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Politik

Politischer Zynismus in Corona-Zeiten

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek
28. Oktober 2020

Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts zu Abtreibung hat in Polen Massenproteste der Frauen ausgelöst. Dieser Richterspruch mitten in der Pandemie könnte einem zynischen Kalkül folgen, meint Bartosz Dudek.

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Frauen in Warschau halten Protestplakate hoch. Auf einem steht in englischer Sprache: "Ich wünschte, ich könnte meine Regierung abtreiben"
"Ich wünschte, ich könnte meine Regierung abtreiben" - Frauenprotest in WarschauBild: Krzysztof Kaniewski/ZUMA Wire/picture-alliance

Polen ist von der Corona-Pandemie heftig betroffen. Die Ansteckungszahlen und Todesfälle erreichen jeden Tag Rekordwerte. Ein zweiter Lockdown rückt in greifbare Nähe. Die Gesundheitsämter und das Gesundheitssystem sind überlastet. Die Entwicklung ist dramatisch.

Da ist die Frage erlaubt, warum das polnische Verfassungsgericht ausgerechnet jetzt über eine Klage zum Abtreibungsrecht entscheidet? Dass es sich um einen Zufall handelt, kann man sich kaum vorstellen. Und noch weniger, dass dies ohne Billigung des mächtigsten Politikers im Lande, Jaroslaw Kaczynski, geschieht. 

Politisches Kalkül

Dahinter dürfte ein ganz klares politisches Kalkül stehen. Zum Beispiel die Absicht , vom Versagen der Regierung im Kampf gegen die Pandemie abzulenken. Außerdem das Ziel, das rechts-konservative Lager wieder zu einen. Nur vor wenigen Wochen drohte Kaczynskis rechte Allianz am Tierschutzgesetz zu zerbrechen.

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Bartosz Dudek leitet die Polnische Redaktion der DW

Das Thema Abtreibung eignet sich in Polen nämlich hervorragend, um wieder Geschlossenheit in den eigenen Reihen herzustellen und der erstarkenden extremen Rechten das Wasser abzugraben. Dazu sichert sich Kaczynski die Dankbarkeit der katholischen Kirche, die traditionell und gemäß ihrer Lehre ein absolutes Abtreibungsverbot fordert und dabei gerne Wahlhilfe für Kaczynskis Partei leistet.  

Macht- und parteipolitisch gesehen mögen das enorme Vorteile sein. Aber zu welchem Preis?

Hass, Ärger und Verachtung

Der Preis ist die weitere Spaltung der Gesellschaft. Emotionen werden geschürt. Hass, Ärger und Verachtung machen sich breit. Bei heftigen Tumulten im polnischen Parlament, dem Sejm, umringten die Politikerinnen der Opposition Kaczynski und riefen ihm ins Gesicht: "Es ist Krieg!" Das macht Angst. Eine Politik, die auf Spaltung und Konfrontation setzt, statt auf Dialog und Kompromiss, ist ein Spiel mit dem Feuer. Egal von welcher Seite.

Mehr noch: Wer auf dem Höhepunkt einer Pandemie die Menschen derart provoziert, dass sie auf die Straßen gehen und sich zu Protesten zu versammeln, handelt unverantwortlich. Oder berechnend. Wenn das zutrifft, werden bald neue Schuldige für die Verbreitung des Coronavirus ausgemacht: Es sind die Frauen, die gegen Abtreibungsverbot protestieren! Was für ein zynisches Spiel.

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek Redakteur und Autor der DW Programs for Europe