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Politik

Wann lacht auch der Deutsche?

Beqe Cufaj
22. Dezember 2017

Deutschland hat immer noch keine vollständig handlungsfähige Regierung. In großen Teilen Europas wäre das kein Drama. Wenn es aber um Deutschland geht, darf man nicht zu lange warten, meint Beqe Cufaj.

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Deutschland Kosovo Beqë Cufaj DW Gastkolumnist
Beqë Cufaj - DW GastkolumnistBild: Jürgen Sieckmeyer

Treffen Sie sich ein Däne, ein Italiener, ein Niederländer, ein Franzose, ein Belgier und ein Brite. Sie sprechen über Deutschland. Der Italiener sagt: Ich habe mein ganzes Leben mit Regierungen verbracht, die nicht länger als sechs Monate im Amt waren. Der Niederländer fügt hinzu, dass sein Land fast ein Jahr ohne Regierung war und nichts passiert sei, weil den Staat sowieso der Monarch schützt.

Der Franzose, im endlosen Monolog, wiederholt den Vorschlag seines Präsidenten über den gemeinsamen Haushalt der EU und belehrt die anderen, wie das Leben eines jeden europäischen Bürgers verbessert werden könnte. Und hofft dabei auf die Hilfe der Nachbarn: Die Vision haben wir Franzosen, umsetzen werden es aber die Deutschen. Bloß, die Deutschen müssen vorher eine Regierung bilden, sagt er, schwankend zwischen Freude und Verzweiflung.

Der Belgier flüstert, dass er den Unterschied zwischen seiner Regierung und der Regierung Europas nicht bemerkt. Beide in Brüssel sind sie für ihn sowohl unfähig, als auch unsichtbar. Und der Bürger Großbritanniens, mehr oder weniger glücklich, reibt sich die Hände und hofft insgeheim, dass es besser wäre, keine Regierung in Berlin zu haben, als London zu zwingen, so viel für den Brexit zu zahlen!

Dieser imaginäre Dialog zwischen Vertretern europäischer Nationen ist nur eine Varianten davon, was gerade die Nachbarn über den Stillstand, ja den Krampf in der deutschen Politik denken.

Wenn man an die Lage in Deutschland denkt...

Die Auffassung darüber, wie es um Deutschland steht, hängt vom jeweiligen Standpunkt ab. Optimisten wiederholen stets: Nichts Tragisches ist passiert, es gibt keinen Grund für Panik oder Angst. Vom Wahltermin am 24. September bis zur Bildung der nächsten deutschen Regierung wird es Monate dauern, was niemanden außerhalb Deutschlands überrascht und erschreckt. Insbesondere in Europa kommt es immer wieder nach den Wahlen zu einer politischen Pattsituation. Und das ist der normale politische Wahnsinn.

Denn so etwas kann schon geschehen, wenn Wahlen stattfinden. So etwa in Skandinavien, in denen Minderheitsregierungen keine Seltenheit sind. Oder Koalitionen, die auf den ersten Blick unglaublich anmuten, aber nach Verhandlungen die Monate dauern, doch zu Ergebnissen kommen. Wie es in den Niederlanden in diesem Jahr der Fall war, wie es in Belgien vor drei Jahren gewesen ist oder wie es in anderen Regionen des Kontinents immer wieder passiert.

Das Problem ist: Pessimisten sitzen im Innenraum des Motors von Europa. Sie haben Angst vor einem Machtvakuum, insbesondere angesichts von Macrons Europa-Visionen, da die Regierung in Berlin nur begrenzt handlungsfähig ist. Dann sind da auch noch die Probleme in den Verhandlungen mit den Briten, sowie die globalen Gefahren wie Kriege, Flüchtlinge, islamistische Terroristen und der wachsende Einfluss der nationalistischen Rechten in europäischen Ländern. Und im Herbst stehen EU-Wahlen bevor. Brüssel braucht dringend Reformen. Und diese zu verzögern, wäre schlecht für den ganzen Kontinent und auch für Deutschland.

Handeln, nicht warten

Die deutsche politische Pattsituation ist also doch nicht zu vergleichen mit Krisen der anderen EU- Länder. Das Gewicht der größten wirtschaftlichen und politischen Macht des Kontinents ist zu groß, um sich ins unbekannte Land des Experimentierens zu begeben. Wer garantiert einem deutschen und auch anderen europäischen Steuerzahlern, dass sein Wohlstand weiterhin gesichert ist? Mit anderen Worten, die Lage ist so, als wenn der Vorstand von Daimler die Produktion von Autos aufhalten würde, um zu schauen, ob auch die letzten der Produktionsreihe den Standards entsprechen. Kann sich die Politik so etwas leisten? Nicht die deutsche Politik!

Es muss schnell gehandelt werden. Deutschland ist ein starkes und wohlhabendes Land. Und Europa? Europa weiß nicht so recht, was eigentlich in der deutschen Innenpolitik vor sich geht. Der Däne, der Italiener, der Niederländer, der Franzose, der Belgier und der Brite, sowie all die anderen lachen vielleicht über das politische Theater in Berlin. In ein paar Monaten aber kann es schon ganz anders aussehen. Wie genau, weiß wahrscheinlich nicht einmal Berlin selbst. Hoffentlich sitzt und lacht bis dahin auch der Deutsche mit am Tisch Europas.

Der Schriftsteller und Journalist Beqë Cufaj wurde 1970 in Decan im Südwesten des Kosovo geboren und studierte Literatur in Pristina. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Stuttgart-Degerloch. Unter anderem veröffentlicht er Essays und Kolumnen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Neuen Zürcher Zeitung". Zuletzt veröffentlichte er seinen Roman "projekt@party" im Secession Verlag.