1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

documenta: Skandal mit Ansage

Kieselbach Sabine Kommentarbild App
Sabine Kieselbach
21. Juni 2022

Schon früh wurde gewarnt, das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa unterstütze antijüdische Tendenzen. Nun ist genau das passiert. Die documenta-Macher stehen vor einem Scherbenhaufen, meint Sabine Kieselbach.

https://p.dw.com/p/4D1dE
Documenta 15 | Verhülltes Kunstwerk "People's Jaustice" von Taring Padi
Verhüllt: Das Werk "People's Justice" des Kollektivs Taring PadiBild: Sabine Oelze/DW

Der Auslöser für den Skandal mit Ansage ist haushoch. Auf einer Fläche von neun mal zwölf Metern prangte am Eröffnungswochenende der documenta das Banner "People's Justice", mitten im Zentrum der Weltkunstausstellung, unübersehbar. Ein Weltgericht als Wimmelbild, darauf ein israelischer Soldat mit Schweinsgesicht und Davidstern sowie eine weitere Figur mit Schläfenlocken, gierigen Raffzähnen und SS-Runen auf dem Hut.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Politik, Vertreter jüdischer Organisationen und auch die israelische Botschaft in Berlin übten scharfe Kritik. Und die documenta? Generaldirektorin Sabine Schormann bedauerte am Montag, dass Gefühle verletzt wurden, mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi wurde vereinbart, das Kunstwerk zu verhüllen und am Standort eine Erklärung anzubringen. "People's Justice" solle nun ein Symbol für den im Moment unmöglichen Dialog sein, hat die Gruppe verkündet und drückt ihr Bedauern darüber aus, dass ihr Werk "in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird".

documenta-Chefin: Hilflose Rechtfertigung

Nur in Deutschland? Die Darstellung bedient übelste antisemitische Stereotype, die nicht nur in Deutschland empören. Und auch die Stellungnahme der documenta-Chefin, dass man sich künstlerische Exponate nicht vorab zur Prüfung vorlegen lassen könne, ist nichts als eine hilflose Rechtfertigung.

Kieselbach Sabine Kommentarbild App
DW-Redakteurin Sabine Kieselbach

Man hat im Vorfeld, auch von documenta-Seite, alle Kritik zurückgewiesen und die Chance zum Dialog verstreichen lassen, als man die geplante Diskussionsreihe "Wir müssen reden" im Mai abgeblasen hat. Dabei gab es Warnungen schon seit Monaten, allen voran vom Zentralrat der Juden in Deutschland, der sich nun in allen Punkten bestätigt sieht.

Denn schon bevor es jetzt zum Eklat kam, hatte es heftige Kritik an den Werken einer palästinensischen Künstlergruppe gegeben, die mit ihren Arbeiten das Vorgehen der israelischen Armee in Gazastreifen mit dem der Wehrmacht im spanischen Guernica gleichsetzte.

Den Schaden tragen die teilnehmenden Künstler

Ist die documenta als Ganzes antisemitisch? Nein. Aber der Schaden ist immens, vor allem für die gut 1700 Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt, die die Chance nutzen wollten, dem Publikum in Kassel eine neue, nicht-westliche Perspektive auf die Kunst darzubieten. Die auf der diesjährigen documenta Diskussionen über Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Demokratie und Kapitalismus führen wollten - Themen, die nun ins Hintertreffen geraten sind.

Was also nun? Kurz nachdem die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, deren Behörde einer der Hauptförderer der documenta ist, in einer Stellungnahme am Dienstag hatte verlauten lassen, dass es nicht reiche, das inkriminierte Kunstwerk bloß zu verhüllen, kam die Meldung von Seiten der documenta, es werde nun doch vollständig entfernt. Das, hatte Claudia Roth gesagt, könne aber nur ein erster Schritt sein. Wie der nächste Schritt aussehen könnte, ob auch Köpfe rollen müssen, sagte sie nicht.

Keine typisch deutsche Debatte

Klar ist, den Machern der documenta ist ihr Konzept über den Kopf gewachsen. Und auch die Politik, Claudia Roth ebenso wie Hessens grüne Kulturministerin Angela Dorn, haben zu lange gemeint, sich heraushalten zu können aus der Debatte. Auch weil schon in der Vergangenheit fast jede documenta heftige Kontroversen ausgelöst hatte. Aber die Warnung vor antisemitischen Tendenzen hätte alle Alarmglocken schrillen lassen müssen, stattdessen tat man die Einwände als typisch deutsche Debatte ab. Ein Fehler.

Zumal sich damit auch die Hoffnungen der Künstler und Künstlerinnen aus dem globalen Süden zerschlagen haben, in Dialog mit dem Norden zu treten. Die documenta gilt immerhin als eine der wichtigsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in der Welt. Was für ein Jammer.