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Politik

Rückschlag für Assange und die Pressefreiheit

10. Dezember 2021

Journalismus ist kein Verbrechen. Aber jetzt befindet ein Londoner Gericht die Auslieferung von Julian Assange an die USA für rechtmäßig. Ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit, meint Matthias von Hein.

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Plakat "Free Julian Assange" hinter den Gittern eines geschlossenen Geschäftes
Julian Assange wird absehbar auch weiterhin nicht in Freiheit kommenBild: Artur Widak/NurPhoto/picture alliance

Es ist ein schlechter Tag für Julian Assange. Es ist ein schlechter Tag für Journalisten weltweit, ein schlechter Tag für die Medienfreiheit, ein schlechter Tag für Transparenz und Kontrolle von Regierungen. 

Es ist bittere Ironie, dass ein Londoner Gericht den Weg für die Verfolgung des Enthüllungsjournalisten Julian Assange ausgerechnet am Tag der Menschenrechte frei macht. Es ist bittere Ironie, dass diese Entscheidung an dem Tag fällt, an dem zwei Journalisten in Oslo mit dem Friedensnobelpreis geehrt werden. Ebenso bitter ist, dass diese Entscheidung am zweiten Tag eines von US-Präsident Joe Biden organisierten "Gipfels der Demokratie" verkündet wird. 

Stärkung der Medien durch die USA - etwa so?

Gerade erst hatte dort US-Außenminister Antony Blinken vollmundig die "unverzichtbare Rolle" der Medien betont, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit zu informieren, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. "Die USA werden sich weiterhin für die mutige und notwendige Arbeit von Journalisten auf der ganzen Welt einsetzen." Über 400 Millionen US-Dollar wollen sich die USA die Stärkung unabhängiger Medien in aller Welt kosten lassen.

DW Kommentarbild Matthias von Hein
DW-Redakteur Matthias von Hein

Wie passt das zusammen mit der jahrelangen Verfolgung Julian Assanges, mit der Androhung von bis zu 175 Jahren Haft wegen angeblicher Spionage, vor allem aber wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan? Dokumente, die Kriegsverbrechen der USA belegen. Für diese Verbrechen wurde bislang niemand zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen wurde eine Vendetta gegen den Journalisten entfesselt, dem die Welt diese Einblicke in die US-Kriegsführung verdankt.

Man kann die Organisationen kaum mehr zählen, die sich für die Freilassung von Julian Assange eingesetzt haben. Amnesty International war dabei, Reporter ohne Grenzen, Human Rights Watch, auch der internationale Journalistenverband mit seinen 600.000 Mitgliedern weltweit.

Autoritäre Regime schauen genau hin

Sie alle sehen das individuelle Leid des in einem Hochsicherheitsgefängnis isolierten Wikileaks-Gründers. Und sie sehen die Gefahr, die von seiner Verfolgung für die Freiheit der Medien weltweit ausgeht. Autoritäre Regime weltweit lassen schon jetzt Kritik an ihrem Umgang mit kritischen Journalisten unter Verweis auf Assange an sich abprallen.

Bei der Berufungsverhandlung ging es technisch gesehen lediglich um das Suizidrisiko Assanges im Falle einer Überstellung an die USA. Allein dieses von der ersten Instanz als hoch eingeschätzte Risiko hatte in der ersten Instanz im Januar das Gericht bewogen, die Auslieferung abzulehnen. Jetzt sollen Garantien sicherstellen, dass Assange in den USA nicht unter den unmenschlichen Haftbedingungen gehalten wird, die von Zeugen so beredt in der ersten Instanz geschildert wurden.

Angesichts kürzlich durch ein Team von Investigativjournalisten bekannt gewordener Attentatspläne der früheren US-Administration darf man an solchen Garantien zweifeln. Ohnehin spricht etwa der UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, bezüglich der "politisch motivierten" Verfolgung von Assange schon lange von einem Justizskandal. Er hat so viele Verletzungen üblicher Verfahrensregeln und Rechtsbrüche in dem Fall recherchiert, dass es für ein ganzes Buch gereicht hat.

Pinochet in der Villa, Assange im Gefängnis

Die Verteidigung von Assange wird das Urteil anfechten und in Berufung gehen. Der Fall wird sich also weiter hinziehen. Damit wird es höchste Zeit, dass Julian Assange das Verfahren nicht mehr in einer Gefängniszelle durchstehen muss. Die britische Justiz sollte ihn umgehend in Hausarrest entlassen. In anderen Fällen hatte die britische Justiz mit so einer Lösung kein Problem. Prominentes Beispiel: Als Spanien Ende der 1990er-Jahre die Auslieferung des chilenischen Diktators Pinochet verlangte, durfte dieser Mörder Tausender Menschen die 16 Monate des Verfahrens komfortabel in einer Villa südlich von London abwarten - bis er freigelassen wurde. 

In den vergangenen Jahren ist immer wieder zu hören, der Westen stehe im Wettbewerb mit autokratischen Systemen. Wenn "Demokratiegipfel"-Gastgeber Joe Biden diesen Wettbewerb ernst nimmt, sollte er versuchen besser zu sein als die Diktatoren der Welt. Der Einsatz für freien Journalismus fängt vor der eigenen Haustür an. Die USA sollten die Verfolgung des Wikileaks-Gründers Assange endlich beenden. Sie ist ein Schandfleck für die Demokratien der Welt.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein