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Das zweite Corona-Versagen an den Schulen

Marco Müller | Kommentarbild
Marco Müller
28. November 2021

Eines möchte die deutsche Politik nicht mehr machen: die Schulen wegen Corona schließen. Dafür begeht sie jetzt einen anderen Fehler - und der könnte sich als der deutlich größere herausstellen, meint Marco Müller.

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Deutschland | Corona-Maßnahmen an Schulen
Alles auf rot: Ein Gerät zur Messung der Luftqualität im Klassenzimmer schlägt an. Gibt es nur leider fast nirgendsBild: Philipp von Ditfurth/dpa/picture alliance

"Das war ein Fehler, der darf sich nicht mehr wiederholen." Wer Politiker zu den Schulschließungen zu Beginn der Corona-Pandemie befragt, bekommt über alle Parteigrenzen hinweg die gleiche Antwort: Sie waren falsch. Eine seltene Einigkeit in der sonstigen Corona-Kakophonie.

Kein Wunder also, dass die Schulen aktuell geöffnet sind und in den meisten Bundesländern Präsenzunterricht stattfindet. Der sieht meist so aus: In den Klassenzimmern sitzen mehr als 25 zumeist ungeimpfte Menschen (Kinder unter 12 werden bislang offiziell nicht geimpft) ohne Mindestabstand, größtenteils ohne Maske (eine Maskenpflicht gibt es in vielen Bundesländern nicht) und ohne Luftreiniger jeden Tag über Stunden zusammen. Natürlich hat die hochansteckende Delta-Variante des Virus da leichtes Spiel.

Dass dies ein großer Fehler ist, werden wir - wie so oft in der aktuellen Pandemie - erst wieder feststellen, wenn es zu spät ist. Dann wird es heißen: "Das konnte vorher keiner ahnen." Oder: "Rechtlich war das leider nicht anders umsetzbar." - Sätze, wie wir sie schon jetzt bei den zahlreichen Fehlern der deutschen Politik in der aktuellen Pandemie hören. 

Die grausige Realität

Jeden Tag wird derzeit ein neuer Negativ-Rekord verzeichnet. Während es noch vor wenigen Monaten Einschränkungen bei Inzidenzen von 50 gab, läuft heute alles weiter seinen gewohnten Gang, obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz die 400er-Marke durchbrochen hat und die Corona-Neuansteckungen bei teilweise mehr als 70.000 pro Tag liegen. Extrem hohe Zahlen - und am höchsten sind sie unter den Schülern.

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DW-Redakteur Marco MüllerBild: Marco Müller/DW

Die aktuellen Wochenberichte des Robert-Koch-Instituts geben detailliert Auskunft: Die gesamte Altersgruppe der 5- bis 19-Jährigen liegt deutlich über den Werten aller anderen Altersklassen. Einsame Spitzenreiter sind 10- bis 14-Jährigen, deren Inzidenz mehr als doppelt so hoch ist wie in der Gesamtgesellschaft.

Viele werden nun sagen: "Aber die Kinder erkranken an Corona nicht so schlimm." Richtig. Aber die Kinder gehen nach der Schule nach Hause. Dort treffen sie auf ihre Eltern, die zu einem nicht geringen Teil immer noch nicht geimpft sind oder deren Impfungen mehr als sechs Monate zurückliegen. Außerdem gibt es vorerkrankte Eltern. Und sie treffen auf Großeltern, die oftmals die Kinderbetreuung übernehmen,  aber auf Grund ihres Alters ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben.

Allein in der vergangenen Woche haben sich laut Robert-Koch-Institut mehr als 80.000 Kinder im Schulalter infiziert. Und seitdem sind die Zahlen weiter stark gestiegen. Setzt sich das so fort, werden vermutlich nur wenige Kinder (meist die mit bestimmten Vorerkrankungen), aber deutlich mehr Erwachsene, die die Kinder betreuen, sterben. Viele Kinder werden sich am Ende dafür die Schuld geben und ihr ganzes Leben darunter leiden. 

Einfache Lösungen

Das Problem der Schulpolitik ist, dass sie anscheinend nur eine Schwarz-Weiß-Wahrnehmung hat, nach dem Motto: Die Schulen schließen wir nicht mehr. Also läuft jetzt alles ganz normal - ohne jeden Schutz für die Kinder und ihre Angehörigen.

Dabei wäre es so einfach. Punkt 1: Maskenpflicht im Unterricht in ganz Deutschland (wie sonst auch in den meisten Innenräumen abseits der eigenen Wohnung). Punkt 2: Ausreichend Abstand (wie auch sonst überall). Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Entweder die Klasse in zwei Schichten (Vormittag, Nachmittag) unterrichten oder größere Räume nutzen. Veranstaltungshallen, Kongressräume, Hörsäle an Universitäten - vieles wird aktuell ohnehin nicht benutzt. Punkt 3: Keine Präsenzpflicht. Die ersten Bundesländer haben beschlossen, nicht mehr auf die Anwesenheit der Schüler zu bestehen. Die anderen Bundesländer sollten folgen. Dann können die Eltern selbst entscheiden, ob sie es für verantwortbar halten, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Neben diesen drei Punkten gibt es noch viele weitere: Man könnte endlich flächendeckend Luftreiniger für die Klassenräume anschaffen, das gemeinsame Essen ohne Maske verbieten, regelmäßiger lüften mit Hilfe einer CO2-Ampel, die anzeigt, wenn die Luft im Klassenraum verbraucht ist. Kurz gesagt: Lösungsmöglichkeiten gibt es viele. Nur umgesetzt wird davon fast nichts.

Das ist ein Armutszeugnis und nach der frühen kompletten Schließung der Schulen zu Beginn der Pandemie nun der zweite Fehler. Doch dieser wird nun viele Menschenleben kosten.