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Politik

Klimaschutz muss vor Gericht erstritten werden

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun
9. August 2021

Der neue Bericht des Weltklimarates, eine weitere düstere Warnung. Doch die führenden Politiker und die großen Umweltverschmutzer tun weiterhin viel zu wenig, um die Emissionen zu reduzieren, meint Stuart Braun.

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Luftaufnahme von Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz am 15. Juli 2021 - die Ahr in der Bildmitte ist über die Ufer getreten, in allen Straßen steht braunes Wasser
Bad Neuenahr-Ahrweiler am 15. Juli - ein solches Hochwasser hat es hier seit Menschengedenken nicht gegebenBild: Ferdinand Merzbach/AFP/Getty Images

Nach einem Monat mit beispiellosen Überschwemmungen und Waldbränden in Europa können wir nicht wirklich überrascht sein, wenn ein neues Gutachten wieder einmal die vom Menschen verursachte Erderwärmung für diese Katastrophen verantwortlich macht. Der jüngste Bericht des Weltklimarates (IPCC) stützt sich auf neuere und immer umfangreichere Datenquellen, um zu bestätigen, dass der Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre unser Klima unwiderruflich beeinträchtigt.

Jetzt lernen wir, dass sich der Planet bereits innerhalb der kommenden 20 Jahre um 1,5 Grad Celsius (im Vergleich zu 1900) erwärmen könnte. Eigentlich sollte genau das bis zum Ende des Jahrhunderts abgewendet werden, wenn es gelungen wäre, die Emissionen so zu senken wie 2015 in Paris vereinbart.

Noch ist die Wende möglich

Aber noch einmal heißt es auch, dass es noch nicht zu spät ist! Wenn die Welt bis 2050 die Wende zu Netto-Null-Emissionen schafft, werden die Temperaturen insgesamt nur um etwas mehr als 1,5 Grad steigen, bevor sie sich wieder stabilisieren. Ab 2100 werden sie dann sogar sinken.

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DW-Umweltreporter Stuart BraunBild: DW/J. Collins

Aber gibt es den politischen Willen, dieses Ziel zu erreichen? Nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht. Die völlig unzureichenden Zusagen des Pariser Klimaabkommens werden im Gegenteil dazu führen, dass sich das Klima bis zum Ende des Jahrhunderts um etwa 3 Grad erwärmen wird. Aktuell stehen wir bei einem Temperaturanstieg von 1,1 Grad Celsius, und wir erleben bereits riesige Brände, Überschwemmungen und den Anstieg des Meeresspiegels. In welch enormen Schwierigkeiten werden wir erst stecken, wenn wir 3 Grad erreicht haben?

Die Emissionen müssten jetzt sofort sinken, damit die wichtigen Reduktionsziele für 2030 noch erreicht werden können. Stattdessen werden sie 2021 wieder ansteigen, nachdem sie im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie geringfügig gesunken waren.

Warum ist das so schwierig?

Vergangenes Jahr schlug das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) vor, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt die Emissionen bis 2030 um ein Viertel senken könnten, wenn sie beschließen würden, in grüne Arbeitsplätze und Infrastrukturen zu investieren. Außerdem müssten sie klimafreundliche Maßnahmen ergreifen: das Ende von Subventionen für fossile Brennstoffe, ein Verbot neuer Kohlekraftwerke sowie die Pflicht zur Wiederaufforstung. Doch stattdessen unterstützen die meisten reichen Länder weiterhin einen "kohlenstoffreichen Status quo", so der neue Bericht.

Während Joe Biden damit begonnen hat, einige der katastrophalsten Entscheidungen Donald Trumps zugunsten der fossilen Brennstoffe rückgängig zu machen, steckt jetzt bei der Netto-Null-Zusage des historisch größten Kohlenstoffemittenten der Welt der Teufel im Detail.

Inzwischen könnte auch Chinas Dekarbonisierungsverpflichtung bis 2060 zu wenig sein und zu spät kommen. Und Australien, der zweitgrößte Pro-Kopf-Emittent in der OECD, verweigert sich einer Netto-Null-Emissions-Verpflichtung bis 2050 und wirbt stattdessen mit einer "gasbefeuerten" wirtschaftlichen Erholung von der Pandemie.

Zeit, die Verursacher zur Verantwortung zu ziehen

Glücklicherweise zeichnet sich gegenwärtig eine neue erfolgreiche Taktik im Kampf um eine rasche Dekarbonisierung ab: Aktivisten und junge Menschen ziehen vor Gericht und verklagen Regierungen und Unternehmen, die Geld mit fossilen Brennstoffen verdienen. Die Kläger argumentieren, dass die Verschmutzer ihre Zukunft und damit ihre Menschenrechte bedrohen. Die deutsche Regierung wurde vom Verfassungsgericht zu ehrgeizigeren Klimazielen gezwungen. Ein großer Ölkonzern wie Shell muss seine Emissionen drastisch senken und Strafzahlungen in Milliardenhöhe leisten.

Ein hohes Gericht hat das australische Umweltministerium darauf hingewiesen, dass es eine Fürsorgepflicht gegenüber australischen Kindern hat, die durch die Genehmigung für die Erweiterung eines Kohlebergwerks möglicherweise "katastrophale Schäden" erleiden werden.

Auch dieser Bericht geht vor Gericht

Kaisa Kosonen, die bei Greenpeace für Klimapolitik zuständig ist, hat angekündigt, dass sie den aktuellen Bericht jetzt nach seiner Veröffentlichung ebenfalls vor Gericht bringen wird. Und sie wies darauf hin, dass der bahnbrechende juristische Sieg über Shell in den Niederlanden nur durch die Unterstützung des Klimarates möglich wurde.

Trotz des enormen Engagements, den die Studenten und Schüler der Fridays for Future-Klimaproteste auf den Straßen erzeugt haben, zwingt der öffentliche Druck allein die Parlamente nicht zum Handeln. Erst durch die Flut von Klimaprozessen, die jetzt vor Gerichten auf der ganzen Welt anrollt, können die Bürger selbst eine rasche Dekarbonisierung auslösen - und die katastrophale globale Erwärmung noch abwenden.

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Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.