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Mein Berlinale-Tagebuch 7

18. Februar 2010

Es geschehen noch Wunder. Zumindest mir begegnete am Mittwoch eins. Ein Filmwunder. Der deutsche Beitrag "Shahada" über junge Leute und ihr Verhältnis zum Islam ist ein wunderbar montierter Episodenfilm.

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DW-Reporter Jochen Kürten hält das Buch "Fritz Lang Metropolis" in den Händen (Foto:DW)
Jochen Kürten- alles im BlickBild: DW

Da kommt ein Regieschwergewicht wie Martin Scorsese mit einem Weltstar wie Leonardo di Caprio zur Berlinale und liefert einen aufgeblasenen Horrorfilm ab. Oder auch etablierte Autorenfilmer aus Europa und Asien, die mit ihren soliden und getragen erzählten Geschichten die Zuschauer auch nicht gerade vor Begeisterung von den Sitzen reißen. Doch dann zeigt die Berlinale am siebten Wettbewerbstag den ersten Spielfilm eines 1980 in Erkelenz geborenen Deutsch-Afghanen – und ich bin sprachlos.

Zunächst zumindest. Doch der Reihe nach. Der junge Regisseur Burhan Qurbani kam vor dreißig Jahren in Deutschland zur Welt, seine Eltern waren kaum ein Jahr zuvor aus Afghanistan ins Rheinische emigriert. Qurbani studierte in den letzten Jahren Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. "Shahada" ist sein Debüt als Langfilmregisseur. Damit in den Wettbewerb eines der weltweit größten Filmfestivals eingeladen zu werden, ist schon mal ein Wunder. Damit setzt Qurbani eine Tradition bei der Berlinale fort, wo deutschen Jungfilmern in den letzten Jahren stets ein Platz an vorderster Wettbewerbsfront eingeräumt wurde.

(Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin)
Tragende Rolle: Schauspieler Vedat ErincinBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

"Shahada" erzählt die episodisch angelegten Geschichten dreier junger Muslime in Berlin. Dazu kommen ein weiteres halbes Dutzend Figuren, Deutsche und Muslime, deren Lebenswege Regisseur Qurbani im Stile eines Robert Altman ineinander verschränkt erzählt. Das herausragende Thema des Films dabei: die Beziehung der einzelnen Personen zum Islam. In einzelnen Kapiteln werden Schlaglichter auf die komplizierten Lebenssituationen der Protagonisten geworfen. Das ist ungemein dicht inszeniert, gut gespielt, mit treffenden Dialogen erzählt. Dramatischer Aufbau, Musik, Kamera, all das stimmt. Ein ganz und gar erstaunliches Debüt, stilsicher und von schwereloser Eleganz – und mit richtigen Kinobildern ausgestattet. Das Einzige, was man dem jungen Regisseur vorwerfen könnte, ist, dass er zu viele hochdramatische Geschichten in kurzer Zeit erzählt hat. "Shahada" ist nur 90 Minuten lang, eine Produktion des "Kleinen Fernsehspiels" des ZDF.

Überrascht und zufrieden, endlich von einem Film des Wettbewerbs tief berührt worden zu sein – ein Film, der zudem weder im Gefängnis noch im Wald spielt, sondern an einem so exotischen Ort wie in einer Großstadt, in diesem Fall Berlin – verlasse ich das Kino. Doch was ist das? Nach ersten Gesprächen mit Kollegen, merke ich, dass nicht alle meine Begeisterung teilen, "Shahada " sogar als sehr misslungen betrachten. So ist es wie so oft in den vergangenen Tagen. Man wird sich hier einfach nicht einig, zu verschieden sind die Meinungen über die Filme des Wettbewerbs. Ich bin einmal mehr sprachlos. Aber mir ist's heute egal. Ich habe einen großartigen Film gesehen.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Conny Paul