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Mein Berlinale-Tagebuch 5

16. Februar 2010

Schon wieder die Österreicher! Im ersten deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag "Der Räuber" spielt ein Österreicher die Hauptrolle – das Ganze spielt in Wien.

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Filmredakteur Jochen Kürten (Foto: DW)
Bild: DW
Dieter Kosslick macht sich ja schon seit Jahren für das deutsche Kino stark, hat dafür gesorgt, dass die Berlinale endlich auch eine Abspielstätte für den hiesigen Film ist. Doch halt! Regisseur Benjamin Heisenberg hat den "Räuber" in und um Wien gedreht, lese ich, sein Hauptdarsteller heißt Andreas Lust und ist waschechter Österreicher. Muss das denn alles immer so kompliziert sein?

Neue deutsche Welle

Dann sehe ich den Film. Klassischer Fall von "Nouvelle Vague Allemande" denke ich. Was das denn nun schon wieder ist, fragen Sie? Naja, das haben sich die Franzosen vor ein paar Jahren ausgedacht als Oberbegriff für die deutschen Filme, die für einen ganz bestimmten Stil stehen und die in unserem Nachbarland sehr angesehen und auch an den Kinokassen recht erfolgreich sind. Regisseure wie Christian Petzold, Angela Schanelec, Christoph Hochhäusler und eben auch Benjamin Heisenberg stehen für diese Art von Kino. Bei uns nennt man das "Berliner Schule". Sehr deutsches Kino.

Filmausschnitt "Der Räuber"
Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin


Es ist eine Art Kino der Reduktion. Die Geschichten werden in einem sehr zurückgenommenen, fast minimalistischen Stil inszeniert, keine überflüssige Kamerabewegung, Musik nur dann, wenn sie wirklich Sinn macht. Keine Mätzchen der Schauspieler sind erlaubt, das ganze wird ohne psychologischen Ballast erzählt. Die Darsteller agieren oft wie hinter Glas, nicht selten ohne große Mimik, fast emotionslos. Strenges Kino ist das und die Regisseure treten auf Pressekonferenzen und in Interviews auch manchmal so auf, ernst und würdevoll.

Am Ende stirbt er

"Der Räuber" von Benjamin Heisenberg erzählt die Geschichte eines Bankräubers, der im Knast viel trainiert hat. Marathonlauf. Dann kommt er raus – und was macht er? Er läuft und raubt Banken aus. Das geht natürlich irgendwann schief. Die Polizei hetzt ihn durchs Land. Am Ende stirbt er, einsam und verlassen. Ich fühle mich wie tot, sagt er ungefähr zur Mitte des Films mit leeren Augen zu seiner Freundin, wie im eigenen Grab. Spätestens da weiß man, dass es kein gutes Ende nehmen wird mit ihm. Nach einer wahren Begebenheit gibt eine Einblendung vor dem Film Auskunft – hilft mir das weiter?

Neue österreichische Welle

"Der Räuber" ist ein gut gemachtes Stück Autorenkino. Kein Firlefanz, keine Mätzchen, ein trauriger Film über eine traurige Figur. Es wird wenig geredet. Die Franzosen werden das wieder mögen, "Nouvelle Vague Allemand" werden sie sich zuraunen. "Nouvelle Vague Austria" könnte man ihnen erklären, ist jetzt ganz en vogue. Ich bin gespannt ob Werner Herzog den "Räuber" mag. Am Abend zuvor hab ich "Rio das Mortes" von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1970 gesehen, im Zeughaus-Kino bei der Hommage an Hanna Schygulla. Das war ein Film, der war weder aus Österreich noch aus Frankreich noch aus Deutschland. Das war ein Film aus einer anderen Zeit, von einem anderen Stern.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Marcus Bösch