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Begrenzter Spielraum

13. Juli 2010

Was haben frische Trüffel, Rennpferde und frisch gebundene Adventskränze gemeinsam? Einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Eingelegte Trüffel, Wildpferde und trockene Kränze dagegen nicht. Das könnte sich ändern.

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Frische Trüffel (Foto: DW TV)
Frische Trüffel werden günstiger besteuert als eingelegte

Die Umsatzsteuer, im deutschen Sprachraum auch Mehrwertsteuer genannt, ist der größte und damit wichtigste Posten der staatlichen Einnahmen. Für 2010 rechnet der Fiskus mit knapp 180 Milliarden Euro. Besteuert wird der Austausch von Waren und gewerblichen Leistungen und zwar prozentual vom Netto-Preis. 19 Prozent sind die Regel, sieben Prozent die Ausnahme. Eine Ausnahme, deren Sinn immer mehr in Frage gestellt wird. So haben zum Beispiel Trüffel, Rennpferde und frisch gebundene Adventskränze eines gemeinsam: Werden sie verkauft, dann fallen nur sieben Prozent Mehrwertsteuer an. Ist der Kranz hingegen aus getrockneten Zutaten geflochten, das Pferd ein wild lebendes, oder sind die Trüffel in Essig eingelegt, dann müssen 19 Prozent des Nettopreises an den Staat abgeführt werden.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (Foto: apn)
Finanzminister Schäuble: "Zu hohe Erwartungen"Bild: AP

Das deutsche Umsatzsteuerrecht ist unübersichtlich und nicht nachvollziehbar, das findet auch der FDP-Politiker und Vorsitzendes des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag, Volker Wissing. "Basilikum wird mit 19 Prozent besteuert, Dill dagegen mit sieben Prozent. Das versteht heute kein Mensch mehr." Die unterschiedliche Besteuerung hat historische Gründe. Basilikum gilt traditionell als Heilkraut, Dill als traditionelles deutsches Küchenkraut. Heilkräuter hat man früher in der Apotheke erworben - deswegen wird Basilikum wie ein Medikament mit 19 Prozent besteuert. "Das sind Dinge, die sollte man nicht beibehalten, weil sie keinen Sinn machen", so Volker Wissing.

Kritik vom Bundesrechnungshof

Eine Meinung, die Wissing nicht nur mit vielen Politikern aus anderen Parteien teilt, sondern auch mit dem Bundesrechnungshof. Der hat die Bundesregierung vor kurzem aufgefordert, die ermäßigten Steuersätze grundlegend zu überarbeiten. Ursprünglich waren sie 1968 aus sozial-, kultur-, agrar- und verkehrspolitischen Motiven eingeführt worden. Güter des lebensnotwendigen Bedarfs sollten verbilligt werden. Bei der Forderung nach einer Reform hat der Rechnungshof aber auch die Steuereinnahmen im Blick. Durch die ermäßigte Mehrwertsteuer verzichtet der Staat jährlich auf rund 23 Milliarden Euro.

Eine Summe, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gut gebrauchen könnte, aber: "Von diesen 23 Milliarden Euro entfallen etwas mehr als 17 Milliarden Euro auf Grundnahrungsmittel, einschließlich Trinkwasser. Der zweitgrößte Posten sind die Kulturleistungen, der drittgrößte der Personennahverkehr und dann kommen schon die Übernachtungsleistungen", rechnet der Finanzminister vor.

Der FDP-Politiker Volker Wissing, aufgenommen während einer Pressekonferenz in Berlin. (Foto: dpa)
FDP-Finanzpolitiker Wissing: "Das macht keinen Sinn"Bild: picture alliance/dpa

Übernachtungsleistungen, die erst seit ein paar Monaten ermäßigt besteuert werden und der Koalition schon reichlich Ärger eingebracht haben. Selbst in der FDP würden viele diese Vergünstigung gerne wieder streichen. Parteiübergreifend ist man sich indes einig, dass Güter für den Grundbedarf weiterhin mit nur sieben Prozent besteuert werden sollen. Doch wer legt fest, was zum Grundbedarf gehört? Das fragt sich auch die finanzpolitische Sprecherin der SPD, Nicolette Kressl. "Die spannende Frage ist ja dann zu definieren, was die Grundbedürfnisse sind." Sie glaubt, dass auch kulturelle Leistungen zu den Grundbedürfnissen eines Menschen gehören. "Wir dürfen das nicht auf Essen und Trinken reduzieren."

Lohnt sich das überhaupt?

Man ahnt, dass die Reform nicht einfach werden wird. Die Regierungskoalition hat nun angekündigt, dass sie sich nach der parlamentarischen Sommerpause grundsätzlich Gedanken über das Steuersystem machen will. Dabei solle auch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz überprüft werden, sagt Finanzminister Schäuble, warnt aber zugleich vor zu hohen Erwartungen. "Ich bin nicht für eine Erhöhung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Grundnahrungsmittel. Und für Kulturleistungen auch nicht." Damit werde aber der Spielraum so klein, dass "die Erwartungen an das, was steuervereinfachend erreicht werden kann, sehr viel höher sind als das, was realistischerweise zu erreichen ist."

Eine Regierungskommission soll die Ermäßigungen überprüfen. Allerdings ohne Parlamentsbeteiligung und mit dem Zeithorizont bis 2013. Das ärgert die Opposition, die fürchtet, dass auf unabsehbare Zeit keine Ergebnisse zu erwarten sind. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Thomas Gambke, appelliert daher parteiübergreifend an seine Kollegen: "Lasst uns doch erst einmal den ersten Bereich anpacken, das sind die Hotels, das sind die Dressurpferde, das sind die Skilifte". Hier gebe es in der Gesellschaft einen großen Konsens, und "bis auf die FDP und die CSU ist sicher auch sehr schnell eine interfraktionelle Verständigung zu erreichen". In einem zweiten Schritt könne man dann fragen, ob die Lenkungswirkung, die man mit einem verminderten Mehrwertsteuersatz erzielen wollte, überhaupt erreicht wird.

Begrenzte Lenkungswirkung

Suite im Hotel Excelsior Ernst Köln (Foto: Hotel Excelsior Ernst Köln)
Sorgt für Ärger: Ermäßigter Steuersatz für HotelsBild: Hotel Excelsior Köln

Eine Frage, bei der sich der Grüne Gambke und der FDP-Politiker Volker Wissing sicherlich schnell verständigen könnten, denn Wissing sagt ganz klar: "Die Mehrwertsteuer hat eine sehr eingeschränkte Lenkungsfunktion in unserem Steuersystem." Sie diene im Grunde genommen nur der Sicherung konstanter Steuereinnahmen. All die Ziele, die Familienpolitiker, Tourismuspolitiker und andere durch Mehrwertsteuersonderregeln erreichen wollten, seien nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht erreichbar."

Stattdessen beschäftigt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz immer häufiger die Gerichte. In den vergangenen zehn Jahren gab es mehr als 300 Urteile. In einem Fall musste sich das Finanzministerium zu der Frage äußern, ob Trockenmoos - besteuert mit 19 Prozent - durch Anfeuchten wieder zu frischem Moos wird und damit unter den ermäßigten Steuersatz fällt. Die Antwort war übrigens nein.

Autorin: Sabine Kinkartz

Redaktion: Rolf Wenkel