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Glaube

Der Papst lockt mit süßen Worten

Kommentarbild PROVISORISCH Silja Fröhlich
Silja Fröhlich
22. Oktober 2020

Papst Franziskus fordert ein Gesetz für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Es sind ganz neue Töne aus dem Vatikan, doch kirchenrechtlich werden sie ohne Wirkung verhallen, meint Silja Fröhlich.

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Vatikan Papst Franziskus
Bild: Guglielmo Mangiapane/Reuters

Die Endzeit ist gekommen, nun herrschen Sodom und Gomorra. So mögen es in diesen Tagen konservative Katholiken sehen, die mit Sorge die ungewohnten Töne vernehmen, die aus dem Vatikan kommen. Papst Franziskus hat sich erneut in seiner Funktion als Kirchenoberhaupt und als erster Papst überhaupt, offen für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ausgesprochen.

"Homosexuelle Menschen haben das Recht darauf, in einer Familie zu sein", sagt er in einem Interview für den Dokumentarfilm "Francesco". "Sie sind Kinder Gottes." Nötig sei ein Gesetz für eingetragene Partnerschaften, um Schwule und Lesben rechtlich abzusichern.

Vermeintliche Fortschrittlichkeit

Diejenigen, die schon seit langem eine Änderung der kirchlichen Sexuallehre fordern, feiern die vermeintliche Fortschrittlichkeit des Papstes, der sich schon als Erzbischof von Buenos Aires für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als Alternative zu gleichgeschlechtlichen Ehen ausgesprochen hat. Bei Erzkonservativen hingegen lösen die Worte das schlichte Grauen aus, und die Furcht, dass Franziskus die christlichen Wurzeln doch noch mit "schädlichem Humanismus" ersetzen könnte.

2018 polarisierte der Papst noch mit einer ganz anderen Aussage zur Homosexualität: Bei jüngeren Kindern ließe sich "noch vieles machen, mit der Psychiatrie etwa, um zu sehen, wie die Dinge sich verhalten". Nun macht Franziskus offenbar eine Kehrtwende - mit welchem Ziel?

Liberalität nur bis vor die Kirchentür

Tatsache ist: Europa steckt in einer Glaubenskrise. Der Ruf nach der Gleichstellung von Frauen, Geschiedenen und Homosexuellen rollt in schweren Wogen über Rom hinweg, doch der Vatikan scheint davon gänzlich unberührt. Es gibt kein sichtbares Bestreben, den Katholischen Katechismus neu zu interpretieren, in dem es heißt, dass "homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung sind".

Silja Fröhlich (privat)
DW-Autorin Silja Fröhlich

Als junge Katholikin bin ich frustriert. Für mich bedeutet Franziskus Aussage nicht mehr als: Wir unterstützen die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft - aber nur bis vor die Kirchentür! Ein ziviles Gesetz - aber kein Sakrament für die homosexuellen Gläubigen, die diese Partnerschaft in tiefem Glauben vor Gott bringen wollen.

In einem Dokument der Kongregation für die Glaubenslehre aus dem Jahr 2003 heißt es, es sei Einspruch zu erheben gegen eine rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen oder ihre Gleichstellung mit der Ehe. Gleichstellung war nie das Steckenpferd des Vatikans und Franziskus' Worte sind für mich nicht mehr als ein persönlicher Ratschlag.

Der Papst lockt seine liberalen Schäfchen mit süßen Worten - ein Versuch, nicht noch mehr von ihnen zu verlieren. Allein 2019 traten in Deutschland 272.771 Katholiken aus der Kirche aus. Auf der anderen Seite befriedigt er clever die konservative Fraktion, denn für die katholische Kirche selbst, ist die neue Liberalität nicht gedacht.

Kriminalisierung statt Gleichstellung

Nicht zu vergessen, dass dort, wo Katholizismus noch am intensivsten praktiziert wird und der Zustrom an Gläubigen ungebrochen ist, Homosexualität als eine der größten Sünden gilt: in Afrika. Der Kontinent hat die am schnellsten wachsende katholische Bevölkerung der Welt, die bis 2050 wohl fast 350 Millionen Gläubige umfassen wird. Doch 31 afrikanische Länder kriminalisieren Homosexualität, Schwule und Lesben droht dort Gefängnis oder sogar die Todesstrafe. Dazu kommen gesellschaftliche Ächtung, alltäglichen Demütigungen bis hin zu Vergewaltigungen. Ich bezweifle, dass Papst Franziskus und der Vatikan seinen größten Unterstützern auf die Füße treten kann, die sich zeitgleich so lautstark gegen eine Legalisierung von Homosexualität einsetzen.

Bereits 2017 sagte Kardinal Robert Sarah, dass sich Europa "in einer Zeit der schleichenden Apostasie", also dem Abfall vom christlichen Glauben, befinde. Nun pflanzt Franziskus - um ein Kirchenlied zu zitieren - "ein kleines Senfkorn Hoffnung" bei denen, die so sehnlich auf die Akzeptanz und den Mut ihrer Kirche hoffen, gemeinsam einen Schritt in die Zukunft zu machen. Es sind dieselben, die noch immer auf Franziskus Zustimmung zur Priesterweihe verheirateter Männer als Ergebnis der Amazonas-Synode 2019 warten. Doch ich bin überzeugt: Auf dem festgestampften Boden der katholischen Kirche wird derzeit kein Senfkorn keimen.