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Facebooks "Querdenker"-Zensur geht zu weit

17. September 2021

Der Social-Media-Gigant sperrt die Zugänge der vom Verfassungsschutz beobachteten Initiative, die der deutschen Corona-Politik feindlich gegenübersteht. Gut gemeint, aber trotzdem schlecht, meint Marcel Fürstenau.

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Deutschland | Coronavirus | Protest gegen Corona-Politik in Berlin
Ein Demonstrant auf einer "Querdenker"-Demonstration in BerlinBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

"Querdenker" sind alles andere als harmlos - sie tun nur so. Vor allem auf ihrer zentralen Internet-Seite, wo sie sich als unbeugsame und dabei stets gut gelaunte Verteidiger des angeblich von einer Corona-Diktatur bedrohten Rechtsstaats inszenieren. So weit, so lächerlich. Strafbares wird man da aber nicht finden. So blöd ist der Gründer und Frontmann dieser Initiative, Michael Ballweg, nicht. Im Gegenteil: Er und seinesgleichen nutzen geschickt die Spielräume, die der Staat ihnen gewährt. Gewähren muss in einem Land mit Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit.

Deshalb haben Gerichte zu Beginn der Pandemie immer wieder schlecht begründete Demonstrationsverbote gekippt. Womit sich vor allem verantwortliche Politiker blamierten - und worüber sich "Querdenker" freuten. Beides wäre vermeidbar gewesen. Denn es war doch schon früh absehbar, dass sich dieser heterogene Haufen bald selbst entlarven würde, weil er sich und seine Trittbrettfahrer nicht mehr im Griff hatte. Das war schon 2020 der Fall, als Großdemonstrationen in Berlin und Leipzig in Gewalt mündeten.

Der Staat sollte mehr Wert auf sein Gewaltmonopol legen

Seitdem wurden immer wieder Versammlungen untersagt unter Verweis auf die zu erwartende Missachtung von Sicherheitsauflagen und die Gefahr erneuter Ausschreitungen. Die gab es dann tatsächlich - unter anderem im August, wieder in Berlin. Das Schlimme daran: "Querdenker" missachteten vorsätzlich das Demonstrations-Verbot. Was all das mit den nun vom Facebook-Konzern gesperrten oder entfernten "Querdenker"-Kanälen zu tun hat? Mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich!

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Denn hier schwingt sich ein privates Unternehmen zum Zensor auf, weil der Staat unfähig oder unwillig ist, auf sein Gewaltmonopol zu pochen. Um Missverständnisse auszuschließen: Wenn Menschen im Internet diskriminiert, beleidigt und bedroht werden, wenn zu Gewalt aufgerufen wird, dann soll und muss ein verantwortungsbewusster Global Player wie Facebook, aber auch jeder andere, dagegen vorgehen. Aber bitte mit Augenmaß und glaubwürdig.

Im Zweifelsfall für die Meinungsfreiheit

Doch das ist hier nur bedingt der Fall. Wenn zur Begründung der Sperrung von knapp 150 Konten, Seiten und Gruppen von "Hassrede und Anstiftung zur Gewalt" die Rede ist, klingt das noch nachvollziehbar. Weniger überzeugend ist schon der Verweis auf die "Veröffentlichung von gesundheitsbezogenen Falschinformationen". Vieles davon dürften Äußerungen sein, die aus guten Gründen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Ob sie einem persönlich gefallen oder nicht, darf dabei keine Rolle spielen.

Besser und rechtsstaatlich sauberer wäre es, wenn mutmaßliche Verstöße gegen Gesetze im konkreten Einzelfall geahndet würden. Das Strafrecht hält den dafür benötigten Instrumentenkasten seit Jahrzehnten bereit. So aber hat der Facebook-Bann einen schalen Beigeschmack: dass ein Konzern, der sich in den Untiefen der Social Media-Welt lange seiner gesellschaftlichen Verantwortung entzogen hat, plötzlich klare Kante zeigen will. Womöglich, weil er den zunehmenden Erwartungsdruck aus Politik und Gesellschaft ein wenig abmildern möchte.

Warum bleibt WhatsApp verschont?

Des Beifalls vieler zurecht besorgter Menschen darf sich Facebook gewiss sein. Aber auch die sollten bedenken, welche langfristigen Folgen solche Aktionen für das Meinungsklima haben können. Der Zensur-Vorwurf ist ja keineswegs leichtfertig. Ganz abgesehen davon, dass vom "Querdenker"-Bann zwar auch "Instagram" betroffen ist, der Chatdienst WhatsApp jedoch verschont bleibt. Beide gehören zu Facebook.

Die "Querdenker" werden es ohnehin verkraften. Ihre Propaganda verbreiten sie jetzt eben mehr denn je über die Plattform Telegram. Und nachdem Youtube die Corona-Verharmloser im Mai gelöscht hatte, eröffneten die ihren eigenen Kanal. Auf dem mag die Reichweite kleiner sein. Aber wer ihn sucht, wird ihn finden. Niemand ist es verboten, sich den Mist dort anzusehen. Und alle können Anzeige erstatten, wenn sie dort diskriminierende, zur Gewalt auffordernde oder sonstige strafwürdige Inhalte entdecken.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland