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14. Februar 2011

Schon vier Tage, aber erst 5 Bärenkonkurrenten. Da stimmt was nicht. Was ist mit dem Wettbewerb der Berlinale los? Erfüllt das bisherige Konzept noch seinen Sinn - fragt Jochen Kürten in seinem Berlinale-Tagebuch.

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Jochen Kürten (Foto: DW)
Bild: DW

Vielleicht sollte man einmal darüber nachdenken, das Festival radikal umzubauen. Es ist ja schon immer höchst fragwürdig gewesen, Filme miteinander zu vergleichen, um dann dem angeblich Besten am Ende einen Hauptpreis zu verleihen. Kunst lässt sich nun einmal nicht in wie auch immer geartete Qualitätskategorien einteilen. Andererseits sind Goldene Bären, Palmen und Löwen natürlich ein gutes Mittel Aufmerksamkeit auf das Kino zu lenken, ein hervorragendes Marketinginstrument eben. Und ab und zu werden ja auch wegweisende Werke ausgezeichnet, die sich in das Gedächtnis der Kinogeschichte eingegraben - die diesen Platz vermutlich aber auch ohne einen solchen Preis gefunden hätten. Und umgekehrt dürften einige Bärengewinner aus der Vergangenheit heute selbst Kennern nicht mehr geläufig sein. In den anderen Künsten ist das im Übrigen nicht anders. Bedeutende Schriftsteller ohne Nobelpreis gibt es wie Sand am Meer - einige, die den Preis bekommen haben, sind inzwischen - zurecht - vergessen.

Filmausschnitt aus `Tales Of The Night´, Regie: Michel Ocelot (Foto: Nord-ouest Films - Studio O - StudioCanal)
Filmszene aus "Tales Of The Night", Regie: Michel OcelotBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Dieser Gedanke ist auch weder neu noch besonders originell, doch am Festivalsonntag kam er mir wieder in den Sinn. Der Grund: die Programmierung. Drei 3-D-Filme liefen im Wettbewerb, zwei außer Konkurrenz, der dritte war ein animierter Scheren-Zeichentrickfilm. Die Unsitte, ein halbes Dutzend Filme im Wettbewerb außer Konkurrenz laufen zu lassen, die gibt es ja schon seit einigen Jahren. Gegen 3-D-Filme ist nichts einzuwenden. Aber: Kann man denn wirklich einen Zeichentrickfilm, der sich zudem eher an ein kindliches Publikum richtet, mit einem hochkarätig besetzten Hollywoodfilm über die Weltfinanzkrise vergleichen? Ist jemand wirklich in der Lage, einen Dokumentarfilm mit einem Spielfilm in Beziehung zu setzen, um dann zu behaupten, der eine sei besser als der andere? Das ist absurd. Preise verlieren so jegliche Relevanz. Bei der diesjährigen Berlinale wird das besonders deutlich, weil sich so wenig Filme wie noch um die Bären bemühen. Vier Festivaltage sind inzwischen vergangen, ein gutes Drittel der Berlinale, es sind aber erst fünf Filme im Rennen um die Preise zu sehen gewesen - unter anderem der französische Märchenfilm. Einen solch dünnen Wettbewerbsstart hat es in der Geschichte der Berlinale wohl noch nie gegeben.

Wim und Werner - zwei Altmeister des deutschen Kinos

Vergessen wir mal die Preise. Immerhin standen zwei Altmeister des Neuen Deutschen Films auf dem Programm: Wim Wenders und Werner Herzog. Natürlich verdienen diese beiden Heroen des deutschen Kinos gewürdigt zu werden. Wim Wenders hat mit "Pina" eine Hommage an die verstorbene Choreografin Pina Bausch gedreht. Es ist wirklich eine Hommage. Die Ensemblemitglieder der berühmten Tanztruppe, die jetzt ohne ihren Kopf auskommen muss, erzählen im Film über ihre ganz persönlichen Beziehungen zu Pina Bausch, erinnern in geradezu schwärmerischer Art und Weise an die große Meisterin. Dazwischen schneidet Wenders Tanzsequenzen, mal auf der Bühne, mal auf den Straßen Wuppertals, in der Schwebebahn, gern auch vor den ausgedienten Industrieanlagen des Ruhrgebiets. Das alles ist mit viel und wie immer bei Wenders gut ausgesuchter Musik abgemischt. Manche Szenen ziehen die Zuschauer sogartig in das Bühnengeschehen hinein. Wer aber mit der Erwartung ins Kino kommt, eine entfesselte Kamera und verblüffende 3-D-Effekte serviert zu bekommen, der wird vermutlich enttäuscht. Erstaunlich oft verharrt Wenders mit seiner Kamera bewegungslos vor der Bühne. Nach den Dreharbeiten hat sich der Regisseur übrigens sehr kritisch zur jüngsten Entwicklung des dreidimensionalen Films geäußert. "Pina" hätte man sich auch zweidimensional vorstellen können. Er hätte wohl kaum darunter gelitten.

Filmszene aus `Pina´, Regie: Wim Wenders (hier: Damiano Ottavio Bigi, Silvia Farias Heredia) (Foto: Donata Wenders © NEUE ROAD MOVIES GmbH)
Filmszene aus "Pina" , Regie: Wim WendersBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Reise in die Unterwelt - in der dritten Dimension

Werner Herzogs Dokumentation "Cave of Forgotten Dreams" über die erst im Jahre 1994 entdeckten Steinzeithöhlen in Zentralfrankreich beginnen furios. So muss 3-D-Film sein, denke ich. Die phantastisch erhaltenen Höhlenmalereien enstanden vor rund 35.000 Jahren. Herzog und sein kleines Team bekamen die einmalige Chance die frühen Kunstwerke auf Filmmaterial zu bannen. Selbst Wissenschaftler dürfen nur in Ausnahmefällen in das Höhlenlabyrinth hinabsteigen. Man will die seltenen Kunstwerke vor Umweltschäden und Tourismus schützen. Die Plastizität der Felsenbilder kommt auch durch den 3-D-Effekt sehr schön zum Tragen. Allerdings gewöhnt man sich auch schnell an die dritte Dimension. Und Herzog bleibt sich auch in seinem neuesten Film treu: Immer wieder setzt er in seiner unnachahmlichen Art, in seinem bayrisch gefärbten Englisch, zu Exkursen an - über den Ursprung der Welt, der Kunst, des Filmemachens. Das ist in guter Herzogscher Art versponnen und zum Teil verschroben. Aber um eine ausgewogene, sachlich fundierte Dokumentation zu sehen, geht man ja auch nicht in einen Werner Herzog Film.

Bild von den Dreharbeiten zu `Cave Of Forgotten Dreams´, Regie: Werner Herzog (Foto: © Internationale Filmfestspiele Berlin)
Bild von den Dreharbeiten zu "Cave Of Forgotten Dreams", Regie: Werner HerzogBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Man kann also nicht behaupten, die Berlinale wäre mit ihren Beiträgen der einzelnen Sektionen nicht mutig genug. Verschiedene Formate, Formen und Sujets finden sich inzwischen überall, ob im Wettbewerb oder in den zahlreichen Nebensektionen. Jeder Zuschauer ist damit aufgefordert, ganz persönliche Schneisen durch den Programmdschungel zu schlagen. Kreativität beim Aufstellen des Berlinalekinoprogramms ist gefragt. Der enorme Publikumszuspruch zeigt das. Die Kinos sind voll, und im Grunde genommen ist es den Leuten auch egal, ob ein Film nun im Forum, im Wettbewerb oder in der Reihe "Generation" läuft, er muss nur gefallen. Doch wäre es da nicht konsequenter über eine Auflösung der Sektionen nachzudenken? Wenn diese sowieso keine Bedeutung mehr haben? Sollte man nicht auf alle Sonder-, Spezial- und Ehrenvorführungen, auf die vielen Unter- und Nebenkategorien verzichten? Der heillose und nebenbei auch sinnfreie Kategoriesierungswahnsinn hätte ein Ende. Wahrscheinlich würde sich das Festivalteam damit auch eine Menge Arbeit ersparen. Und die Zuschauer so manche Enttäuschung.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Angela Müller