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Gesellschaft

"Ich möchte Impfgegner anschnauzen!"

Kai Dambach
15. August 2021

Mit steigenden Corona-Infektionen steigt auch die Angst um sein Leben. DW-Journalist Kai Dambach weiß, wie es ist, künstlich beatmet zu werden. Er ist überzeugt: Freiheit endet im Intensivbett und nicht im Impfzentrum.

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Deutschland Köln Coronavirus Demo von Corona-Leugnern
Impfgegnerin mit einem Plakat auf einer Demonstration in Köln im Mai 2020Bild: Geisler-Fotopress/picture alliance

Vor sieben Jahren erhielt ich zum vierten Mal eine neue Chance zu leben. Ich hatte meine dritte Nierentransplantation. Warum man mir so viele Chancen gegeben hat, weiß ich nicht. Ich bin dankbar.

Und dennoch werde ich auch hier in Deutschland nicht mit Freunden feiern. Denn die Pandemie zwingt mich dazu, mehr als 95 Prozent der Zeit allein in meiner Wohnung zu verbringen. So war es in den vergangenen 17 Monaten. Und es werden wahrscheinlich noch viele weitere Monate folgen.

Eines der größten Probleme, die eine Nierentransplantation mit sich bringt, ist die Schwächung des Immunsystems. Ich muss Medikamente einnehmen, um mein Immunsystem zu schwächen, damit es sich nicht auf die Nieren stürzt, die ich bekommen habe. Ich habe deshalb ein größeres Risiko, zu erkranken, und wenn ich krank werde, trifft mich die Krankheit härter. Für Leute wie mich ist diese Pandemie ein Ritt durch die Hölle.

Trotz des Irrsinns der vergangenen Monate hatte ich das große Glück, geimpft zu werden. Mehr noch: Deutschland hat für Menschen wie mich eine Auffrischungsimpfung genehmigt, die ich hoffentlich nächsten Monat bekommen kann. Es gibt ein wenig Hoffnung.

Bisher überwog das Leid. Ich habe meine Familie seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen. Weder meine Eltern (meine ersten beiden Spender), noch meinen letzten Spender (einen Aushilfslehrer in der Nachbarschaft), weder meine Brüder, meine Cousins, meine Nichte, noch meinen kürzlich geborenen Neffen noch irgendwelche Freunde in den USA.

Winterschlaf mitten im Sommer

Ich habe weder das Baseballteam "Baltimore Orioles" noch die American Football Mannschaft "Baltimore Ravens" gesehen, noch war ich bei irgendeinem Sportereignis, obwohl es mein Job ist, über Sport zu berichten. Das Risiko ist einfach zu groß.

DW Mitarbeiter Kai Dambach
DW-Mitarbeiter Kai Dambach lebt mit einer gespendeten NiereBild: Privat

Außerdem haben die Impfstoffe bei den Transplantatempfängern nicht so gut gewirkt, wie ich gehofft hatte. Bei einigen von uns kommt es zu Durchbruchsinfektionen, die immer noch im Krankenhaus enden. Ich habe mich nur mit zwei meiner Freunde persönlich getroffen, draußen, mit Masken. Das war Juli, als die Zahlen extrem niedrig waren. Mann, das habe ich gebraucht.

Solche Treffen wird es in nächster Zeit nicht mehr geben. Delta ist durchgestartet. Und weil nicht genügend Leute geimpft worden sind, kann ich mich ohne Gesundheitsrisiko kaum wieder nach draußen wagen. Es ist also Zeit, mitten im Sommer Winterschlaf zu halten. Keine Besuche im Lebensmittelgeschäft, keine Ausflüge mit meiner Freundin in die örtliche Eisdiele. Nichts. Es sei denn, ich muss einen Arzt aufsuchen.

Mein Gewicht steigt, ich werde mürrisch, und manchmal möchte ich einfach nur um mich schlagen und Leute anschnauzen, die sich weigern, sich impfen zu lassen (Anmerkung: Dies gilt nicht für Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können).

Das ist zwar ihr Recht, aber die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, fügt vielen Mitmenschen Schaden zu. Die Folgen: Gesundheitsdienste brechen zusammen. Krankenhäuser weisen Menschen mit allen möglichen Gesundheitsproblemen ab, weil es nicht genug Platz und Personal für eine Behandlung gibt.

In den USA gibt es neben den über 600.000 COVID-Toten noch viel mehr Menschen, die die Pandemie nicht überstanden haben. Sie konnten wegen der überfüllten Krankenhäuser nicht behandelt werden. Krankenschwestern und Ärzte sind ausgebrannt und kündigen wegen anhaltender Überlastung.

Auf meine amerikanischen Freunde, die sich nicht impfen lassen wollen, werden finanzielle Kosten zukommen, wenn sie ins Krankenhaus gehen müssen. Selbst wenn sie krankenversichert sind, werden sie wahrscheinlich ihre Ersparnisse und sogar die Ersparnisse ihrer Kinder aufbrauchen müssen, um für das Überleben zu bezahlen.

Barrieren für Immunschwache

Eine Impfung hingegen ist kostenlos und kann wahrscheinlich all dieses finanzielle Leid verhindern. Als jemand, der schon einmal an einem Beatmungsgerät hing, weiß ich aus Erfahrung: Das will absolut niemand.

Ich frage mich hingegen: Was ist besser? Eine kleine Spritze (oder zwei), oder eingeschläfert zu werden und möglicherweise nie mehr aufzuwachen? Denn nur so lassen sich die Schläuche in den Hals schieben, die den Körper weiterhin mit Sauerstoff versorgen.

Damit nicht genug. Die Impfung schützt auch Menschen wie mich. Wenn meine Mitmenschen nicht krank werden, bedeutet das, dass sie mich auch nicht krank machen können. Wir immungeschwächte Menschen brauchen dringend Barrieren um uns herum, damit wir uns Krankheiten vom Leib halten können.

Aus diesem Grund machen wir uns auch keine Sorgen mehr über Polio oder Pocken. Da sich fast jeder impfen lässt, sind alle sicher, auch diejenigen, die sich nicht impfen lassen konnten (ich konnte mich nicht impfen lassen).

Für mich ist es abstoßend mit anzusehen, wie erwachsene Menschen sich lauthals darüber empören, weil sie Masken tragen müssen. Ja, es ist nicht angenehm, aber es ist ein so kleines Opfer, um wenigstens zu versuchen, die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen.

Dasselbe gilt für die Impfung. Vorübergehende Nebenwirkungen wie Fieber oder Kopfschmerzen sind nichts im Vergleich zu dem, was COVID-19 anrichten kann und schon viel zu vielen Menschen angetan hat.

Und schließlich, wer der Meinung ist, dass Masken und Impfstoffe die persönliche Freiheit verletzen und jeder in der Lage sein sollte, alles zu tun, was er oder sie will, den erinnere ich hiermit daran, dass es ein Verbrechen ist, auf einem Flughafen fälschlicherweise "Bombe" oder in einem überfüllten Theater "Feuer" zu rufen. 

Was wirklich die persönlichen Freiheitsrechte einschränkt, ist auf einer Intensivstation zu liegen, an ein Beatmungsgerät angeschlossen zu sein, oder aus Atemnot zu sterben. Wer will, dass diese Pandemie endet, muss sich impfen lassen und eine Maske tragen. Dies ist der bei weitestem schnellste und am wenigsten schmerzhafteste Weg aus dem Pandemie-Chaos. Ich hoffe, dass ich den achten Jahrestag meiner Transplantation unter besseren Umständen feiern kann.

Aus dem Englischen adaptiert von Astrid Prange.