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PolitikEuropa

Die Ukraine wird überleben

Roman Goncharenko (DW)
Roman Goncharenko
24. Februar 2022

Der große Krieg ist da - Russland hat die Ukraine überfallen. Diese Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn der Westen nicht schon seit 2014 absichtsvoll weggeschaut hätte, meint Roman Goncharenko.

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Ukraine Konflikt | Rauchwolke über Militärflughafen in Chuguyev
Bild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Donnerstag, der 24. Februar 2022 - diesen Tag werden wir nie vergessen. Den Tag, an dem eine wahnsinnige russische Führung beschloss, einen großen Krieg gegen die Ukraine zu beginnen. Den Tag, auf den sich die Ukrainer und ihre Freunde in aller Welt lange vorbereitet haben und doch so sehr hofften, er werde niemals kommen. Den Tag, an dem der Kreml einfach einen Krieg in Europa vom Zaun brach.  

Viele fragen sich verwundert: Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort gibt ein Zitat Winston Churchills: "Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Schande. Sie haben die Schande gewählt und bekommen den Krieg." Das Ausmaß des Einmarsches lässt keine Zweifel: Russische Truppen haben die Ukraine überfallen, genauso wie schon vor rund 100 Jahren, als sich die Ukraine zum ersten Mal für unabhängig erklärt hatte. Die Folgen dieses monströsen Schritts werden die Welt erschüttern.

Der fatale Fehler des Westens

Einen nicht unerheblichen Teil der Verantwortung für diese Entwicklung trägt der Westen. Als Russland 2014 zum ersten Mal nach ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1991 die Ukraine angegriffen und die Krim annektiert hatte, entschied sich der Westen für die Schande, von der Churchill sprach. Die Staats- und Regierungschefs der USA, Deutschland und anderer führenden westlicher Länder haben die ukrainische Regierung mit beiden Händen festgehalten und sie gebeten, bloß keinen Widerstand zu leisten. Russlands Präsident Wladimir Putin dürfe auf keinen Fall "provoziert" werden. Das Motiv: Der Westen fürchtete genau 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg einen neuen Weltbrand. Das war zwar nachvollziehbar und dennoch ein fataler Fehler.

Goncharenko Roman Kommentarbild App PROVISORISCH
DW-Redakteur Roman Goncharenko

Russland berauschte sich am Erfolg auf der Krim und machte weiter mit dem Krieg im ostukrainischen Donbass. Der Westen stattete die Ukraine hingegen nur zögerlich mit Waffen aus (Deutschland verweigerte diesen Schritt komplett) und scheute sich, gegen Moskau harte Vergeltungsmaßnahmen verhängen. Erst nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugs MH17 gab es punktuelle Sanktionen gegen die russische Wirtschaft. Doch auch die waren so begrenzt und schwach, dass Russland zu dem Schluss kam, es könne wohl ohne ernsthaften Widerstand weitermachen.

Zeit, Kiew zu helfen

Auch die Ukraine hat den Grad des Wahnsinns der Moskauer Führung und die Einstellung großer Teile russischer Bevölkerung unterschätzt, welche die Ukraine nicht als einen unabhängigen Staat wahrnehmen. Dennoch wiegten sich viele Ukrainer in Sicherheit: "Wir sind doch Nachbarn, Verwandte - da wird Russland keinen offenen Krieg wagen". Selbst die Kiewer Regierung brach damals die diplomatischen Beziehungen zu Russland nicht ab und sendete damit ein falsches Signal auch an ihre Verbündeten im Westen. Ganz nach dem Motto: alles nicht so schlimm.

So wurde die Chance verpasst, den jetzt losgetretenen Krieg zu verhindern. Westliche Staatschefs haben sich dafür entschieden, mit Russland zu verhandeln, in der Hoffnung, den Aggressor zu besänftigen. Dabei war dieser Ansatz in der Geschichte der Menschheit nie erfolgreich. Auch in der Ukraine ist er gescheitert. Russland hat die Einnahmen aus seinen Öl- und Gasexporten für Entwicklung neuer Waffen und die Vorbereitung eines apokalyptischen Krieges genutzt - nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen den gesamten Westen. Vielfach wurde davor gewarnt, alles geschah offen - der Kreml und seine Propagandisten haben ihre Absichten nie versteckt. Doch der Westen zog es vor, die Augen zu verschließen. Eigentlich müssten die Gesichter westlicher Politiker vor Scham glühen.

Die Ukraine kehrt nicht unter Moskaus Kontrolle zurück

Jetzt ist es an der Zeit, die Fehler zu korrigieren und der Ukraine mit allen Mitteln zu helfen. Es wird Kämpfe geben, Blutvergießen, vielleicht eine Besatzungsherrschaft und einen langen Partisanenkrieg. Die Ukraine wird viele ihre besten Söhne und Töchter verlieren. Aber sie wird überleben - daran besteht kein Zweifel. Ukrainer werden sich nie mehr damit abfinden, von Moskau an die Leine genommen zu werden. Diese Zeit ist vorbei und kommt nicht zurück.

Und Russland? Der von Moskau eingeschlagene Weg der Aggression gegen die Ukraine und die ganze westliche Welt wird früher oder später in einer Katastrophe enden. Danach wird Russland vielleicht die Chance haben, ganz neu anzufangen. Aber jetzt sind alle freiheitsliebenden Menschen zunächst einmal Ukrainer.