1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Frieren gegen Putin?

21. März 2022

Viele Deutsche fordern einen schnellen Importstopp aller fossilen Energierohstoffe aus Russland. Doch damit würde sich Deutschland nur selbst schaden und am Krieg nichts ändern, meint Nemanja Rujević.

https://p.dw.com/p/48eSt
Heizungsregler, der auf Stufe 1 heruntergedreht ist
Viele Deutsche fürchten kalte Wohnungen im nächsten Winter, manche wollen das sogarBild: Fotolia/PhotographyByMK

Es gibt Menschen, die Teile ihres Körpers hassen, etwa ihren rechten Fuß oder das linke Auge. Body Integrity Identity Disorder (BIID) ist der entsprechende Fachbegriff, es handelt sich um den krankhaften Wunsch nach einer Behinderung. Befriedigt wird er erst, wenn zum Beispiel der rechte Fuß amputiert wurde. 

Seit einigen Tagen sind viele Deutsche geradezu davon besessen, sich sofort und vollständig vom russischen Gas und Öl zu trennen. Man dürfe nicht weiter "Putins Kriegskasse füllen", sagen sie. Schnelle Alternativen sind bekanntlich nicht verfügbar, aber gerade deshalb sehen viele in einem solchen Importstopp geradezu eine Heldentat der Solidarität mit der angegriffenen Ukraine

Putin einen Strich durch die Rechnung machen?

Die Lässigkeit, mit der gefordert wird, mal eben auf die Hälfte aller Gas- und Kohleimporte sowie rund ein Drittel der bisherigen Ölmengen einfach zu verzichten und die Konsequenzen völlig auszublenden, ist unerträglich. Noch unerträglicher ist aber der unterstellte direkte Zusammenhang zwischen unseren warmen Wohnungen in Deutschland und dem Leid der Ukrainer.

Es ist nämlich ein Irrglaube, dass wir Putin einen Strich durch die Rechnung machen, wenn wir Feiglinge nur endlich bereit wären, zuhause warme Pullis zu tragen, noch teurer als bisher schon zu tanken und auch sonst gravierende Preissteigerungen hinzunehmen.

Und es ist ein Treppenwitz, dass sich ausgerechnet die Grüne und sehr russlandkritische Außenministerin Annalena Baerbock gegen einen sofortigen Importstopp der fossilen Energien ausspricht und an die Vernunft ihrer Landsleute appellieren muss. Denn ohne die russischen Bodenschätze blieben deutsche Kindergärten kalt und in den Städten drohten Stromausfälle, sagt Baerbock. Und das könne Putin nur gefallen. 

Alles im Voraus einkalkuliert

Die verbrecherische Invasion in der Ukraine ist zutiefst irrational und größenwahnsinnig. Wir sollten aber deswegen nicht denken, dass im Kreml nur Idioten säßen, die nicht rechnen können. Vielmehr dürften sie die Sanktionen, Kritik aus den Reihen der Oligarchen und Proteste der eigenen Bevölkerung im Voraus einkalkuliert haben. 

Nemanja Rujevic
DW-Redakteur Nemanja Rujević stammt aus SerbienBild: DW

Putin nimmt mit seiner Aggression tausende unschuldige Opfer in Kauf, macht sogar eigene Soldaten zum Kanonenfutter. Dass in der Ukraine eine ganze Generation entsteht, die Russland aus guten Gründen dauerhaft feindlich gesinnt sein wird - auch das weiß er. Und dem Kremlchef ist sicher bewusst, dass er in der westlichen Welt ab sofort als der Oberschurke gilt. Das einzige, wovor Putin sich fürchtet, ist diesen Krieg zu verlieren. Aber dieses Blutbad wird gewiss nicht aufhören, wenn Deutschland zum eigenen Schaden kein Gas mehr aus Russland importiert.

Die heutigen Meinungsmacher in Deutschland gehören fast ausnahmslos zu einer glücklichen Generation, die nur Frieden, Wohlstand und Demokratie kennt. Das ist gut. Aber dass sie wenig Ahnung von Krieg, Elend und Diktatur hat, kann niemand verwundern. Als Kind der 1990er-Jahre im damaligen Rest-Jugoslawien (nur noch aus Serbien und Montenegro bestehend) kenne ich alles das jedoch nur zu gut. Auch damals hieß es, die westlichen Sanktionen zielten allein auf Slobodan Milošević und sein Regime. Aber das war immer nur Wunschdenken: Die Sanktionen lösten eine Hyperinflation aus, wir trugen 500-Milliarden-Dinar-Scheine mit uns herum, für die man in leeren Supermärkten so gut wie nichts mehr kaufen konnte. Das war die Realität!

Sanktionen sind wie Streubomben

Abgesehen davon, dass das heutige Russland schon allein wegen seiner guten Beziehungen zu China und Indien nicht in eine solche Misere getrieben werden kann: Putin selbst sitzt sicher in seinem goldenen Bunker. Die normalen Menschen in Russland hingegen werden doppelt leiden - unter Putins Diktatur und unter westlichen Sanktionen. 

Umfassende Sanktionen sind wie Streubomben - sie treffen stets die Falschen. Geeignet sind sie nur als Mittel der Rache, für eine Änderung der Politik taugen sie kaum. Deswegen wäre ein Importstopp für russische Rohstoffe nicht mehr als ein sehr teurer symbolischer Akt, der allein von unserer Hilfslosigkeit zeugt. Der Wunsch ist nachvollziehbar: Niemand in Deutschland will den Dritten Weltkrieg auslösen, aber angesichts der russischen Aggression Haltung zeigen, ja, sogar Opfer bringen. Doch sollten wir nicht kopflos vorgehen und ohne jede Aussicht auf Erfolg in unseren kalten Wohnungen frieren.