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PolitikNahost

Meinung: Israel - ein Land, zwei Lager

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
2. November 2022

Nach den Wahlen scheint Israel politisch gespalten wie nie. Die Hardliner in der zu erwartenden Regierung dürften die demokratische Kultur des Landes erheblich unter Druck setzen, fürchtet Kersten Knipp.

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Israel Politik Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu Bild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Nicht auszuschließen, dass sich in Israel künftig zwei Lager gegenüberstehen, ein Staat zwei Gesellschaften beherbergt: eine liberale und eine nationalistische, eine weltoffen-tolerante und eine, die neben der jüdischen Identität keine andere gelten lassen will. Dass es so kommen könnte, deutete sich bereits im israelischen Wahlkampf an. Das - immer noch vorläufige - Ergebnis bestätigt diese fortschreitende Entfremdung zwischen den beiden Blöcken der israelischen Gesellschaft.

"Umfragen deuten darauf hin, dass mindestens zehn Prozent der Israelis einer Partei zugestimmt haben, die 20 Prozent unserer Mitbürger, den israelischen Arabern, den Stinkefinger zeigen will" - mit diesen Worten umschreibt Gil Troy, Kommentator der rechtsliberalen Jerusalem Post, das, was dem Land nun droht: eine weitere Vertiefung der Gräben im ohnehin schon gespaltenen Land. Denn vieles spricht dafür, dass die von politischen Beobachtern vielfach als "rechtsextrem" beschriebene Religiös-Zionistische Partei von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir ihren harten Duktus fortsetzen wird, für den im Falle des zu erwartenden Wahlsiegs auch der künftige Premier Benjamin Netanjahu einstehen müsste.

Israel | Wahlen
Anhänger des religiösen Hardliners Itamar Ben Gvir mit einem Plakat des Politikers Bild: Tania Kraemer/DW

Außenpolitische Spannungen

Die innenpolitischen Gräben vertiefen sich in einer Zeit, in der Israel sich auch außenpolitisch in einer spannungsvollen und bedrohlichen Lage wiederfindet. Israels Verhältnis zumindest zu einem Teil seiner Nachbarn scheint schwierig zu bleiben. Die sogenannten Abraham-Accords, Verständigungsabkommen, die das Land im Spätsommer 2020 mit einigen Staaten - den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und später auch Sudan und Marokko - unterzeichnete, sorgten zwar für politische Entlastung und bilden - hoffentlich - den Auftakt zu einer fortschreitenden Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen.

Aber diesen Erfolgen stehen anderswo enorme Herausforderungen gegenüber. Dies gilt insbesondere für den Iran, dessen morscher, derzeit auch von innen stark angegriffener Staatsführung seit Jahren nichts anderes einfällt, als von der Vernichtung Israels zu sprechen und dabei auch enorme militärische Mittel in dieses Ansinnen zu investieren. Ein Ansinnen, das vor allem dazu dient, den gesammelten Unmut der Bürger an eine andere als die eigene Adresse zu lenken - wie man derzeit sieht, vergeblich.

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DW-Nahostexperte Kersten KnippBild: W. Knipp

Auch die oftmals als "verlängerter Arm des Iran" wahrgenommene libanesische Hisbollah hat mit ihren Abertausenden von Raketen an der Nordgrenze Israels ein enormes Bedrohungspotential aufgebaut. Der mit dem Libanon noch Stunden vor der Wahl geschlossene Gas-Deal wird diese Bedrohung langfristig kaum aushebeln.

Verschiebung des politischen Diskurses?

Zudem bleiben die islamistische Hamas und mehr noch der Palästinensische Islamische Dschihad im Gazastreifen unberechenbar. Ein Dialog zwischen einer künftig weit nach rechts rückenden israelischen Regierung und den Palästinensern, egal ob radikal oder gemäßigt, dürfte künftig deutlich schwerer werden, der harte Kern der radikalen Siedler seine Forderungen nach Ausweitung bebaubaren Landes noch lauter artikulieren als bislang schon. Man darf davon ausgehen, dass Smotrich und Ben-Gvir diese Rufe aufgreifen werden. Auch Forderungen nach einer Annexion besetzter palästinensischer Gebiete könnten nun wieder aufleben. Der Politologe Nir Zilber, Berater am Israel Policy Forum, vermutet in seinem Podcast, die beiden wollten gar die Grenzen des politischen Diskurses verschieben - sprich: ausweiten in Richtung einer neuen Radikalität. Dazu gehöre auch, dass sie Israel nicht allein als jüdischen, sondern auch als religiösen Staat sähen. Die israelische Gesellschaft als solche steht so vor einer Zerreißprobe.

Derzeit scheint es nicht so, als würde sich Benjamin Netanjahu, der sich derzeit gleich in mehreren Verfahren vor Gericht verantworten muss, davon beeindrucken lassen. Sollte er erneut Premier werden, würde ihm das Amt auch weiteren juristischen Ärger vom Hals halten. Dafür scheint ihm auch ein Bündnis mit den Ultrarechten nicht zu hoch. Den Preis zahlen die gemäßigten Kräfte - auf israelischer wie auf palästinensischer Seite -, genauso wie die israelische Gesellschaft insgesamt, deren Spaltung immer weiter voranschreitet.

Israels Wähler hoffen auf stabile Regierung

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika