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Politik

Das "Impfstoff-Privileg" wird sich rächen

Volos 2018 | Cai Nebe
Cai Nebe
5. Februar 2021

Die schnelle Entwicklung von Corona-Impfstoffen hätte dem Westen helfen können, mehr Einfluss auf Afrika zu gewinnen. Doch diese Chance wurde komplett vergeigt, meint Cai Nebe.

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Südafrika Cornavirus Ankunft Impfstoff
Ankunft der ersten Lieferung von Corona-Impfstoff in SüdafrikaBild: via REUTERS

BioNTech und Pfizer, Moderna, Janssen, Oxford-AstraZeneca, CureVac - diese Firmen haben in der Europäischen Union, Großbritannien und den USA in Rekordzeit eine beeindruckende Anzahl von Impfstoffen entwickelt, um die Welt aus der Corona-Pandemie zu retten. Das heißt, wenn der Westen endlich aufhören würde, sich zu streiten.

Die Coronavirus-Impfstoffe in weniger als einem Jahr zu entwickeln und verfügbar zu machen, ist zweifelsohne eine unglaubliche Leistung. Allerdings führt sie auch zu einem "Impfstoff-Privileg". Die EU zum Beispiel hat bereits deutlich mehr Coronavirus-Impfstoffe gekauft als ganz Afrika, obwohl in Europa im Vergleich viel weniger Menschen leben.

Die Corona-Pandemie ist anders

Es ist nicht neu, dass der Westen, insbesondere Europa und die Vereinigten Staaten, gegenüber den Entwicklungsländern in Afrika und anderswo privilegiert ist. Seit Jahrzehnten haben die Industriestaaten die Oberhand in Sachen Handel, politischer Macht und militärischer Stärke.

Kommentarbild Cai Nebe
DW-Redakteur Cai NebeBild: Philipp Böll/DW

Aber die COVID-19-Pandemie ist aus zwei Gründen anders. Zum ersten Mal seit Menschengedenken sieht sich der Westen mit einer Gesundheitskrise konfrontiert, die vergleichbar und zum Teil sogar schlimmer ist als jene, die den afrikanischen Kontinent regelmäßig heimsuchen.

Die Reaktion in Europa war, zumindest nach außen hin, die Zugbrücke hochzuziehen und "die Festung zu sichern" - sogar zum Nachteil der anderen EU-Mitglieder. Erinnern Sie sich an die ganzen nationalen Exportverbote von persönlicher Schutzausrüstung im Frühjahr 2020? An die Reiseverbote und die plötzliche Schließung der Binnengrenzen - obwohl doch die Bewegungsfreiheit im Schengen-Raum als eine der größten Errungenschaften der Union gilt? Die Benennung der Virus-Mutationen in "südafrikanische Variante", "brasilianische Variante" und "britische Variante"? Während der ehemalige US-Präsident Donald Trump noch kritisiert wurde, weil er das SARS-CoV-2-Virus als "China-Virus" bezeichnete.

Zweitens konkurriert der Westen zum ersten Mal seit dem Fall der Berliner Mauer mit anderen Mächten um die Vorherrschaft des politischen und wirtschaftlichen Kurses der Welt. Denn die Haltung von China, Russland und Indien war eine grundsätzlich andere. Es spricht Bände, dass China angeboten hat, Impfstoff des chinesischen Herstellers Sinovac auch den afrikanischen Ländern zur Verfügung zu stellen. Guinea, Argentinien und Chile verwenden bereits den russischen Impfstoff Sputnik V. Und auch wenn nur ein Narr glauben würde, dass die Absichten Russlands und Chinas völlig selbstlos sind, wenn sie ihr Impfstoff-Privileg mit anderen Ländern teilen, sind solche Taten doch mehr wert als alle Worte.

Schlechtes Timing und das "Ich zuerst"-Syndrom

Vielleicht kam der Beginn der Impfkampagne einfach nur zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Die USA sahen sich mit dem Sturm auf das Kapitol konfrontiert, die EU und Großbritannien waren in die bittere Brexit-Scheidung verwickelt. Vielleicht hatte China - dank seiner niedrigeren Infektionsrate - einen Vorsprung, der ihm die Freiheit gab, seine Impfstoffe auch dem Ausland anzubieten.

Aber es gibt nie einen perfekten Zeitpunkt für eine globale Pandemie - was die Länder südlich der Sahara nur zu gut wissen. Für viele ist Corona nur ein weiteres Problem neben den bereits bestehenden, wie zum Beispiel der schlechten öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur, der chronischen Arbeitslosigkeit und einer schwächelnden Volkswirtschaft. Der tansanische Präsident John Magufuli ging sogar so weit zu sagen, dass sein Land nicht plane, Impfstoffe zu kaufen. Eine extreme und ziemlich verrückte  Direktive, die aber in der ostafrikanischen Nation auf Zustimmung stößt.

Kenia Gesundheitsminister Mutahi Kagwe
Kenias Gesundheitsminister Mutahi Kagwe hält es für einen Fehler, sich vom Westen abhängig zu machenBild: Getty Images/AFP/Y. Chiba

Medizinische Hilfe in Afrika bedeutet in der Regel, den Westen um Unterstützung anzubetteln und damit in ein Abhängigkeitsverhältnis zu geraten. Die ehemalige ruandische Gesundheitsministerin Agnes Binagwaho brachte es am besten auf den Punkt, als sie auf die EU gemünzt sagte: "Seien Sie offen und sagen Sie: 'Mein Volk zuerst.' Lügen Sie mich nicht an und behaupten, dass wir gleichberechtigt sind." Kenias Gesundheitsminister Mutahi Kagwe fügte hinzu, es wäre "töricht", sich von westlichen Nationen abhängig zu machen.

Mehr Spaltung, keine Gleichheit

Wer gehofft hatte, dass die COVID-19-Pandemie ein großer Gleichmacher zwischen den reichen Ländern und den Schwellenländern sein würde, wurde bitter enttäuscht.

Wenn es jemals einen Moment gab, in dem deutlich wurde, wie pharisäerhaft vor allem die EU agiert, wenn es um die Bekämpfung von COVID-19 geht, dann war es das peinliche Gerangel zwischen der Union und dem Impfstoff-Hersteller AstraZeneca. Länder, die nicht den Hauch einer Chance auf eine schnelle Versorgung mit Impfstoffen haben, mussten fassungslos zusehen, wie sich reiche europäische Länder um Millionen Impfdosen stritten. Ein Hin und Her, das drohte, in eine kindische Schlammschlacht auszuarten.

Zwei Hände halten Impfstoffampullen aus Russland (links) und China (rechts) / (Photo by OLIVER BUNIC/AFP via Getty Images)
Die Impfstoffe aus Russland und China stehen auch international zur VerfügungBild: Oliver Bunic/AFP/Getty Images

Die gerechte Verteilung der Impfstoffe hätte das Beste eines vereinten Westens hervorkehren können, der so verlorene globale Schlagkraft zurückgewonnen hätte. Aber stattdessen sorgt das Verfahren für neue Spaltungen und Nationalismus, trotz der Bemühens der EU, Einigkeit zu zeigen, als sie die Impfstoffe gemeinsam bestellte.

Verlorenes Vertrauen

Jetzt werden Debatten darüber toben, ob die Impfkampagne in den EU-Ländern erfolgreich war und ob die Industrieländer mehr hätten tun können, um ihr Impfstoff-Privileg zu teilen. Diejenigen, die meinen, es sei nicht die Aufgabe der westlichen Nationen alleine ist, die Welt vor einer Katastrophe zu retten, sollten das Handeln Chinas zur Kenntnis nehmen: Obwohl sich das Land nicht als verantwortlich für die Pandemie betrachtet, leistet es doch seinen Beitrag dazu, ihre globalen Folgen einzudämmen.

Es scheint, dass der Westen das Impfen als ein Grundrecht für sich selbst und als ein Privileg für alle anderen betrachtet. Das ist ein Fehler. Nach diesem Debakel ist es schwer vorstellbar, dass afrikanische Länder sich in Fragen der öffentlichen Gesundheit jemals wieder an den Westen wenden oder ihm vertrauen werden.

Adaption aus dem Englischen: Felix Steiner