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Als Leistungssportler ernst nehmen

24. August 2021

Bei den Paralympics in Tokio sollte es nicht ständig um die Behinderungen oder Schicksale der Athletinnen und Athleten gehen, sondern um ihre Leistungen, meint Stefan Nestler.

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Paralympics 2020-Tokyo I Badminton I Pedro Pablo de Vinatea
Para-Badminton ist in Tokio erstmals im paralympischen ProgrammBild: Fernando Vergara/AP Photo/picture alliance

Marcus Rashford ist nach eigenen Worten ein Fan. "Leute, wann gehen die Paralympics los?", twitterte der englische Fußball-Nationalspieler. "Superhelden im wahren Leben." Einigen von ihnen wünschte der Stürmer von Manchester United in weiteren Tweets viel Glück in Tokio, etwa der jüngsten britischen Paralympics-Starterin, Ellie Challis. Mit 16 Monaten hatte sie eine Hirnhautenzündung, beide Beine und beide Unterarme mussten ihr amputiert werden. Mittlerweile ist Challis 17 Jahre alt und schwimmt in Tokio um paralympisches Edelmetall.

Es wird wohl niemanden geben, der nicht den Hut zieht vor Para-Athletinnen oder -Athleten wie ihr. Allen körperlichen und sonstigen Widrigkeiten zum Trotz sind sie Leistungssportler geworden, sind ihren Weg konsequent weitergegangen, der sie jetzt zu den Spielen nach Japan geführt hat. Doch niemand von ihnen würde wohl auf die Idee kommen, sich selbst als "Superhelden" zu bezeichnen. Ja, der Sport hat ihnen geholfen, das Leben zu meistern, er hat ihnen Selbstbewusstsein geschenkt, lässt sie Gemeinschaft und auch Glücksgefühle erleben. Aber gilt das nicht auch für jeden anderen erfolgreichen Leistungssportler?

Besondere Sportler

"Ich fühle mich nicht als Behindertensportler, ich bin einfach nur ein Sportler mit einer körperlichen Besonderheit", sagte mir einmal der mehrmalige Tischtennis-Paralympicssieger Rainer Schmidt, der ohne Unterarme geboren wurde. 1992 in Barcelona hatte Schmidt Gold im Einzel gewonnen, in einem Finale vor 12.000 begeisterten Zuschauern. "Ob ich während des Spiels an meine Behinderung gedacht habe? Kein Gedanke! Ob ich mir gewünscht habe, mit Armen bei der Olympiade zu spielen? Keine Spur!", schrieb Schmidt später. "Ich habe Tischtennis gespielt, nur Tischtennis - sonst nichts. Ich stehe nicht als Behinderter am Tisch, sondern als Athlet."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler, DW Sport

Als Athlet, der auf ein Ziel fokussiert ist, der im entscheidenden Augenblick seinen allerbesten Sport zeigen und seine Nerven im Zaum behalten muss, um sich durchzusetzen. Und der womöglich am Ende doch mit leeren Händen dasteht, weil er eben nicht seine Topleistung abrufen konnte oder vielleicht eine Winzigkeit zum Triumph fehlte, und sei es das manchmal nötige Quentchen Glück.

Mitfiebern, mittrauern

Solche Momente von Sieg und Niederlage, Euphorie und Enttäuschung wird es auch jetzt in Tokio zuhauf geben. Darin unterscheiden sich Paralympische Spiele nicht von Olympischen. Wahrscheinlich wird sich jedoch wieder einmal eine Diskussion über die einzelnen Wettkampfklassen entspannen. Die Klassifizierung der Behinderungen ist nun einmal die Dauerbaustelle des paralympischen Sports - im Gegensatz zu anderen Baustellen aber eine, die ständig bearbeitet wird. Und mal ehrlich, hat jemand beim olympischen 100-Meter-Lauf oder beim Hochsprung in Tokio darüber diskutiert, welchen Vorteil der eine oder andere Zentimeter Körpergröße bedeutet?

Lasst uns doch einfach mit den Para-Athletinnen und -athleten mitfiebern, ihnen die Daumen drücken, dass sie ihre bestmögliche Leistung abliefern können! Lasst uns ihre Siege mitfeiern und ihre Niederlagen mit betrauern! Lasst sie uns bei den Paralympics einfach als Spitzensportlerinnen und -sportler ernst nehmen und nicht als "Superhelden im wahren Leben" glorifizieren - selbst wenn sie es wirklich sind! 

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Stefan Nestler Redakteur und Reporter