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Schröder ist ein Überzeugungstäter

29. April 2022

Als Wladimir Putins bester Freund bezeichnet zu werden, würden empfindsame Menschen als Beleidigung auffassen. Aber Deutschlands Ex-Kanzler ist stolz darauf. Das sagt viel über seinen Charakter, meint Marcel Fürstenau.

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Transparent mit dem sich umarmenden Schröder und Putin an der Berliner East Side Gallery. Darunter die Schriftzeile: "Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben"
Eine Freundschaft zwischen zwei Männern, die viele verärgert, zum Teil aber sogar Angst macht Bild: Anne Barth/REUTERS

In Europa herrscht Krieg. Ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Den Befehl erteilte Wladimir Putin am 24. Februar 2022. Kurz zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz noch bei einem Besuch in Moskau vergeblich versucht, den Herrscher im Kreml umzustimmen. Zum Abschied gab Putin seinem Gast noch ein paar Worte über seinen wohl besten Freund außerhalb Russlands mit auf den Heimweg: Die Deutschen sollten Gerhard Schröder dankbar sein. Der Ex-Kanzler sei ein "unabhängiger Experte" und ein "anständiger Mann".

Lobgesänge aus dem Munde eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers ist der Gas-Lobbyist mit sozialdemokratischem Parteibuch gewohnt. Die Männer verstehen sich seit Jahrzehnten blendend. Schröders Behauptung, Putin sei ein "lupenreiner Demokrat", ist legendär und spricht für sich. Da spielen sich zwei Blender gegenseitig die Bälle zu - und streuen Anderen gerne Sand in die Augen. Jüngstes Beispiel: Schröders Einlassungen im Interview mit der "New York Times".

Schröder klingt wie Putins persönlicher Pressesprecher

Der Mann, der sich selbst seit Jahrzehnten in der Pose des Lautsprechers gefällt, schlüpft dabei in die Rolle des Leisetreters, wenn es um seinen Kumpel Putin geht: "Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass Putin daran interessiert ist, den Krieg zu beenden. Aber das ist nicht so leicht. Da gibt es ein paar Punkte, die geklärt werden müssen." Schröder klingt wie der persönliche Pressesprecher des früheren russischen Geheimdienst-Agenten. Da redet einer um den heißen Brei herum und versucht mit seinen Sprechblasen noch den Eindruck zu erwecken, er wisse mehr, als er sagt.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild
DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Das ist peinliche Wichtigtuerei eines in die Jahre gekommen Mannes, der seine inhaltsleeren Floskeln für staatsmännische Rhetorik hält. Dabei hat Schröder die Chance, ein Elder Statesman wie Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker zu werden, schon 2005 unmittelbar nach seiner Wahl-Niederlage gegen Angela Merkel verspielt. Indem er sich übergangslos Putin als Türöffner für dessen Energie-Deals mit Deutschland andiente.

Der Ex-Kanzler hätte ein Vorbild werden können

Der Hang zur Inszenierung gehört zum Markenkern dieses Alphatiers. Labels wie "Genosse der Bosse" hat er sich redlich verdient. Als einstmals linker Politiker (Schröder war Vorsitzender der Jungsozialisten) mit millionenschweren Firmenchefs auf Augenhöhe zu sprechen, das gefällt dem Ex-Kanzler noch immer. Das soll kein Vorwurf sein, im Gegenteil: Schröder hat es schließlich geschafft, sich aus sogenannten "kleinen Verhältnissen" hochzuarbeiten.

Aus dieser Perspektive betrachtet eignet er sich theoretisch sogar als Vorbild. Praktisch aber haftet seinem Habitus seit jeher eine selbstverliebt anmutende Überheblichkeit an, die eine Vermutung bestätigt: dass es ihm immer nur um seine eigene Person geht. Wer sich so sehr wie Schröder um sich selbst dreht, neigt vielleicht besonders zu maßloser Selbstüberschätzung.

Ein deutsches Marschlied: "Ein Freund, ein guter Freund"

Dazu passt sein Privattrip zu Putin kurz nach Kriegsbeginn. Offenbar glaubte er wirklich, seinem Freund erfolgreich ins Gewissen reden zu können, er möge den Krieg gegen die Ukraine doch bitte sofort beenden. Vielleicht träumte Schröder sogar davon, im Erfolgsfall den Friedensnobelpreis zu bekommen. Tatsächlich aber kehrte er kleinlaut aus der Metropole Moskau in seine Heimatstadt Hannover zurück. Kein Wort über sein Treffen mit dem Kriegsherrn im Kreml war zu vernehmen.

Schröders Verhalten erinnert auf fast schon tragische Weise an ein populäres Marschlied, das 1930 in Deutschland geschrieben wurde: "Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt". Der Ohrwurm geht in der zweiten Zeile so weiter: "Ein Freund bleibt immer ein Freund, auch wenn die ganze Welt zusammenfällt." So weit ist es noch nicht gekommen. Aber Wladimir Putins Truppen haben seit dem 24. Februar 2022 schon viele Städte und Dörfer der Ukraine zerstört und tausende Menschen getötet. Für Gerhard Schröder ist das leider noch immer kein Grund, dem russischen Präsidenten die Freundschaft aufzukündigen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland