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Politik

Corona und kein Ende

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Jens Thurau
25. November 2020

Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten verlängern und verschärfen die Corona-Beschränkungen. Das Virus bestimmt immer stärker alle Ebenen von Politik und Gesellschaft, meint Jens Thurau.

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Deutschland Covid-19 | Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten beraten in Videokonferenz
Bild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Ist eigentlich wirklich noch jemand überrascht, dass die Corona-Beschränkungen in Deutschland - zunächst angedacht bis Ende November - jetzt verlängert und sogar noch verschärft werden? Glaubt man aktuellen Umfragen, ist es eine Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht. Mehr noch, die meisten sprechen sich auch dafür aus, dass die Kontakte, so wie jetzt beschlossen, weiter beschränkt werden. Für die Regierung ist das eine gute Nachricht. Bei allem Leidensdruck, bei allem Chaos im Ringen zwischen den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin bleibt es dabei, dass die grobe Linie aus Berlin eine Zustimmung findet. Nicht mehr so klar wie im Frühjahr, aber immerhin.

Die neuen Beschlüsse der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin haben eine große Überschrift: Wir retten Weihnachten und ein bisschen Silvester, wir wissen um die hohe Bedeutung dieser Zeit für die Menschen. Wir lockern die Beschränkungen also für die Zeit kurz vor Heiligabend bis ins neue Jahr hinein. Angela Merkel ist dabei anzumerken, dass sie auch das für ein hohes Risiko hält, aber sie hat in den letzten Monaten erkennen müssen, dass ihre Macht nicht ausreicht, um die Deutschen zu größerem Verzicht zu zwingen.

Deutschlands Gesundheitssystem hält nach wie vor stand

Immer wieder hat Bundeskanzlerin Merkel betont, dass ein Blick über die Grenzen zeige, dass Deutschland nach wie vor, auch jetzt, glimpflich durch die Pandemie gekommen sei. In anderen Ländern gab und gibt es ja tatsächlich so etwas wie eine Ausgangssperre, davon war Deutschland mit Ausnahme einiger Hotspots immer weit entfernt. Das Gesundheitssystem hat stets funktioniert, tut es auch jetzt noch, wo der Druck immer stärker wird. Es gab in Deutschland keine Bilder von langen Schlangen mit Totentransporten vor den Kliniken wie in Italien.

Aber die Lage ist auch bei uns ernst genug. Genau an dem Tag, an dem die 16 Länderchefs mit Merkel weitere Beschränkungen beschlossen haben, melden die Behörden eine Rekordzahl an Corona-Toten. Und was Merkel immer ausgezeichnet hat, ist der Blick über Morgen hinaus, in die Zukunft. Handeln wir uns mit einem weitgehend freigegebenen Weihnachten ein Superspreader-Event ein? Wie verhalten sich die Deutschen, wenn im Februar der traditionelle Skiurlaub ansteht? Jedenfalls hat der teilweise Lockdown seit Anfang November lediglich dazu geführt, dass das Tempo des Anstiegs der Infektionen gemildert wurde, eine Schubumkehr in Richtung fallender Zahlen ist nicht in Sicht. Merkel hätte schon ihre komplette Linie der vergangenen Monate verlassen und verleugnen müssen, wenn sie jetzt nicht auf weitere Einschränkungen bestanden hätte.

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DW-Redakteur Jens ThurauBild: DW

Corona-Müdigkeit macht sich breit

Noch einmal zum Blick über die Grenzen hinaus: Es hilft den Menschen in Deutschland wenig, wenn sie ständig ermahnt werden, dass es Menschen woanders noch schlechter geht. Das Virus trifft auf eine Gesellschaft, in der Gemeinsamkeit und Familiensinn kontinuierlich abnehmen, in der die Zahl der Single-Haushalte immer mehr zunimmt. Welche Folgen eine monatelange Isolierung für viele Menschen hat, wird sich erst mit großem Zeitabstand zeigen.

Und es macht sich eine Corona-Müdigkeit breit. Merkel soll in einer der Runden gesagt haben, die Menschen wollten, dass "das Ding" endlich verschwindet. Das stimmt. Umso mehr muss jede neue Maßnahme, jede neue Verschärfung, gut begründet sein. Das ist in der jüngsten Vergangenheit weniger gut gelungen als noch im Frühjahr.

Merkel kann freier agieren als die Ministerpräsidenten

Der Hauptgrund dafür ist struktureller Natur: Merkel ist für die Umsetzung der Einschränkungen nicht zuständig, das sind zumeist die Länder und Kommunen. Außerdem stellt sie sich im nächsten Jahr nicht noch einmal zur Wahl, sie kann tun und anregen, was sie wirklich für richtig hält. Und es ist erkennbar ihre Absicht, als eine Kanzlerin abzutreten, die ihrem Land die gröbsten Schäden durch das Virus hat ersparen können. Die Ministerpräsidenten dagegen müssen ihren Bürgern die Zumutungen vor Ort erläutern, und ja: Sie wollen trotzdem wiedergewählt werden.

In solch einem Spannungsfeld kommt es dann zu zwischenzeitigen Ideen Merkels wie der, dass sich Jugendliche nur noch mit einem Freund treffen dürfen. Zu Recht hielten ihr die Länderchefs entgegen, an diesem Punkt den Kontakt zur Realität verloren zu haben. Wie sehr das die Menschen erregt hat, zeigt die Tatsache, dass Deutschland größtes Boulevard-Blatt, die "Bild-Zeitung" tagelang empörte Bürger auf den Plan rief, um Merkels "Ein-Freund-Plan" in Stücke zu reißen.

Aber eine Mehrheit wird auch diese jetzigen Beschlüsse mittragen. Die meisten Menschen hatten sich schon vorher darauf eingestellt, ihre Lieblingskneipe frühestens im neuen Jahr aufsuchen zu können, wenn sie dann hoffentlich noch existiert. Es stimmt: Das blöde Virus will einfach nicht verschwinden. Also was bleibt? Durchhalten, auf die Impfstoffe hoffen, und irgendwie zur Ruhe kommen - zum Fest hin. Mehr geht gerade nicht. Schöne Bescherung.