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Politik

Die DITIB, Erdogan und Deutschlands Dilemma

Erkan Arikan Kommentarbild App
Erkan Arikan
9. Juli 2021

Soll die türkische DITIB am islamischen Religionsunterricht in Deutschland beteiligt werden? Dafür müsste sie die Vorwürfe widerlegen, sie sei Präsident Erdogans langer Arm nach Deutschland, meint Erkan Arikan.

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Minarett und Kuppelbau der DITIB-Zentralmoschee in Köln
Auch die Kölner Zentralmoschee ist eine DITIB-Moschee - hier hat der Verband seinen HauptsitzBild: picture alliance/dpa/Geisler

Ich muss gestehen, dass ich früher häufig zum Beten in DITIB-Moscheen gegangen bin. Doch leider habe ich inzwischen das Vertrauen in die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) verloren. Immer wieder wird in den Moscheen Politik gemacht, statt Religion zu erklären.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (NRW) denkt anders als ich. Denn sie hat beschlossen, dass die Koordination des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen in NRW unter anderem auch der DITIB übertragen werden soll. Der Aufschrei war groß: Die prinzipiell DITIB-kritischen Grünen haben den Beschluss scharf verurteilt, aber auch Bundespolitiker von CDU und FDP, deren Parteien ja die NRW-Landesregierung stellen.

Die DITIB hat nach eigenen Angaben rund 24.000 ehrenamtliche Mitarbeiter und 200.000 Mitglieder in Deutschland. Berücksichtigt man zusätzlich die Familienangehörigen, vertritt die DITIB rund 800.000 Menschen. Das Problem sind jedoch die hauptamtlichen Mitarbeiter der Moscheegemeinden, die Vorbeter und Imame, die als Beamte des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten in Ankara (DIYANET) nach Deutschland entsandt werden. Sie sind keine unabhängigen Geistliche, sondern können als der lange Arm Erdogans betrachtet werden, der bis Deutschland reicht. Und genau daran entzündet sich die Kritik, wenn die DITIB jetzt Einfluss auf den islamischen Schulunterricht in NRW gewinnt.

Bruch mit der DITIB nach dem Putschversuch von 2016

Dabei ist die Mitwirkung der DITIB im entsprechenden Gremium gar nicht neu - doch 2017 wurde sie aus gutem Grund ausgesetzt: Nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 stellte sich nämlich heraus, dass einige DITIB-Imame auf Ersuchen aus Ankara eine Liste mit Anhängern und Gemeinden des Predigers Fethullah Gülen erstellt und an das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten geliefert hatten. Gegen sechs DITIB-Imame wurden deswegen staatsanwaltliche Ermittlungen eingeleitet.

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Erkan Arikan leitet die Türkische Redaktion der DWBild: DW/B. Scheid

Aus Nordrhein-Westfalen waren etwa 40 Personen namentlich auf dieser Liste verzeichnet, an ihrer Erstellung sollen 13 Imame beteiligt gewesen sein. Einige dieser Imame waren sogar ohne Aufforderung Ankaras tätig geworden und haben Listen der Gülenisten in ihrer Stadt an die ÇİMER, die Kommunikationsbehörde des türkischen Präsidialamtes, oder direkt an türkische Sicherheitsbehörden weiterleitetet. Dort wurden diese Informationen dann Beweismittel und Grundlage für entsprechende Anklagen in der Türkei.

2018, während der türkischen Operation in Afrin, spitzten sich die Diskussionen weiter zu, inwieweit die DITIB direkt im politischen Auftrag von Ankara tätig ist. Damals wurde bekannt, dass in Moscheen in Deutschland für den Erfolg der türkischen Armee gepredigt und gebetet wurde. Außerdem erfuhr die Öffentlichkeit von Theaterstücken in einigen DITIB-Gemeinden, in denen Kinder in martialische Militäruniformen gesteckt, ihnen Spielzeuggewehre gegeben und kriegsverherrlichende Heldenshows zelebriert wurden. All das vertiefte die Vertrauenskrise zur DITiB immer weiter.

Debatten über Antisemitismus

Vor wenigen Wochen kam die DITIB dann erneut in die Schlagzeilen - diesmal anlässlich des Waffengangs zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen: Gegen den Verband wurden Antisemitismus-Vorwürfe laut.

Schon im Februar hatte Mustafa Keskin, der Leiter des Göttinger DITIB-Dachverbandes, wegen antisemitischer Beiträge in den Sozialen Medien von seinem Amt zurücktreten müssen, die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt inzwischen gegen ihn wegen Volksverhetzung. Ein ähnliches Problem offenbarte sich im März bei einem von der DITIB angekündigten Vortragsabend in Rheinland-Pfalz: Die Einladung eines für seine antisemitischen Äußerungen bekannten Historikers aus der Türkei als Hauptredner brachte der DITIB heftige Kritik ein, zwei der örtlichen Führungskräfte traten zurück.

Schulbücher für den Islamunterricht an Schulen in NRW
Islamischer Religionsunterricht wird in Nordrhein-Westfalens Schulen bereits seit 2012 erteiltBild: picture alliance / dpa

Als in Nordrhein-Westfalen die Reaktionen auf die Aufnahme der DITIB in die Kommission für den islamischen Religionsunterricht immer lauter wurden, veröffentlichte die DITIB eine der umfangreichsten Stellungnahmen in der Geschichte der Organisation. Zentrale Aussage des Dokuments war die Behauptung, dass die DITIB die "schweigende Mehrheit" der Muslime in Deutschland vertrete. Zudem beschwerte sie sich, dass die laufenden Debatten zu Skandalen aufgebauscht würden und beschuldigte ehemalige und amtierende Politiker in diesem Zusammenhang des Populismus.

Ist ein Neuanfang möglich?

In Deutschland besuchen etwa 60.000 Kinder islamischen Religionsunterricht, rund 22.000 davon in Nordrhein-Westfalen. Natürlich ist die DITIB, die von Bestattungsfonds bis hin zu sozialen und spirituellen Diensten in vielen Bereichen tätig ist, ein wichtiger Partner. Sie ist nun einmal die mit Abstand größte der islamischen Organisationen in Deutschland. Klar ist aber auch, dass sich die DITIB in erster Linie wegen ihrer Größe als unverzichtbar betrachtet. Dennoch sollte die DITIB eine Lehre daraus ziehen, dass zum Beispiel das Land Hessen die Zusammenarbeit wegen des Verdachts der Abhängigkeit von Ankara abgebrochen hat.

Seit 60 Jahren leben Muslime in größerer Zahl Deutschland. Die Türken - die mit Abstand stärkste Gruppe unter ihnen - sind ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft. Zu ihnen zählen Wissenschaftler wie Uğur Sahin und Özlem Türeci oder Politiker wie Cem Özdemir. Gleichzeitig gibt es Dutzende ausgebildete islamischerTheologen - man denke nur an den neuen Fachbereich an der Universität Münster-Osnabrück.

Warum sollten sich diese ausgewiesenen Fachleute nicht in die Führung der DITIB einbringen? Warum sollten sie, die Deutschland kennen, die deutsche Sprache beherrschen, von der modernen Welt geprägt sind und auch andere Religionen kennen, mit ihrer Religiosität dieser Gesellschaft nicht dienen? Wenn ihnen diese Chance verwehrt bleibt, wird auch in Zukunft der Schatten Ankaras und anderer Mächte über den Muslimen in Deutschland liegen.

Wie gesagt: Die DITIB vertritt über 800.000 Menschen. Aufgrund dieser Größe hätte sie die Chance, die aktuelle Situation zu nutzen und der Führung in Ankara deutlich zu sagen: "Zieht uns nicht in Eure Politik hinein." Nur so kann es einen vertrauensvollen Neuanfang geben. Ob die DITIB das schafft, werde ich gespannt beobachten.