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Deutschlands demokratisches Desaster

Deutsche Welle Pfeifer Hans Portrait
Hans Pfeifer
16. Dezember 2021

Ausgerechnet die in Teilen rechtsextreme AfD soll im neu gewählten Bundestag die politische Arbeit gegen Rechtsextremismus organisieren. Schuld daran sind die neuen Regierungsparteien, meint Hans Pfeifer.

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AfD Parteitag in Dresden: Halle mit Delegierten, in der Monitore mit Nahaufnahmen von der Parteitagsbühne von der Decke hängen. Auf den Monitoren ist der Parteivorsitzende Tino Chrupalla bei seiner Rede zu sehen
Parteitag der Alternative für Deutschland - der völkische Parteiflügel gewinnt immer weiter an EinflussBild: Jens Schlueter/AFP/Getty Images

Acht Jahre sind eine lange Zeit in der Politik. Für Präsidenten in den USA sind sie das Maximum, um politischen Einfluss zu nehmen. Acht Jahre sollten also auf jeden Fall ausreichen, um politische Herausforderungen zu begreifen und angemessene Antworten auf sie zu finden. In Deutschland hat diese Zeitspanne offensichtlich nicht gereicht.

Im Jahr 2013, also vor acht Jahren, trat in Deutschland die "Alternative für Deutschland" (AfD) an, um das Land von rechts zu verändern. Sie startete mit einer Kampagne gegen die Gemeinschaftswährung Euro. Aber von Anfang an tummelten sich auch rassistische Hetzer und völkische Nationalisten in der Partei. Trotzdem (oder deswegen?) hat die AfD bis heute Erfolg: Sie sitzt im Bundestag, allen 16 Landes- und auch in vielen Kommunalparlamenten. Im Osten Deutschlands gehört sie mittlerweile zu den stärksten politischen Kräften.

Zuständig für die Bekämpfung des Rechtsextremismus?

Der Erfolg bringt ihr viele Millionen Euro aus der staatlichen Parteienförderung.  Aber vor allem sichert er ihr politischen Einfluss. Im Bundestag haben die anderen Parteien der AfD jetzt das Zugriffsrecht für den Vorsitz im wichtigen Innenausschuss überlassen. Ausgerechnet der Innenausschuss! Er ist zuständig für brisante Aufgaben wie die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Arbeit der Geheimdienste und das Thema Asyl.

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DW-Redakteur Hans PfeiferBild: DW/B. Geilert

Der Ausschussvorsitzende ist so etwas wie die Kontaktperson des Parlaments zu den Sicherheitsbehörden. Dieses Amt soll jetzt ein Abgeordneter einer Partei übernehmen, die von den Sicherheitsbehörden als in Teilen verfassungsfeindlich eingestuft wird? Die zahlreiche Mitglieder hat und hatte, die immer noch Hitler und dem Nationalsozialismus anhängen? Die zahlreiche Mandatsträger hat, die keine Polizei- oder Soldatenuniform mehr tragen dürfen, weil ihre Staatstreue in Frage steht? Das ist grotesk. Und alles andere als der Ausdruck einer wehrhaften Demokratie!

Nun gehört es zu den demokratischen Spielregeln, dass gewählte Parteien Rechte haben - unabhängig von ihrer Gesinnung. Auch die AfD. Aber welche Ämter die AfD im Einzelnen ausüben darf, ist eine politische Entscheidung. Es hätte in der Hand der größeren Parteien im Parlament gelegen, selbst den Vorsitz des Innenausschusses zu beanspruchen. Das haben sie offensichtlich nicht getan. Dass die 40 Bundestagsabgeordneten im Innenausschuss jetzt mehrheitlich den Kandidaten der AfD für den Vorsitz durchfallen ließen ist ihr gutes Recht. Aber es bietet der Partei nur neue Gründe, sich als Opfer zu stilisieren.

AfD-Erfolg ist Versagen der demokratischen Parteien

Den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sowie den konservativen Unionsparteien CDU/CSU waren andere Posten aus verschiedenen Gründen wichtiger. Das ist erschreckend. Denn Deutschland wird seit Jahren von Hass und Hetze erschüttert. Zurecht nennt die neue Innenministerin Nancy Faeser den Rechtsextremismus die größte Bedrohung des Landes. Zahlreiche rechtsextreme Morde, Antisemitismus, hunderte Anschläge auf Flüchtlinge: Die Kriminalstatistiken sind alarmierend. Und die immer radikaleren Corona-Proteste unterstreichen, wieviel Sprengstoff im politischen Extremismus steckt. Aber die demokratischen Parteien straucheln und zögern in ihren Antworten auf diese Herausforderungen.

Hannes Gnauck vor einer TV-Kamera
Der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck wird vom Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr als Extremist eingestuft - für die AfD sitzt er jetzt im VerteidigungsausschussBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

In der Debatte über die AfD werden Argumente gegen sie häufig als typisch deutsche "Nazikeule" abgetan. Nur weil jemand rechts sei, heißt es dann als Gegenargument, sei er ja noch kein Nazi. Dabei sind die Bezüge der AfD zu Hitler und dem Nationalsozialismus, zu völkischen Nationalismus und Demokratiefeindlichkeit ganz schlicht ein Fakt - sie stellt sie ja selbst her! Dokumentiert durch Rechercheplattformen und Journalisten. Und erstaunlicherweise immer wieder auch durch die AfD selbst.

Meister der Selbstverharmlosung

Deswegen ist es so wichtig, dass die konkurrierenden Parteien beim Umgang mit der AfD nicht zuerst an ihre eigenen Wahlaussichten denken. Dass sie nicht aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen der AfD ausweichen. Dass sie - im Gegenteil! - die Konfrontation suchen. Für das Überleben der Demokratie.

Die AfD wird sich - so denn einer der ihren gewählt wird - mit dem Posten des Vorsitzes des Innenausschusses schmücken. Er ist ein kleiner Baustein ihrer großen Strategie: Ihre radikale Wucht verharmlost sie mit dem Mantel der staatspolitischen Verantwortung in den Parlamenten.

Ihre Wahlerfolge haben Deutschland bereits verändert. Gerade im Osten der Republik beklagen viele kleine Vereine und Verbände, dass Hass und Hetze immer mehr zum Alltag gehören. Das ganze Ausmaß des Schadens kann man vielleicht noch nicht nach acht Jahren sehen. Aber der Grundstein für enorme Schäden lässt sich in acht Jahren legen.

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Hans Pfeifer Autor und Reporter