren und weniger Kinder geben wird. Denn Deutschland ist das EU-Land mit der ältesten Bevölkerung. Das belegen aktuelle Zahlen des EU-Statistikamtes Eurostat. Demnach sind in Deutschland 20,6 Prozent aller Einwohner älter als 65 und nur 13,2 Prozent jünger als 14 Jahre.

Gleichzeitig ist die Wohnsituation auf die neuen Gegebenheiten noch nicht vorbereitet, es gibt zu wenige barrierefreie und bezahlbare Wohnungen für Senioren. Hönscheid-Gross kann sich gut vorstellen, dass Mehrgenerationen-Projekte wie "Amaryllis" aufgrund des demografischen Umschwungs zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen werden. Hier fordert er vom deutschen Staat die "Rahmenbedingungen zu schaffen, die es erleichtert, solche Projekte zu initiieren". Umsetzen müsste solche Projekte aber letztlich die Zivilgesellschaft, sagt er. Also engagierte Menschen, die aktiv nach neuen Wohnformen im Alter suchen.

"Langeweile gibt es nie"

Gerd Hönscheid-Gross (Foto: privat)
Einer der Gründer von Amaryllis: Gerd Hönscheid-GrossBild: privat

Das Mehrgenerationen-Wohnen in Bonn hat neben all seinen Vorzügen aber auch seine Nachteile. Denn wo Menschen zusammenleben, gibt es auch Konflikte. "Die gibt es bei uns auch. Da kommt es eher darauf an, wie man sie löst", so Hönscheid-Gross. Wichtig sei es, zu diskutieren und sich auch einmal auf einen Kompromiss einzulassen. Arndt gesteht, dass sie an manchen Tagen auch "die Schnauze voll habe und nicht immer alles diskutieren will. Dann mag ich einfach nicht mehr und mache die Tür zu, stelle das Telefon und die Hausklingel ab. Das nimmt mir dann auch keiner übel."

Für Arndt war es anfangs schwer, ihr Auto nicht mehr alleine zu besitzen: "Ich musste mich daran gewöhnen, dass ich mein Auto teile. Heute finde ich es wunderbar, absolut richtig. Und dann gucke ich auch nicht mehr so hin, ob da ein Kratzer oder eine zertrümmerte Stoßstange von mir oder einem anderen stammt." Heute sei sie in Bezug auf ihr Auto toleranter und lässiger geworden. "Hauptsache, die Karre fährt noch."

Auch wenn es manchmal Konflikte gibt, können sich sowohl Hönscheid-Gross als auch Arndt nicht mehr vorstellen, ihr Alter in einer anderen Wohnform zu verbringen. "Langeweile gibt es nie, und man fühlt sich nicht unnütz. Das macht das Leben hier lebenswert", sagt Arndt mit einem Lächeln.