1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Meine Zukunft liegt in Japan

18. März 2011

Viele Schicksale sind mit der Katastrophe von Japan verbunden. Immer mehr Deutsche verlassen die Region. Auch Carola Hommerich hat Tokio und ihr Leben dort verlassen und steht vor einer ungewissen Zukunft.

https://p.dw.com/p/10cL1
Carola Hommerich (Foto: DW)
Schaut voller Sorge nach Japan: Carola HommerichBild: DW

"Die Ungewissheit, dass ich 13 Stunden im Flugzeug sitze und nicht weiß, was passiert, das war das Schlimmste", Carola Hommerich erinnert sich noch gut an ihre Abreise am Montag (14.03.2011) in Osaka. Sie verließ mit einer Spätmaschine Japan und ihr aktuelles Leben. "Hätte es die atomare Bedrohung nicht gegeben, wäre ich geblieben", erklärt die 32-Jährige, die seit dreieinhalb Jahren als Wissenschaftlerin in der japanischen Hauptstadt Tokio lebt. Dass sie plötzlich das Land verlassen müsste, das hätte die gebürtige Bergisch-Gladbacherin sich niemals vorstellen können. Denn eigentlich ist Tokio ihre Heimat. Hier lebt sie mit ihrem Lebensgefährten Takeshi, einem Berufsmusiker, und hier wollte sie auch bleiben.

Der Unglückstag

Carola Hommerich (Foto: Deutsches Institut für Japanstudien)
Carola Hommerich ist als Soziologin für ein Institut in Tokio tätigBild: Deutsches Institut für Japanstudien

Am Tag des Bebens (Freitag, 11.03.2011) befand sich Carola Hommerich in ihrem Büro im fünften Stock eines sehr neuen Gebäudes. Die promovierte Sozialwissenschaftlerin arbeitet in Tokio für das "Deutsche Institut für Japanstudien", das von einer Bonner Stiftung finanziert wird. "Ich habe ganz normal gearbeitet und plötzlich festgestellt, dass es wackelt." Zunächst ging die zierliche Deutsche davon aus, dass es sich um eines der nichts seltenen Erdbeben handele. "Doch dann wurde es immer schlimmer und ich habe verzweifelt überlegt, was ich zu tun habe", beschreibt sie die Ausnahmesituation. Sie kroch erst unter den Tisch, lief dann zur Tür, wo auch schon Kollegen mit Schutzhelmen auf dem Kopf standen. Nach dem Beben machte sie sich auf den Heimweg.

Erste Informationen aus Deutschland

"Ich habe eines der wenigen Taxen ergattert", erinnert sie sich. Doch nach zweieinhalb Stunden Fahrt im Dauerstau entschied sie, die letzten Kilometer zu Fuß zu laufen. "Das war nicht einfach, weil sehr viele Menschen unterwegs waren und man nur sehr langsam voran kam." Grundsätzlich war sie froh, dass alles nicht so schlimm war, so dachte die 32-Jährige.

Aber dann telefonierte sie über Festnetz mit ihrem Vater und erfuhr von dem verheerenden Tsunami. "Man hatte ja erst einmal kein Handynetz und damit auch keine Information. Mein Vater hat mich von Deutschland aus eigentlich erst informiert. Vor allem hat er mich gewarnt. Er sagte mir, bevor ich den Fernseher angeschaltet habe, dass ich mich auf sehr heftige Bilder einstellen solle." Erst nach einigen Minuten konnte sie die ganze Tragweite überhaupt verstehen.

Sorge um den Freund

Ihre ersten Gedanken galten ihrem Lebensgefährten Takeshi, der als Berufsmusiker in der Nähe von Sendai war. "Takeshi hätte am Tag nach dem Beben in Sendai ein Konzert gehabt. Am Tag des Bebens war er in Utsunomiya gut 150 Kilometer nördlich von Tokyo. Er musste eine Nacht in einem Hotel ohne Strom bei ständigen Nachbeben übernachten", erzählt sie.

Doch die Folgen der Naturkatastrophe hätten für Carola Hommerich und ihren Freund nicht bedeutet, dass sie das Land verlassen hätten. "Das hätte das japanische Volk gemeistert. Und wir wollten gerne mithelfen", beschreibt sie ihre Gefühle. Doch mit den zunehmenden Nachrichten über das Atomkraftwerk Fukushima und die Explosionen in den Reaktoren wuchs die Unsicherheit für das Leben in Tokio.

Erste Flucht nach Kyoto

Panorama Bergisch Gladbach (Foto: DW)
Zurück zu den Eltern nach Bergisch GladbachBild: DW/Marion Linnenbrink

"Am Samstag war mein Freund wieder in Tokio und meine Eltern baten uns inständig, die Hauptstadt zu verlassen", erzählt sie weiter. "Wir haben uns beraten, wie es weitergeht. Fest stand aber zunächst, dass wir in Japan bleiben." Daher fuhr das Paar nach Kyoto und beobachtete die Lage weiter. "Als am Sonntag eine Evakuierungsmail meines Instituts kam und auch meine Familie in Deutschland mich bat auszureisen, entschied ich mich zu fliegen", beschreibt die 32-Jährige die schwerste Entscheidung ihres Lebens.

Mit ihrem Freund hatte sie sich einen kleinen Koffer geteilt und mit dem halbleeren kleinen Koffer reiste sie dann weiter nach Osaka - allein. "Es war sehr einfach, einen Flug zu buchen und er war auch gar nicht so teuer", erzählt sie. Dass ihr Freund sie nicht begleitete, hatte viele Gründe. "Takeshi ist Berufsmusiker und spielt am 20. März in Hiroshima mit seiner Band. Er kann nicht einfach abreisen. Außerdem lebt seine Familie in Tokio, die möchte er nicht im Stich lassen."

Ausreise über Osaka

Die Mitreisenden am Flughafen waren sehr diszipliniert. Viele Europäer und Ausländer waren am Gate - alle mit dem Ziel, in die Heimat zurückzukehren oder vor der atomaren Katastrophe zu fliehen. Aber es waren auch japanische Urlauber dabei. "Das war ein bisschen seltsam, dass eine aufgeregte Gruppe älterer Japaner sich auf ihren Sightseeing-Urlaub in Istanbul freute", wundert sich die Deutsche.

Vielleicht auch typisch für die japanische Mentalität - die Soziologin hat sich ihre Gedanken darüber gemacht, wie die Ereignisse seit dem vergangenen Freitag alles verändert haben könnten: "Ich habe vor allem zu dem Thema geforscht, dass die Wirtschaftskrise die japanische Gesellschaft verändert hat. Die Solidarität vor allen mit Menschen, die keinen Job mehr haben oder in Schwierigkeiten steckten, ist in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. Sie fühlen sich ausgegrenzt", beschreibt sie das Ergebnis ihrer Studie.

"In den Notsituationen der letzten Tage hat sich das aber sehr verändert. Das Wir-Gefühl ist sehr stark. Man kümmert sich sehr umeinander. So stehe ich im ständigen Kontakt mit vielen Freunden vor Ort. Sie wollen auch zunächst bleiben." Insgesamt seien die Japaner sehr gefasst - sie zeigen ihre Gefühle ganz generell nicht gerne nach außen.

Ungewisse Zukunft

Über ihre Zukunft mag sich Carola Hommerich keine Gedanken machen: "Ich weiß noch gar nichts. Ich muss jetzt erst einmal viel regeln und versuche, mit meinem Freund in Kontakt zu bleiben. Natürlich erkundige ich mich auch nach meinen vielen Freunden in Tokio und verfolge die dramatische Entwicklung." Vorsorglich hat sie mit ihren Eltern ein Ticket für Takeshi gekauft. Er könnte am Mittwoch fliegen.

Aber eigentlich liegt ihre Zukunft in Tokio. "Natürlich gehe ich zurück, so schnell wie möglich. Das sind mein Wille und meine Hoffnung - jetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Tokio nicht mehr leben kann." Eine Evakuierung wäre für sie unvorstellbar. "Das gäbe dann wahrscheinlich eine Panik." Aber so weit will Carola Hommerich gar nicht denken. "Ich hoffe einfach, dass es nicht so schlimm wird. Ich mag Japan, es ist meine Heimat geworden und dort liegt meine Zukunft."

Autorin: Marion Linnenbrink
Redaktion: Kay-Alexander Scholz