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Games sind wichtiger denn je

27. Dezember 2020

Videospiele sind kein Kinderkram, sondern Kulturgut - und zudem hervorragende Mittel gegen Frust und den Corona-Blues, meint Kristina Reymann-Schneider.

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Videospiele | Zuhause bleiben und spielen
Entlegene Orte besuchen trotz Lockdown, Ausgangssperren und Reisewarnungen - Games machen es möglichBild: Square Enix

Seit einer gefühlten Ewigkeit werden wir täglich über Live-Ticker mit allen Neuigkeiten zur Corona-Pandemie informiert. Wir erfahren, wie viele Menschen sich neu infiziert haben, wie viele an COVID-19 gestorben sind. Wir lesen von Risikogebieten, Reisewarnungen, Lockdowns, Teil-Lockdowns, Aerosolen, Inzidenzzahlen, von der schwindenden Anzahl an Intensivbetten, von Corona-Spätfolgen, von möglichen Impfstoffen, von Impfgegnern und Maskenverweigerern, von denen einige am liebsten gleich noch die Demokratie abschaffen wollen.

Es ist ziemlich viel, was da seit Monaten auf uns einprasselt und uns mal verunsichert, mal tierisch aufregt, mal ratlos zurücklässt. Mir ist es manchmal zu viel. Dann brauche ich einen Nachrichtenstopp, eine Auszeit, einen Ausflug in eine andere Welt. Der Bildungsbürger spricht von Eskapismus. Ich sage einfach: Ich gehe spielen.

Weltreise im Corona-Lockdown

Ich muss nicht in den Wald fahren, wie so viele andere es im Corona-Lockdown tun, weshalb Wälder und Naturschutzgebiete vielerorts zurzeit ziemlich überlaufen sind mit Städtern in Trekkingschuhen und Funktionskleidung. Ich hole mir den peruanischen Dschungel nach Hause, erkunde als Lara Croft verlassene Höhlen und muss mir ums Infektionsgeschehen keinerlei Sorgen machen. Ich war auch schon auf meinem Pferd "Horsie" im Wilden Westen unterwegs, bin im antiken Ägypten Pyramiden hinabgerutscht und auf einem Snowboard den Mont Blanc runtergebrettert. New York habe ich von korrupten Fieslingen befreit.

Kristina Reymann-Schneider
DW-Kulturredakteurin Kristina Reymann-SchneiderBild: DW

Man kommt rum als Videospieler. Man sieht was von der Welt, ohne das Wohnzimmer verlassen zu müssen und dabei sich selbst oder andere zu gefährden. Auch die Maske kann in der Tasche bleiben. Ich kenne keine Corona-konformere Unterhaltung, sieht man einmal ab von Literatur, Filmen oder Serien. Doch die kann ich nur alleine erleben. Lesen und gleichzeitig zuhören - unmöglich. Einen Film gucken, während mich jemand von der Seite anquatscht - nervig. Ein Spiel spielen und sich dabei unterhalten - kein Problem! Wer Sehnsucht nach sozialen Kontakten hat, kann sich mit Freunden online verabreden und gemeinsam Banditen jagen, Fußball spielen oder sie für einen Plausch auf ihrer Insel besuchen. 

Aufstehen, Krone richten, weiterlaufen

Und noch eines schaffen Videospiele - etwas, das uns gerade in Krisenzeiten hilft, nicht durchzudrehen: Sie fördern die Frustrationstoleranz. Denn selbst die besten Spieler scheitern. Immer wieder. Es ist unheimlich frustrierend, bei einem Kinderspiel nicht auf des Rätsels Lösung zu kommen, bei einem Hüpfspiel eine Plattform nicht zu erreichen oder von einer Horde Gegner überwältigt zu werden. Digitale Spiele zwingen die Spielenden, immer wieder aufzustehen, neue Techniken zu erlernen, neue Wege auszuprobieren.

Hat man das Level geschafft, den Boss erledigt, das Rätsel gelöst, ein wertvolles Artefakt gefunden, ist das sehr motivierend. Ein befriedigender Lohn für all die Mühen und ein effektives Training zur Stärkung der Frustrationstoleranz. Also ran an die Gamepads - aller Anfang ist schwer, aber es lohnt sich. Je mehr Leute spielen, desto schneller löst sich das elende Gamer-Klischee von den angeblich übel riechenden Nerds auf. Und wer seinen Ärger besser kontrollieren kann, kann sich im echten Leben ganz gelassen in die Schlange vorm Supermarkt stellen und in eisiger Kälte auf Einlass, Mehl und Klopapier warten.