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Mein Berlinale-Tagebuch 6

17. Februar 2010

Die Berlinale sucht ihr Glück im Wald. Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, wenn man den Wettbewerb verfolgt. Viele Filme spielen im lichten oder auch dichten Grün. Nicht immer hat der Zuschauer den Durchblick.

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Berlinale Palast am Morgen vor der ersten Vorstellung um 8:30 (Foto: Jochen Kürten)
Berlinale Palast am Morgen vor der ersten Vorstellung um 8:30 UhrBild: DW

Das war schon bei den vergangenen Filmfestspielen in Cannes so. Die Regisseure zieht´s in den Wald. Lars von Triers Intellektuellen-Trash "Antichrist" war nur das spektakulärste Beispiel. Der Trend zum Baum setzt sich auch hier bei der Berlinale nahtlos fort. Am Montag endete die Flucht des marathonlaufenden Bankräubers im Wald. Von Polizisten gehetzt, stirbt er wie ein waidwund geschossenes Stück Wild im Film "Der Räuber" in einem Auto am Waldesrand.

Zorn und Honig

Am Dienstag früh befinde ich mich schon wieder im grünen Dickicht. Diesmal ist es der türkische Regisseur Semih Kaplanoglu, der seinen Film "Bal" (Honig) im Wald ansiedelt. Eine fast schon klassische Vater-Sohn-Geschichte. Der Vater züchtet Bienen und unterrichtet den interessierten Filius bei seinen Wanderungen in Sachen Naturkunde. Das scheint diesen mehr zu interessieren als das Lesen in der Schule. Da kommt er nicht mit. "Bal" ist eine mit schönen Bildern bestückte, sehr gemächlich erzählte Wald-Parabel.

Der Nachmittag dann beginnt zwar zunächst in Teheran, wo Ali mit Frau und kleinem Töchterchen lebt. Doch schon bald begibt sich auch der Protagonist in Rafi Pitts deutsch/iranischer Co-Produktion "Shekarchi" (Zeit des Zorns) in den Wald. Zunächst freiwillig, Ali ist leidenschaftlicher Jäger. Dann notgedrungen. Nachdem Frau und Tochter bei einer Schießerei mit Demonstranten getötet wurden, wird Ali zum Sniper. Die Flucht vor der Polizei endet – im Wald.

Laub- und Nadelwald

Rafi Pitts sagt hier in Berlin, bei seinem letzten Film habe er seine Protagonisten noch beobachten lassen, in seinem neuen Film würden sie agieren – indem sie auf Polizisten schießen. Man kann sich denken, was er damit meint. "Zeit des Zorns" hat Pitts noch in seiner Heimat drehen können.

Beide Filme sind gut gemachte, nachdenklich stimmende Autorenfilme. Voller Symbolik und Anspielungen. Getragen im Erzählrhythmus, verlangen sie den Zuschauern einiges ab. Vor allem auf einem Festival, wo man sich nach kurzer Frühstückspause im Kunstlicht um 9:00 Uhr Morgens wieder in die Dunkelheit des Kinosaals begibt. Wenn sich dann auch noch dichter Laub- und Nadelwald über uns Zuschauer senkt, uns von allen Seiten umschließt, dann ist das schon eine echte Herausforderung.

Lauter Bäume

Zwei Drittel des Wettbewerbs liegen nun hinter mir. Der Eindruck ist ernüchternd. Eigentlich gibt es keinen Film, der herausragt, dem man den Bären zutraut. Hat die Auswahljury der Berlinale nicht richtig hingeguckt und den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen? Viele kleinere Festivals müssen sich zumindest mit ihren Hauptprogrammen hinter der alten Tante Berlinale nicht mehr verstecken. Eine erstaunliche Erkenntnis. Und ob Werner Herzog und seine Jury-Mitstreiter den Bär im Wald noch entdecken?

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Marcus Bösch

Filmstill "Zeit des Zorns" (Foto: Berlinale)
Mit dem Gewehr im Wald - Zeit des ZornsBild: Internationale Filmfestspiele Berlin
Filmstill "Bal" (Foto: Berlinale)
Mit dem Vater im Wald - BalBild: Internationale Filmfestspiele Berlin