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Politik

Ost- und Mitteleuropa und der Kalte Krieg

Boris Kálnoky
26. Oktober 2018

Atomkrieg in Europa - darum geht es im Streit zwischen Putin und Trump um den INF-Vertrag. Zwischen den Fronten ist Ost- und Mitteleuropa zerrissen - soll man es mit Putin halten? Oder mit Trump?

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Boris Kalnoky
Bild: privat

US-Präsident Donald Trump will den INF-Vertrag kündigen - die Vereinbarung mit Moskau aus dem Jahr 1987, alle Mittelstreckenraketen aus Europa abzuziehen. Es ist, als ob die 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts wieder da wären: Erinnert sei an den NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979, der ab 1983 die Stationierung amerikanischer Pershing-Raketen und Cruise Missiles gegen die damaligen russischen SS20-Raketen möglich machte. Ein Dritter Weltkrieg, so schien es, würde atomar sein und in Europa stattfinden. Entsprechend groß war die Erleichterung, als beide Seiten 1987 den INF-Vertrag unterschrieben.

In Deutschland und bei uns in den Ländern Ostmitteleuropas hat man sehr unterschiedliche Erinnerungen an jene Zeit. In Deutschland gab es damals eine lautstarke "Friedensbewegung" mit "Ostermärschen" und Massendemonstrationen. Nur keine amerikanischen Mittelstreckenraketen! Im russisch besetzten Osten Europas wurde das von der kommunistischen Propaganda gefeiert, aber viele Menschen in Polen oder Ungarn schüttelten insgeheim die Köpfe. Vom Westen erhoffte man sich die Befreiung vom russischen Joch, nicht feiges Gejammer.

Wozu ein Vertrag, wenn nur eine Seite ihn respektiert?

Jetzt scheint das wieder loszugehen. Warnende Stimmen ertönen aus Deutschland, den Frieden nicht zu gefährden. "Verheerende Entscheidung", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Dabei ist es damals wie heute Russland, das provoziert. Damals die SS20, heute die 9M729 "Novator", eine angebliche Kurzstreckenrakete, die aber nach amerikanischen Erkenntnissen eine Reichweite von bis zu 3400 Kilometern haben könnte und nach polnischen Erkenntnissen jüngst in der russischen Enklave Kaliningrad stationiert wurde. Das verstößt gegen den INF-Vertrag. Auch die NATO sieht das so. Wozu also ein Vertrag, wenn ihn nur eine Seite respektiert?

Die amerikanische Härte in den 80er Jahren führte zum Erfolg: Der INF-Vertrag war letztlich auch die Folge des NATO-Doppelbeschlusses. In Ostmitteleuropa ist man auch heute überzeugt, dass Härte die einzige Sprache ist, die Russland versteht (aber leider die einzige Sprache, die das reiche, weiche Deutschland nicht spricht). Polen hat "Verständnis" für Trumps INF-Entscheidung.

Warschau rüstet gegen Russland auf, gab dafür 2017 mehr als zehn Milliarden US-Dollar aus, möchte eine US-Division permanent nach Polen holen, und gönnt sich eine der stärksten Armeen in der EU. Polen und Rumänien haben - so klagt man in Moskau - die Stationierung mobiler amerikanischer MK 41-Senkrechtstartanlagen für Flugkörper erlaubt. Diese können auch für den Start von Cruise Missiles benutzt werden. Also Mittelstreckenraketen, die der INF-Vertrag verbietet. Das ist wiederum eine Reaktion auf die Stationierung russischer Iskander-Raketensysteme um Kaliningrad. Diese Systeme können offenbar für den Start der neuen Novator-Raketen verwendet werden.

Iskander Rakete
Russland hat Iskander-Raketen in seiner Enklave Kaliningrad stationiert Bild: picture-alliance/dpa

Das Recht des Stärkeren in der Politik

Inmitten dieses neuen Kalten Krieges ist Ostmitteleuropa zerrissen. Während Polen und Rumänien, sowie die am meisten gefährdeten baltischen Republiken auf eine Politik der Härte und auf militärische Stärke setzen, sieht man es in Ungarn, Tschechien und der Slowakei pragmatischer. Man fühlt sich von Russland weniger gefährdet als die Nordosteuropäer. Man will mit Putin Geschäfte machen. 

Dass aber neue Zeiten anbrechen, erkennen alle. Das Recht des Stärkeren hält wieder Einzug in die Politik, und in solchen Zeiten braucht man ein starkes Militär. Allenthalben in Ostmitteleuropa wird aufgerüstet. Nach Erhebungen des Friedensforschungsinstitutes Sipri wuchsen die Militärausgaben in Ostmitteleuropa 2017 um zwölf Prozent - in Westeuropa (wozu Deutschland gerechnet wurde) nur um 1,7 Prozent. Sogar Ungarn, dessen Armee lachhaft schwach ist, will sich neuerdings im Rahmen des "Zrinyi 2026"-Programms "schlagkräftige Streitkräfte" geben. Von Airbus - um Frankreich und Deutschland im ständigen Streit um die Zukunft der EU auch mal gefällig zu sein - hat man zwei Militärtransporter A319 gekauft und 20 Angriffshelikopter vom Typ H145 bestellt. Die Truppenstärke soll von 30.000 auf 37.000 erhöht werden. Die veralteten T 72-Kampfpanzer will man durch modernere Typen ersetzen - welche, das ist noch nicht bekannt. Eine einheimische Waffenindustrie soll aufgebaut werden.

Beim Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vereinbarten beide Seiten eine intensive Kooperation in der Rüstungsindustrie. Es geht dabei nicht immer nur um Russland. Im Extremfall sind sogar Zusammenstöße denkbar zwischen der Ukraine und Ungarn in der Karpato-Ukraine, wo sich in den letzten Monaten um die ungarische Minderheit eine handfeste Krise entwickelt hat. In Osteuropa wappnet man sich gegen die Gefahr militärischer Konfrontation - aber wer gegen wen, das ist nicht immer klar.   

Boris Kálnoky, Jahrgang 1961, berichtet als Ungarn-Korrespondent für die "Welt" und andere deutschsprachige Medien. Er ist Autor des Buches "Ahnenland" (Droemer 2011), in dem er sich auf die Spuren seiner Vorfahren begibt - unter anderen der k.u.k. Außenminister Gustav Kálnoky.